Am 20. Juni 2004 macht die Besatzung der Cap Anamur, das Schiff der gleichnamigen Hilfsorganisation, im Seegebiet südlich von Malta ein hilflos treibendes Schlauchboot aus. Kapitän Stefan Schmidt zögert nicht lange, ändert den Kurs und eilt den aus Afrika kommenden Schiffbrüchigen zu Hilfe:
"Die haben Glück gehabt, das war grade vor Sonnenuntergang, also grade noch mit dem letzten Licht haben wir ihr Gummiboot dort vorne auf die Luke gestellt und dann wurde es dunkel."
Und wie war da die See?
"Wurde grade schlechter, und es war vorher, als wir sie sahen, Windstärke zwei und es wurde dann vier und es sah aus als wenn es noch mehr würde. Deswegen hatten die ja auch Angst gekriegt dort drinnen in dem Boot, weil das da ja auch reinspritzte. Und die hatten nichts mit. Die hatten keine Pumpe, um ihr Gummiboot wieder aufzupumpen, die hatten kein Wasser mit, die hatten nichts mit, um das Wasser da rauszuschöpfen, gar nichts. Die saßen da drin mit ihren Sachen die sie am Leib hatten und das war es. Ja und dann hatte ich vorsichtshalber erst mal nur einen hochkommen lassen, der ist hier oben gleich zusammengebrochen und hat einen Weinkrampf gekriegt, das habe ich ihm auch abgenommen, das war echt."
Das Rettungsschiff, ein umgebauter Container-Frachter, hatte kurz zuvor wegen technischer Probleme im Hafen von La Valletta auf Malta Halt gemacht. Nach einem Werft-Aufenthalt war sie dann wieder - Richtung Gibraltar - in See gestochen.
Plötzlich dann die Schiffbrüchigen - die Cap Anamur nimmt sie an Bord. Statt aber Kurs auf die italienische Küste zu nehmen, nähert sich das Schiff Tunesien - auf ausdrückliche Anweisung des Chefs der Hilfsorganisation, Elias Bierdel. Der macht sich umgehend auf in das nordafrikanische Land, begleitet von Journalisten.
Drei Tage später - Bierdel ist mittlerweile an Bord - nimmt die Cap Anamur Kurs auf Lampedusa, die Mittelmeer-Insel im Süden Italiens. Weil der Hafen nach Ansicht von Kapitän Schmidt aber zu klein für ein Anlegemanöver ist, wählt er ein neues Ziel: Porto Empedocle an der Südküste Siziliens. Doch hier stellen sich die Behörden quer - die insgesamt 37 Schiffbrüchigen dürfen nicht an Land. Es beginnt ein tagelanges Tauziehen.
Die Verhandlungen drehen sich um die Asylanträge, die die Passagiere stellen wollen, sei es in Italien oder in Deutschland - doch sowohl die deutsche als auch die italienische Regierung lehnen dies ab. Begründung: Die Cap Anamur habe zuvor maltesische Gewässer gekreuzt, also sei nach dem Dubliner Abkommen Malta für die Schiffbrüchigen zuständig.
Für die Besatzung ist das nicht akzeptabel; sie befürchtet, dass die Flüchtlinge dort umgehend ins Gefängnis gesteckt werden könnten.
10. Juli 2004, nach 19 Tagen auf der Cap Anamur, machen sich Verzweiflung und Mutlosigkeit unter den 37 Afrikanern breit - sie können das ständige Warten auf hoher See nicht mehr aushalten und drohen damit, sich über Bord zu werfen. Für Kapitän Schmidt wird die Lage zum Notfall: Er lichtet den Anker und steuert die Cap Anamur direkt in die für ihn verbotene Zwölf-Meilen-Zone - eskortiert von Booten der italienischen Polizei und der Küstenwache.
"Jetzt sind wir ungefähr eineinhalb Meilen vor der Einfahrt und wenn der Lotse nicht gleich kommt, dann fahr ich ohne Lotsen rein, weil das ist kein schwieriges Revier hier, das ist einfach nur einmal um die Ecke fahren an die Pier. Weil wir eben einen Notfall haben, kann ich gar nicht anders entscheiden. Wenn die das nicht wahrhaben wollen dass das ein Notfall ist, dann ist die Schuld bei denen und nicht bei mir."
Am Abend, gegen 19 Uhr, macht die Cap Anamur schließlich an der Mole fest. Sie wird sofort beschlagnahmt. Die Passagiere werden mit Bussen abgeholt und in Abschiebelager gebracht. Cap Anamur Chef Bierdel, Kapitän Schmidt und der zweite Offizier kommen in Untersuchungshaft. Der Staatsanwalt wirft ihnen vor, der illegalen Einwanderung Vorschub geleistet zu haben. Dieser Tatbestand wird in Italien mit bis zu 12 Jahren Haft bestraft.
Das Ende dieser Rettungsfahrt beschreibt Besatzungsmitglied Mike Bratzke so:
"Auf einmal wird einfach der Strom abgeschaltet. Und dann liegt es da und aus einem lebensrettenden Schiff wird ein Geisterschiff. Da ist der fliegende Holländer noch ein wirkliches Märchen mit einem guten Ausgang."
Noch am Tag vor der Anlandung hatte der Genueser Rechtsanwalt Salvatore La Rosa auf eine Wendung gehofft. La Rosa, ehemals Rechtsberater des UN-Flüchtlingskommissars in Afrika, war auf Bitten der Cap Anamur-Besatzung an Bord gekommen. Von den italienischen Behörden hatte er zwei Gründe genannt bekommen, warum die Cap Anamur auf keinen Fall in Sizilien hätte anlanden dürfen.
"Der eine ist der lange Zeitraum zwischen der Rettung der Schiffbrüchigen und dem Augenblick in dem die Cap Anamur die italienischen Behörden informierte. Zum anderen hätte die Cap Anamur nach Lampedusa fahren sollen, was nicht möglich war, weil das Schiff zu groß ist für den dortigen Hafen."
Aus Sicht von La Rosa keine überzeugenden Gründe. Er fügt hinzu:
"Es handelt sich nicht um ein Passagier oder ein Frachtschiff, sondern ein Schiff mit humanitären Aufgaben, das einzige auf der Welt, das diese offizielle Bezeichnung trägt. Es ist sozusagen seine Bestimmung, Menschen zu retten. Wie das die Organisation schon seit Jahrzehnten macht. Da ist es dann auch nebensächlich, wenn nicht alle bürokratischen Bestimmungen und behördlichen Anforderungen bis ins Kleinste erfüllt wurden."
Tatsächlich wurde die erste humanitäre Rettungsaktion des erst wenige Monate zuvor in Dienst gestellten Schiffes auch zu seiner letzten: während die festgenommenen Besatzungsmitglieder nach vier Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, lag die Cap Anamur fast zwei Jahre am Pier, wurde schließlich gegen eine Kaution von 1 Million Dollar freigegeben und umgehend von der neuen Leitung der Organisation Cap Anamur - mit Gewinn - verkauft.
Mit dem Fall der Cap Anamur führte die italienische Regierung de facto neue Bestimmungen ein, wonach die Rettung von Flüchtlingen, die sich der italienische Küsten nähern, ausschließlich der Küstenwache und der Marine vorbehalten ist. Dazu meint Angelo Capodicasa, Regionalpolitiker im besonders betroffenen Sizilien:
"Die Rettung von Ertrinkenden auf hoher See steht jetzt auf dem Spiel. Das Gesetz schreckt alle ab, die sich um die Bergung der Menschen auf dem Meer bemühen. Ob es nun Fischerboote sind oder Handelsschiffe, alle haben den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, bloß keine Schiffbrüchigen mehr an Bord zu nehmen."
Die Folgen liegen auf der Hand: die Gefahr, bei der Überfahrt zu ertrinken, nimmt zu. Der Rechtsexperte Salvatore La Rosa sieht einen erheblichen Widerspruch zwischen dem geschriebenen Recht und der politischer Linie seines Landes:
"Das italienische Seerecht schreibt ausdrücklich vor, dass jeder Kommandant eines Schiffs verpflichtet ist, Menschen in Seenot zu retten, sofern er dadurch nicht sein Schiff und seine eigene Besatzung in Gefahr bringt. Tut er das nicht, dann macht er sich strafbar. Natürlich gibt es auch internationale Vorschriften, in denen die gleichen Vorschriften gelten, und zwar für alle Staaten, die solche Konventionen unterzeichnet haben."
Die Irrfahrt der Cap Anamur und ihre Landung im Hafen von Porto Empedocle sorgten für ein gewaltiges Medienecho - in ganz Europa. Hier ein Ausschnitt aus dem Schweizer Fernsehen:
"Eine lange Odyssee im Mittelmeer schien ihr Ende zu finden. Doch wenige Stunden später wurde Bierdel von den italienischen Behörden festgenommen. Vorwurf: Beihilfe zum Menschenschmuggel. Auch in Deutschland, zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung, gibt es Zweifel an den guten Absichten von den Cap Anamur-Leuten. War alles nur eine geschickt eingefädelte PR-Aktion fragt die Zeitung und zitiert einen Sprecher des Innenministeriums, dass es Cap Anamur auch um Selbstdarstellung gehe."
Die Ereignisse und das Verhalten der Crew um Cap Anamur-Chef Bierdel wurde zunehmend kritisch gesehen. Die Aktion im Mittelmeer sei eine, so die Süddeutsche Zeitung, "PR-Aktion mit ungewissem Ausgang" gewesen. Das NDR-Fernsehmagazin Panorama legte kurze Zeit später nach: die Cap Anamur habe tagelang auf ihren Chef Elias Bierdel gewartet, um dann vor laufenden Kameras - unter dem Vorwand der angeblichen Seenot - in den Hafen von Porto Empedocle einlaufen zu können.
Die Rettung der Schiffbrüchigen im Mittelmeer - eine Medieninszenierung?
Der Dokumentarfilmer Martin Hilbert war neben dem ZDF-Reporter Luten Leinhos der einzige deutsche Journalist, der sich mehrere Tage auf offener See an Bord der Cap Anamur befunden hatte. Er arbeitete an einem Porträt aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Hilfsorganisation. Zu dem Zeitpunkt als die Afrikaner aus dem Meer gefischt wurden, war er selbst zwar noch nicht an Bord. Er hatte aber einige Zeit vorher ein Mitglied der Cap Anamur-Crew an der Kamera ausgebildet. Über das entstandene Filmmaterial sagt Hilbert:
"Das war rechtlich gesehen mein Material. Das war meine Ausrüstung, meine Tapes und so weiter. Und ich habe Bierdel im Deutschlandfunk gehört, da hat er ein Interview gegeben und hat erzählt, dass die Cap Anamur, das Schiff, die Leute aufgenommen hat und daraufhin hab ich Bierdel angerufen und gefragt, wie er weiter vorgehen will, weil das für mein Portrait wichtig war und ich hatte mir schon überlegt, das wäre jetzt ein schöner Anfang für mich. Wir haben das gefilmt, mein Kameramann hatte das gefilmt und hatte damals vor, hatte ihm auch gesagt, ich würde gerne die Ankunft der Leute filmen, und dann die weiter verfolgen, wie die quasi nach Europa reinkommen, was mit denen passiert. Also, Anträge, eventuell Arbeitssuche in Italien. Ich wollte das gerne in das Porträt mit reinpacken."
Der Journalist Hilbert und sein ZDF-Kollege Leinhos eilten mit Bierdel per Pauschaltouristenreise nach Tunesien und von dort mit einem Schnellboot zur Cap Anamur; und er betont, sich in keiner Weise von der Hilfsorganisation instrumentalisiert gefühlt zu haben.
"Für uns war das erstmal eine interessante Geschichte, aber nicht besonders spektakulär. Gleichzeitig wollte ich schöne Bilder machen, praktisch Flüchtlinge an Bord eines Schiffes in der Situation, wo die frisch auf dem Boot waren, noch nicht in Italien. Wir haben mit einigen der Schiffbrüchigen Interviews gemacht. Einige konnten wir nicht interviewen, weil die waren traumatisiert, waren abgeschottet, immer wenn die mit jemandem redeten, fingen die an zu weinen, das wollte man denen nicht zumuten. Also haben wir uns um die gekümmert, die einigermaßen stabil waren. Ja und dann kam es relativ schnell zur Konfrontation mit der italienischen Marine, italienischen Küstenwache und Guardia Finanza. Und das hab ich ja hautnah mitbekommen, habe das gefilmt und ich dachte: jetzt wird die Geschichte interessant."
Interessant fand Hilbert vor allem den Konflikt zwischen dem italienischen Staat und einem deutschen Schiff, das vor der Küste festgesetzt wurde. Noch vor dem Landgang des Cap Anamur-Teams war der Journalist wieder zurück in Deutschland und berichtete für diverse öffentlich-rechtliche Fernsehsender.
"Dann rollte so allmählich ein Medienecho an. Ich kriegte mit, es gab immer mehr Artikel, jeden Tag, Ich glaube, in den ersten Wochen gab es 1700 Artikel, Google listet das ja so schön auf. Die hab ich natürlich nicht alle gelesen, die Wichtigsten hab ich gelesen. Das Interessante war, wie relativ wenig eigentlich nachrecherchiert wurde. Also ich selber bin nur von der BBC, von NDR regional, von der taz und vom Tagesspiegel nachgefragt worden. Ich hab Leinhos mal angerufen und der sagte mir, bei ihm hätte gar keiner angerufen und unserer Meinung nach war es ja schon so, dass außer uns ja nur die Cap Anamur-Mitglieder an Bord waren. Also, eine interessante Rechercheleistung der schreibenden Kollegen, nicht nachzufragen und trotzdem alles ganz genau zu wissen."
Die These von der Medieninszenierung begann sich zunehmend zu verselbständigen. Die Redaktion des NDR-Magazins Panorama meldete sich bei Hilbert und kaufte ihm Filmmaterial ab. Die Autoren machten daraus, zum Entsetzen Hilberts, einen Beitrag, der allein das Thema Medieninszenierung zum Thema hatte.
Auf Nachfrage erklärte der stellvertretende Redaktionsleiter von Panorama, Volker Steinhoff, dass Panorama damals umfassend recherchiert und nicht tendenziös berichtet habe. Es sei auch nicht wahr, dass die Autoren, wie vielfach behauptet, gar nicht vor Ort gewesen wären.
Tatsache aber ist: nach der Ausstrahlung des Panorama-Beitrages kippte die Stimmung in Deutschland ins Negative. Der Tenor: die Hilfsorganisation Cap Anamur und vor allem ihr Chef, Elias Bierdel, hätten die Medien bewusst instrumentalisiert. Warum, so wurde gefragt, kreuzte das Schiff noch Tage nach der Aufnahme der Flüchtlinge im Meer, bis Elias Bierdel mit zwei Journalistenteams zustieg? Warum sein Victory-Zeichen, als das Schiff in Porto Empedocle anlegte? Musste es sein, dass die Afrikaner in einheitlichen Cap Anamur-T-Shirts von Bord gingen? Spielte also nicht doch auch "PR in eigener Sache" eine Rolle?
Die Realität der Migrationsströme aus Afrika nach Europa, das Leid der Flüchtlinge, eigentlich das Hauptanliegen der Cap Anamur-Aktion, wurde zu einem Nebenthema. Im Mittelpunkt des journalistischen Interesses standen nun die Hilfsorganisation und ihre möglicherweise zweifelhaften Methoden. Selbst Bierdels Vorgänger bei Cap Anamur, Rupert Neudeck, reihte sich in die Reihe der Kritiker ein und warf seinem Nachfolger unprofessionelles Verhalten vor.
"Man muss, wenn man etwas so Gewaltiges, Großes, Großartiges und Tolles vorhat, dann muss man vorher mit den zuständigen Behörden des eigenen Flaggenstaates, das ist die Bundesrepublik Deutschland, das heißt mit dem Innenminister, möglicherweise auch mit den Innenministern der Länder, man muss vorher mit allen möglichen Instanzen sprechen, nicht um deren Zustimmung zu bekommen, die wird man nicht bekommen. Aber es ist wichtig, dass man die, auf die man dann angewiesen ist, später, dass man die schon mal vorinformiert."
Neudeck und Bierdel, beides ehemalige Deutschlandfunk-Journalisten, trugen ihren Konflikt in aller Öffentlichkeit aus - mit großem Medienecho und entsprechenden Nebenwirkungen für Cap Anamur - eine Organisation, deren Gründungsmythos ja gerade auf der Rettung von Flüchtlingen aus dem offenen Meer beruhte. Fast ein Vierteljahrhundert zuvor hatten Rupert Neudeck und seine Helfer Vietnamesen, die so genannten Boat People, aus der südchinesischen See gefischt. Schon damals hatte es die Kritik gegeben, Cap Anamur würde professionellen Schleusern in die Hände spielen, es handele sich um öffentlichkeitswirksame Hilfsbereitschaft ohne Sinn und Verstand.
Der Arzt Dr. Richard Munz, der auf der ganzen Welt Rettungseinsätze für das Deutsche Rote Kreuz, unter anderem in Darfur, leitet, fordert seit Jahren, dass Hilfsorganisationen stärker als bisher mit Medien zusammenarbeiten sollten, denn: was nicht in den Medien existiere, findet - seiner Einschätzung nach - für die Weltöffentlichkeit nicht statt.
"Im Augenblick entscheiden ja die Medien, welche Katastrophe zur Katastrophe gemacht wird und die Hilfsorganisationen rennen hinter diesen Kameras her. Ich denke, die Hilfsorganisationen müssen professioneller werden, sie müssen professionellere Medienarbeit machen und mit den Medien zusammenarbeiten."
Das Ende dieser Dienstfahrt der Cap Anamur bedeutete für Elias Bierdel das Ende seiner Tätigkeit als Leiter der Organisation. Seitdem wartet er auf seinen Prozess, mit dem Urteil verbindet sich auch ein Stück persönlichen Schicksals.
Die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer gegen unterdessen weiter - mehr noch: Die Zahl derer, die mit immer riskanteren Überfahrten versuchen, ihr Glück in Europa zu finden, wächst. Gewachsen ist allerdings auch die Furcht der Kapitäne, sich mit der Rettung von Schiffbrüchigen möglicherweise strafbar zu machen - so wie Elias Bierdel .
Anfang April dieses Jahres ereignete sich vor Sizilien ein Fall, der dem der Cap Anamur gleicht: der türkische Frachter Pinar stößt zwischen Italien und Malta auf mehr als 150 Schiffbrüchige. Auf Bitten der maltesischen Behörden bleibt Kapitän Asik Tuygun in der Nähe des Flüchtlingsbootes
"Die Malteser sagten mir per Funk, helfen Sie den Leuten bis wir kommen und Ihnen helfen, dann können Sie weiterfahren. Ich wartete drei Stunden, und niemand kam. Da fingen die Boat People an, sich ins Meer zu stürzen."
Kapitaen Tuygun nahm sie schließlich an Bord, aber er wurde sie nicht mehr los. Malta und Italien verweigerten die Anlandung. Nach vier Tagen auf offener See waren die Zustände an Bord nicht mehr haltbar. Italien gab auf Druck der Öffentlichkeit nach, die Schiffbrüchigen durften in Lampedusa von Bord. Der italienische Innenminister Roberto Maroni reagierte daraufhin mit neuen Weisungen: seit einigen Wochen werden Flüchtlingsboote vor der libyschen Küste abgefangen und zurückgeschleppt.
Der UN Flüchtlingskommissar protestierte gegen diese mögliche Verletzung der Menschenrechtscharta und dem darin festgelegten Schutz von Flüchtlingen. Doch Italiens Innenminister Roberto Maroni ficht das nicht an. Sein Land besteht auf eigenen Regeln für die Behandlung von Immigranten - und gerät wegen seiner umstrittenen Flüchtlingspolitik auf europäischer Ebene zunehmend unter Druck.
"Die haben Glück gehabt, das war grade vor Sonnenuntergang, also grade noch mit dem letzten Licht haben wir ihr Gummiboot dort vorne auf die Luke gestellt und dann wurde es dunkel."
Und wie war da die See?
"Wurde grade schlechter, und es war vorher, als wir sie sahen, Windstärke zwei und es wurde dann vier und es sah aus als wenn es noch mehr würde. Deswegen hatten die ja auch Angst gekriegt dort drinnen in dem Boot, weil das da ja auch reinspritzte. Und die hatten nichts mit. Die hatten keine Pumpe, um ihr Gummiboot wieder aufzupumpen, die hatten kein Wasser mit, die hatten nichts mit, um das Wasser da rauszuschöpfen, gar nichts. Die saßen da drin mit ihren Sachen die sie am Leib hatten und das war es. Ja und dann hatte ich vorsichtshalber erst mal nur einen hochkommen lassen, der ist hier oben gleich zusammengebrochen und hat einen Weinkrampf gekriegt, das habe ich ihm auch abgenommen, das war echt."
Das Rettungsschiff, ein umgebauter Container-Frachter, hatte kurz zuvor wegen technischer Probleme im Hafen von La Valletta auf Malta Halt gemacht. Nach einem Werft-Aufenthalt war sie dann wieder - Richtung Gibraltar - in See gestochen.
Plötzlich dann die Schiffbrüchigen - die Cap Anamur nimmt sie an Bord. Statt aber Kurs auf die italienische Küste zu nehmen, nähert sich das Schiff Tunesien - auf ausdrückliche Anweisung des Chefs der Hilfsorganisation, Elias Bierdel. Der macht sich umgehend auf in das nordafrikanische Land, begleitet von Journalisten.
Drei Tage später - Bierdel ist mittlerweile an Bord - nimmt die Cap Anamur Kurs auf Lampedusa, die Mittelmeer-Insel im Süden Italiens. Weil der Hafen nach Ansicht von Kapitän Schmidt aber zu klein für ein Anlegemanöver ist, wählt er ein neues Ziel: Porto Empedocle an der Südküste Siziliens. Doch hier stellen sich die Behörden quer - die insgesamt 37 Schiffbrüchigen dürfen nicht an Land. Es beginnt ein tagelanges Tauziehen.
Die Verhandlungen drehen sich um die Asylanträge, die die Passagiere stellen wollen, sei es in Italien oder in Deutschland - doch sowohl die deutsche als auch die italienische Regierung lehnen dies ab. Begründung: Die Cap Anamur habe zuvor maltesische Gewässer gekreuzt, also sei nach dem Dubliner Abkommen Malta für die Schiffbrüchigen zuständig.
Für die Besatzung ist das nicht akzeptabel; sie befürchtet, dass die Flüchtlinge dort umgehend ins Gefängnis gesteckt werden könnten.
10. Juli 2004, nach 19 Tagen auf der Cap Anamur, machen sich Verzweiflung und Mutlosigkeit unter den 37 Afrikanern breit - sie können das ständige Warten auf hoher See nicht mehr aushalten und drohen damit, sich über Bord zu werfen. Für Kapitän Schmidt wird die Lage zum Notfall: Er lichtet den Anker und steuert die Cap Anamur direkt in die für ihn verbotene Zwölf-Meilen-Zone - eskortiert von Booten der italienischen Polizei und der Küstenwache.
"Jetzt sind wir ungefähr eineinhalb Meilen vor der Einfahrt und wenn der Lotse nicht gleich kommt, dann fahr ich ohne Lotsen rein, weil das ist kein schwieriges Revier hier, das ist einfach nur einmal um die Ecke fahren an die Pier. Weil wir eben einen Notfall haben, kann ich gar nicht anders entscheiden. Wenn die das nicht wahrhaben wollen dass das ein Notfall ist, dann ist die Schuld bei denen und nicht bei mir."
Am Abend, gegen 19 Uhr, macht die Cap Anamur schließlich an der Mole fest. Sie wird sofort beschlagnahmt. Die Passagiere werden mit Bussen abgeholt und in Abschiebelager gebracht. Cap Anamur Chef Bierdel, Kapitän Schmidt und der zweite Offizier kommen in Untersuchungshaft. Der Staatsanwalt wirft ihnen vor, der illegalen Einwanderung Vorschub geleistet zu haben. Dieser Tatbestand wird in Italien mit bis zu 12 Jahren Haft bestraft.
Das Ende dieser Rettungsfahrt beschreibt Besatzungsmitglied Mike Bratzke so:
"Auf einmal wird einfach der Strom abgeschaltet. Und dann liegt es da und aus einem lebensrettenden Schiff wird ein Geisterschiff. Da ist der fliegende Holländer noch ein wirkliches Märchen mit einem guten Ausgang."
Noch am Tag vor der Anlandung hatte der Genueser Rechtsanwalt Salvatore La Rosa auf eine Wendung gehofft. La Rosa, ehemals Rechtsberater des UN-Flüchtlingskommissars in Afrika, war auf Bitten der Cap Anamur-Besatzung an Bord gekommen. Von den italienischen Behörden hatte er zwei Gründe genannt bekommen, warum die Cap Anamur auf keinen Fall in Sizilien hätte anlanden dürfen.
"Der eine ist der lange Zeitraum zwischen der Rettung der Schiffbrüchigen und dem Augenblick in dem die Cap Anamur die italienischen Behörden informierte. Zum anderen hätte die Cap Anamur nach Lampedusa fahren sollen, was nicht möglich war, weil das Schiff zu groß ist für den dortigen Hafen."
Aus Sicht von La Rosa keine überzeugenden Gründe. Er fügt hinzu:
"Es handelt sich nicht um ein Passagier oder ein Frachtschiff, sondern ein Schiff mit humanitären Aufgaben, das einzige auf der Welt, das diese offizielle Bezeichnung trägt. Es ist sozusagen seine Bestimmung, Menschen zu retten. Wie das die Organisation schon seit Jahrzehnten macht. Da ist es dann auch nebensächlich, wenn nicht alle bürokratischen Bestimmungen und behördlichen Anforderungen bis ins Kleinste erfüllt wurden."
Tatsächlich wurde die erste humanitäre Rettungsaktion des erst wenige Monate zuvor in Dienst gestellten Schiffes auch zu seiner letzten: während die festgenommenen Besatzungsmitglieder nach vier Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, lag die Cap Anamur fast zwei Jahre am Pier, wurde schließlich gegen eine Kaution von 1 Million Dollar freigegeben und umgehend von der neuen Leitung der Organisation Cap Anamur - mit Gewinn - verkauft.
Mit dem Fall der Cap Anamur führte die italienische Regierung de facto neue Bestimmungen ein, wonach die Rettung von Flüchtlingen, die sich der italienische Küsten nähern, ausschließlich der Küstenwache und der Marine vorbehalten ist. Dazu meint Angelo Capodicasa, Regionalpolitiker im besonders betroffenen Sizilien:
"Die Rettung von Ertrinkenden auf hoher See steht jetzt auf dem Spiel. Das Gesetz schreckt alle ab, die sich um die Bergung der Menschen auf dem Meer bemühen. Ob es nun Fischerboote sind oder Handelsschiffe, alle haben den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, bloß keine Schiffbrüchigen mehr an Bord zu nehmen."
Die Folgen liegen auf der Hand: die Gefahr, bei der Überfahrt zu ertrinken, nimmt zu. Der Rechtsexperte Salvatore La Rosa sieht einen erheblichen Widerspruch zwischen dem geschriebenen Recht und der politischer Linie seines Landes:
"Das italienische Seerecht schreibt ausdrücklich vor, dass jeder Kommandant eines Schiffs verpflichtet ist, Menschen in Seenot zu retten, sofern er dadurch nicht sein Schiff und seine eigene Besatzung in Gefahr bringt. Tut er das nicht, dann macht er sich strafbar. Natürlich gibt es auch internationale Vorschriften, in denen die gleichen Vorschriften gelten, und zwar für alle Staaten, die solche Konventionen unterzeichnet haben."
Die Irrfahrt der Cap Anamur und ihre Landung im Hafen von Porto Empedocle sorgten für ein gewaltiges Medienecho - in ganz Europa. Hier ein Ausschnitt aus dem Schweizer Fernsehen:
"Eine lange Odyssee im Mittelmeer schien ihr Ende zu finden. Doch wenige Stunden später wurde Bierdel von den italienischen Behörden festgenommen. Vorwurf: Beihilfe zum Menschenschmuggel. Auch in Deutschland, zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung, gibt es Zweifel an den guten Absichten von den Cap Anamur-Leuten. War alles nur eine geschickt eingefädelte PR-Aktion fragt die Zeitung und zitiert einen Sprecher des Innenministeriums, dass es Cap Anamur auch um Selbstdarstellung gehe."
Die Ereignisse und das Verhalten der Crew um Cap Anamur-Chef Bierdel wurde zunehmend kritisch gesehen. Die Aktion im Mittelmeer sei eine, so die Süddeutsche Zeitung, "PR-Aktion mit ungewissem Ausgang" gewesen. Das NDR-Fernsehmagazin Panorama legte kurze Zeit später nach: die Cap Anamur habe tagelang auf ihren Chef Elias Bierdel gewartet, um dann vor laufenden Kameras - unter dem Vorwand der angeblichen Seenot - in den Hafen von Porto Empedocle einlaufen zu können.
Die Rettung der Schiffbrüchigen im Mittelmeer - eine Medieninszenierung?
Der Dokumentarfilmer Martin Hilbert war neben dem ZDF-Reporter Luten Leinhos der einzige deutsche Journalist, der sich mehrere Tage auf offener See an Bord der Cap Anamur befunden hatte. Er arbeitete an einem Porträt aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Hilfsorganisation. Zu dem Zeitpunkt als die Afrikaner aus dem Meer gefischt wurden, war er selbst zwar noch nicht an Bord. Er hatte aber einige Zeit vorher ein Mitglied der Cap Anamur-Crew an der Kamera ausgebildet. Über das entstandene Filmmaterial sagt Hilbert:
"Das war rechtlich gesehen mein Material. Das war meine Ausrüstung, meine Tapes und so weiter. Und ich habe Bierdel im Deutschlandfunk gehört, da hat er ein Interview gegeben und hat erzählt, dass die Cap Anamur, das Schiff, die Leute aufgenommen hat und daraufhin hab ich Bierdel angerufen und gefragt, wie er weiter vorgehen will, weil das für mein Portrait wichtig war und ich hatte mir schon überlegt, das wäre jetzt ein schöner Anfang für mich. Wir haben das gefilmt, mein Kameramann hatte das gefilmt und hatte damals vor, hatte ihm auch gesagt, ich würde gerne die Ankunft der Leute filmen, und dann die weiter verfolgen, wie die quasi nach Europa reinkommen, was mit denen passiert. Also, Anträge, eventuell Arbeitssuche in Italien. Ich wollte das gerne in das Porträt mit reinpacken."
Der Journalist Hilbert und sein ZDF-Kollege Leinhos eilten mit Bierdel per Pauschaltouristenreise nach Tunesien und von dort mit einem Schnellboot zur Cap Anamur; und er betont, sich in keiner Weise von der Hilfsorganisation instrumentalisiert gefühlt zu haben.
"Für uns war das erstmal eine interessante Geschichte, aber nicht besonders spektakulär. Gleichzeitig wollte ich schöne Bilder machen, praktisch Flüchtlinge an Bord eines Schiffes in der Situation, wo die frisch auf dem Boot waren, noch nicht in Italien. Wir haben mit einigen der Schiffbrüchigen Interviews gemacht. Einige konnten wir nicht interviewen, weil die waren traumatisiert, waren abgeschottet, immer wenn die mit jemandem redeten, fingen die an zu weinen, das wollte man denen nicht zumuten. Also haben wir uns um die gekümmert, die einigermaßen stabil waren. Ja und dann kam es relativ schnell zur Konfrontation mit der italienischen Marine, italienischen Küstenwache und Guardia Finanza. Und das hab ich ja hautnah mitbekommen, habe das gefilmt und ich dachte: jetzt wird die Geschichte interessant."
Interessant fand Hilbert vor allem den Konflikt zwischen dem italienischen Staat und einem deutschen Schiff, das vor der Küste festgesetzt wurde. Noch vor dem Landgang des Cap Anamur-Teams war der Journalist wieder zurück in Deutschland und berichtete für diverse öffentlich-rechtliche Fernsehsender.
"Dann rollte so allmählich ein Medienecho an. Ich kriegte mit, es gab immer mehr Artikel, jeden Tag, Ich glaube, in den ersten Wochen gab es 1700 Artikel, Google listet das ja so schön auf. Die hab ich natürlich nicht alle gelesen, die Wichtigsten hab ich gelesen. Das Interessante war, wie relativ wenig eigentlich nachrecherchiert wurde. Also ich selber bin nur von der BBC, von NDR regional, von der taz und vom Tagesspiegel nachgefragt worden. Ich hab Leinhos mal angerufen und der sagte mir, bei ihm hätte gar keiner angerufen und unserer Meinung nach war es ja schon so, dass außer uns ja nur die Cap Anamur-Mitglieder an Bord waren. Also, eine interessante Rechercheleistung der schreibenden Kollegen, nicht nachzufragen und trotzdem alles ganz genau zu wissen."
Die These von der Medieninszenierung begann sich zunehmend zu verselbständigen. Die Redaktion des NDR-Magazins Panorama meldete sich bei Hilbert und kaufte ihm Filmmaterial ab. Die Autoren machten daraus, zum Entsetzen Hilberts, einen Beitrag, der allein das Thema Medieninszenierung zum Thema hatte.
Auf Nachfrage erklärte der stellvertretende Redaktionsleiter von Panorama, Volker Steinhoff, dass Panorama damals umfassend recherchiert und nicht tendenziös berichtet habe. Es sei auch nicht wahr, dass die Autoren, wie vielfach behauptet, gar nicht vor Ort gewesen wären.
Tatsache aber ist: nach der Ausstrahlung des Panorama-Beitrages kippte die Stimmung in Deutschland ins Negative. Der Tenor: die Hilfsorganisation Cap Anamur und vor allem ihr Chef, Elias Bierdel, hätten die Medien bewusst instrumentalisiert. Warum, so wurde gefragt, kreuzte das Schiff noch Tage nach der Aufnahme der Flüchtlinge im Meer, bis Elias Bierdel mit zwei Journalistenteams zustieg? Warum sein Victory-Zeichen, als das Schiff in Porto Empedocle anlegte? Musste es sein, dass die Afrikaner in einheitlichen Cap Anamur-T-Shirts von Bord gingen? Spielte also nicht doch auch "PR in eigener Sache" eine Rolle?
Die Realität der Migrationsströme aus Afrika nach Europa, das Leid der Flüchtlinge, eigentlich das Hauptanliegen der Cap Anamur-Aktion, wurde zu einem Nebenthema. Im Mittelpunkt des journalistischen Interesses standen nun die Hilfsorganisation und ihre möglicherweise zweifelhaften Methoden. Selbst Bierdels Vorgänger bei Cap Anamur, Rupert Neudeck, reihte sich in die Reihe der Kritiker ein und warf seinem Nachfolger unprofessionelles Verhalten vor.
"Man muss, wenn man etwas so Gewaltiges, Großes, Großartiges und Tolles vorhat, dann muss man vorher mit den zuständigen Behörden des eigenen Flaggenstaates, das ist die Bundesrepublik Deutschland, das heißt mit dem Innenminister, möglicherweise auch mit den Innenministern der Länder, man muss vorher mit allen möglichen Instanzen sprechen, nicht um deren Zustimmung zu bekommen, die wird man nicht bekommen. Aber es ist wichtig, dass man die, auf die man dann angewiesen ist, später, dass man die schon mal vorinformiert."
Neudeck und Bierdel, beides ehemalige Deutschlandfunk-Journalisten, trugen ihren Konflikt in aller Öffentlichkeit aus - mit großem Medienecho und entsprechenden Nebenwirkungen für Cap Anamur - eine Organisation, deren Gründungsmythos ja gerade auf der Rettung von Flüchtlingen aus dem offenen Meer beruhte. Fast ein Vierteljahrhundert zuvor hatten Rupert Neudeck und seine Helfer Vietnamesen, die so genannten Boat People, aus der südchinesischen See gefischt. Schon damals hatte es die Kritik gegeben, Cap Anamur würde professionellen Schleusern in die Hände spielen, es handele sich um öffentlichkeitswirksame Hilfsbereitschaft ohne Sinn und Verstand.
Der Arzt Dr. Richard Munz, der auf der ganzen Welt Rettungseinsätze für das Deutsche Rote Kreuz, unter anderem in Darfur, leitet, fordert seit Jahren, dass Hilfsorganisationen stärker als bisher mit Medien zusammenarbeiten sollten, denn: was nicht in den Medien existiere, findet - seiner Einschätzung nach - für die Weltöffentlichkeit nicht statt.
"Im Augenblick entscheiden ja die Medien, welche Katastrophe zur Katastrophe gemacht wird und die Hilfsorganisationen rennen hinter diesen Kameras her. Ich denke, die Hilfsorganisationen müssen professioneller werden, sie müssen professionellere Medienarbeit machen und mit den Medien zusammenarbeiten."
Das Ende dieser Dienstfahrt der Cap Anamur bedeutete für Elias Bierdel das Ende seiner Tätigkeit als Leiter der Organisation. Seitdem wartet er auf seinen Prozess, mit dem Urteil verbindet sich auch ein Stück persönlichen Schicksals.
Die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer gegen unterdessen weiter - mehr noch: Die Zahl derer, die mit immer riskanteren Überfahrten versuchen, ihr Glück in Europa zu finden, wächst. Gewachsen ist allerdings auch die Furcht der Kapitäne, sich mit der Rettung von Schiffbrüchigen möglicherweise strafbar zu machen - so wie Elias Bierdel .
Anfang April dieses Jahres ereignete sich vor Sizilien ein Fall, der dem der Cap Anamur gleicht: der türkische Frachter Pinar stößt zwischen Italien und Malta auf mehr als 150 Schiffbrüchige. Auf Bitten der maltesischen Behörden bleibt Kapitän Asik Tuygun in der Nähe des Flüchtlingsbootes
"Die Malteser sagten mir per Funk, helfen Sie den Leuten bis wir kommen und Ihnen helfen, dann können Sie weiterfahren. Ich wartete drei Stunden, und niemand kam. Da fingen die Boat People an, sich ins Meer zu stürzen."
Kapitaen Tuygun nahm sie schließlich an Bord, aber er wurde sie nicht mehr los. Malta und Italien verweigerten die Anlandung. Nach vier Tagen auf offener See waren die Zustände an Bord nicht mehr haltbar. Italien gab auf Druck der Öffentlichkeit nach, die Schiffbrüchigen durften in Lampedusa von Bord. Der italienische Innenminister Roberto Maroni reagierte daraufhin mit neuen Weisungen: seit einigen Wochen werden Flüchtlingsboote vor der libyschen Küste abgefangen und zurückgeschleppt.
Der UN Flüchtlingskommissar protestierte gegen diese mögliche Verletzung der Menschenrechtscharta und dem darin festgelegten Schutz von Flüchtlingen. Doch Italiens Innenminister Roberto Maroni ficht das nicht an. Sein Land besteht auf eigenen Regeln für die Behandlung von Immigranten - und gerät wegen seiner umstrittenen Flüchtlingspolitik auf europäischer Ebene zunehmend unter Druck.