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Schwierige Nachbarschaft

Das hat es in Istanbul noch nicht gegeben, eine öffentliche Gedenkfeier für die vor 95 Jahren getöteten Armenier. Dazu aufgerufen haben türkische Intellektuelle. Beide Länder scheinen sich wieder anzunähern. Doch die Freude darüber könnte verfrüht sein, denn Armenien hat vergangene Woche den Wiederannäherungsprozess offiziell gestoppt.

Von Mareike Aden | 24.04.2010
    Wenn David Daneljian und seine Frau Teresa auf ihrem Hof sitzen, Tee trinken und armenisches Fladenbrot essen, dann sehen sie die Minarette ihrer türkischen Nachbarn. Die Danelijans leben in dem kleinen armenischen Bergdorf Bagaran. Ein paar 100 Meter hinter ihrem Garten beginnt das türkische Dorf Halikischlak. Dazwischen liegt ein Grenze, doch sie ist abgeriegelt: Die Türkei schloss die Grenze 1993 aus Solidarität mit Aserbaidschan. Damals führten Armenien und Aserbaidschan Krieg um die Region Bergkarabach - die gehört zwar zu Aserbaidschan, aber dort leben vor allem Armenier.

    Ein paar Monate lang standen die Zeichen zwischen der Türkei und Armenien auf Versöhnung. Im Herbst 2009 beschlossen beide Regierungen, ihre geschlossenen Grenzen wieder zu öffnen. Damals begann David Danieljan zu hoffen.

    "Wenn die Grenze nicht länger versperrt wäre, dann würde das Leben hier im Grenzgebiet einfacher werden - sowohl für uns Armenier, als auch für die Türken auf der anderen Seite. Wir sind doch eigentlich Nachbarn. Wir könnten miteinander Handel treiben und gemeinsam die Probleme angehen, die wir haben - das sind schließlich die gleichen auf beiden Seiten."

    Die meisten der 600 Einwohner von Bagaran haben kein fließendes Wasser, die Sandstraße, die durchs Dorf führt verwandelt sich bei Regen in eine Matschpiste und das Haus der Kultur verfällt seit Jahren. Über 60 Kilometer sind es von Bagaran bis in die nächste Kleinstadt. Wegen der großen Schlaglöcher dauert die Fahrt Stunden. Obwohl eine offene Grenze ein Ende der Isolation und eine bessere Infrastruktur bedeuten könnten, sind viele Dorfbewohner dagegen. So zum Beispiel David Danieljans Nachbar Aschot.

    "Ich bin gegen die Grenzöffnung, denn für mich sind die Türken unsere Feinde. Sie stehen im Konflikt um Karabach auf der Seite Aserbaidschans - und ich habe im Krieg um Karabach in den 90ern gekämpft. Die Grenze soll geschlossen bleiben."

    Rund 100 Kilometer entfernt von Bagaran, in den Bergen der Hauptstadt Eriwan erinnert das Genozid-Denkmal an ein weiteres düsteres Kapitel armenisch-türkischer Geschichte. Das bestimmt die Beziehungen der Länder bis heute. Die Türkei weigert sich die Massenmorde an Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord anzuerkennen. Für viele der rund zehn Millionen Armenier jedoch, von denen zwei Drittel wegen der Vertreibungen in der Diaspora lebt, ist der Genozid Grundlage ihrer Identität.

    "Der Genozid hat einen großen Einfluss auf die nationale Psyche der Armenier. Die größte Rolle spielt dabei die Tatsache, dass die Türkei ihn nicht anerkennt. Niemand wurde je dafür verantwortlich gemacht. Es verursacht dem ganzen armenischen Volk großen Schmerz, dass dir Türkei dieses schlimme Verbrechen nicht anerkennt - weder das Volk noch der Staat","

    … sagt Arpine Bablumjan vom Armenischen Genozid-Forschungsinstitut. Dass die Türkei trotz der Annäherungen des vergangenen Jahres, nun wieder Staaten unter Druck setzt, die den Genozid anerkennen wollen, das hat die Armenier enttäuscht. Den meisten ist es da sehr recht, dass das armenische Parlament das Ratifizierungsverfahren der Protokolle kurz vor dem Genozid-Tag erst einmal auf Eis gelegt hat.

    Das ist ein Etappensieg für die Oppositionsanhänger, die seit Monaten in ganz Armenien Unterschriften gegen die Ratifizierung sammeln. Zwar hatten die Staaten eine Grenzöffnung ohne Vorbedingungen vereinbart. Aber wie die 22-jährige Maria, die zur Partei der Armenisch-Revolutionären Föderation gehört, fürchten viele, dass Armenien nationale Interessen aufgeben würde. Maria geht mit ihrer Unterschriftenliste mehrmals die Woche von Haus zu Haus, um noch mehr Armenier davon zu überzeugen, dass die Grenzöffnung eine Gefahr für das Land darstellen würde.

    ""Wir verstehen, dass geschlossene Grenzen nicht zeitgemäß sind. Aber wir sind gegen die Grenzöffnung - weil wir versteckte Vorbedingungen sehen. Wir dürfen Bergkarabach nicht aufgeben und wir müssen auch dafür sorgen, dass die internationale Anerkennung des Genozids weiterhin höchste Priorität für Armenien hat. Eine Grenzöffnung würde all das in Frage stellen."


    Während die armenische Regierung sich von einer offenen Grenze vor allem wirtschaftliche Impulse für das isolierte Land erhofft hatte, warnte die Opposition von Anfang an vor zu viel Eile. Raffi Howhannisjan von der Partei "Erbe" ist ehemaliger Außenminister Armeniens. Seine Vorfahren flohen einst vor dem Genozid in die USA. Er kehrte nach Armenien zurück, um von dort für die Anerkennung des Genozids zu kämpfen.

    "Deutschland ist nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer der führenden Demokratien geworden, weil das Land nach Aussöhnung strebte und den Holocaust-Opfern Wiedergutmachungen anbot und das Recht sich zu erinnern. Daran muss die Türkei sich ein Beispiel nehmen. Sie muss sich ihrer Geschichte und sich selbst stellen, um ein richtiger europäischer Staat zu werden."

    Doch die jüngsten Äußerungen der türkischen Führung zeigen, dass die Türkei zu einem solchen Kurswechsel in der Genozid-Frage nicht bereit ist - darauf hat das armenische Parlament nun reagiert. Die Wiederannäherung liegt jetzt auch offiziell auf Eis und der lang ersehnte Tag der Grenzöffnung, der für David Danieljan aus dem armenischen Grenzdorf Bagaran so nah schien, ist wieder in weite Ferne gerückt.