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Schwierige Hochzeit

Die Berliner Staatsoper, die in der letzten Zeit vor allem mit Meldungen über Kontroversen in der Leitung und den Streit um die Sanierung auf sich aufmerksam machte, startete mit einer bemerkenswerten Premiere in die neue Saison: Peter Tschaikowskys autobiografisch gefärbten "Eugen Onegin", inszeniert von Achim Freyer und dirigiert von Daniel Barenboim.

Von Georg-Friedrich Kühn | 28.09.2008
    Mehr ein Oratorium ist das, eine leise bewegte Skulptur, zum Hören mehr denn zum Sehen. Achim Freyer, der Maler, Bühnenbildner, Regisseur hat für diesen "Eugen Onegin" eine Struktur geschaffen, wie er sie immer wieder seit seinen legendären Wiener "Metamorphosen" vor zwanzig Jahren kreierte.

    Er erfand Bewegungsabläufe, die nur leicht variiert in Schleifen wiederholt werden, mehr oder weniger neben der Musik einher laufend, Psychologisches vermeidend. Petersburg ist überall, will dass sagen, wir alle sind einsam, erfüllt von der Sehnsucht nach Liebe.

    Etwas puppenhaft Mechanisches haben die Figuren. Sie bewegen die Arme wie Zeiger, steigen auf Stühle oder legen sich auf ihnen quer, lassen Stühle auf einem Bein kreisen wie Rauten-Mobiles, breiten die innen schwarzen Jacken aus wie Fledermaus-Flügel oder wälzen sich am Boden.

    Die Gesichter sind geisterhaft weiß-schwarz grell geschminkt wie von Lemuren. Die Kostüme ausgebleicht mit schwarz ausfransenden Rändern. Alle Figuren laufen barfuss oder in fleischfarbenen Strümpfen auf dem in den beiden ersten Akten radial hellgrau ausgelegten, dann glänzend schwarzen, schräg ansteigenden Boden.

    Es gibt in dieser Slow-Motion-Commedia auch durch Kostüm oder Lichtdesgin festgelegte Farbakzente oder Farbtupfer. Tatjana trägt fast immer ein schwarzes langes Kleid mit weißem Kragen, das sie zur sitzen gebliebenen Jungfer macht. Nur im Petersburger 3.Akt, wenn Onegin denn doch ihr seine Liebe erklärt und sie ihm, verwandelt sich ihr Kleid fliederfarben hell.

    Und Onegin, der in den beiden ersten Akten mit einem dieser ausgebleichten Kostüme und angeklatschten Haaren wie ein Nussknacker daher kommt, erscheint nun im schwarzen Abendanzug. Oder der französisch stammelnde Triquet, der Tatjana das Namenstag-Ständchen zufächelt, kommt angewatschelt in van Goghschem Sonnen- oder auch Disneyschem Entengelb.

    Die Berliner Staatsoper hat ihre besten Kräfte aufgeboten. Daniel Barenboim am Pult lässt Tschaikowskys so tief aus dem Innersten empfundene Musik - ganz im Kontrast zur Szene - zu einem wahren Fest der Emotionen, mal schroff, mal sehnsuchtsvoll drängend aufblühen: die düster auftrumpfende Petersburger Polonaise wie die innig quellende Briefszene Tatjanas, die Kühle Onegins oder den wie einen sehr fernen Kometen langsam vorübergleitenden Gremin.

    Ein wunderbar intensiver Lenski ist Rolando Villazón, Maria Gortsevskaya die colombinenhafte Olga, Anna Samuil singt mit leicht geschärftem Vibrato die auf gleichsam ihr Leben und die nicht vollzogene Ehe zurückblickende Tatjana, Roman Trekel den statuenhaften Onegin, René Pape den Schnurrbart-wärmenden Gremin.

    Bewundernswert präsent und diszipliniert ist der Chor, der meist am Rand und hinter der Spielfläche platziert ist. Ergänzt wird er durch das gleichsam als pantomimischer Taktgeber für die szenischen Loops fungierende sogenannte Freyer-Ensemble.
    Dass Freyer fast alles Psychologisierende getilgt hat, führte während der Aufführung zu einem nicht ganz unverständlichen Rededuell in den Rängen mit direkter Ansprache an den Regisseur, es gehe hier "um Leidenschaft nicht um Langeweile".

    Am Ende empfing Freyer ein gellendes Buhkonzert, auf das dieser sportlich reagierte. Barenboim und das ganze Ensemble wurden mit Beifall überschüttet: Zu Recht, ein musikalisch großer Abend war das bis in die Nebenrollen.
    In der Loge lauschte etwas versteckt die Kanzlerin.