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Schwierigkeitsgrade in Computerspielen
Zwischen Tortur und Entspannung

Computerspiele wie "Dark Souls" sind extrem schwer - und können aus dem erholsamen Feierabend eine wahre Tortur machen. Daher reduzieren immer mehr Spieleentwickler den Schwierigkeitsgrad auf ein absolutes Minimum. Bahnt sich da etwa ein Paradigmenwechsel an?

Von Tim Baumann | 05.06.2018
    Eine Szene aus dem Computerspiel "Assassin's Creed Origins". Der Assassin rutscht eine Pyramide runter. Im Hintergrund sieht man eine Berglandschaft mit Oase
    Eine Szene aus dem Computerspiel "Assassin's Creed Origins" (Ubisoft)
    "I created this game for a certain kind of person - to hurt them." Als Gamedesigner Bennett Foddy Ende 2017 sein Spiel "Getting Over It" ankündigte, wirkte das Marketing ebenso eigenwillig wie das Spielprinzip. Ein Mann in einem Kessel nutzt einen Vorschlaghammer als Fortbewegungsmittel, um auf einen Berggipfel zu gelangen. Trotzdem verkaufte sich das Spiel millionenfach und wurde für eine Zeit zum Liebling der YouTuber und Twitch Streamer. Die Zuschauer freute es - sie beobachteten Ihre Stars dabei, wie sie reihenweise vor Frustration einknickten. Der Grund: "Getting Over It" ist unfassbar schwer.
    Hohe Schwierigkeitsgrade noch zeitgemäß?
    Dabei ist das Indiegame weit mehr als nur ein sadistisches Machtspielchen des Entwicklers. Es ist ein kunstvoller Kommentar zur in der Gamer-Szene laufenden Diskussion, ob die Zeit der knackigen Schwierigkeitsgrade in Videospielen vorbei ist. Anlass für die Diskussion ist unter anderem die Einführung des Discovery Modes in "Assassin's Creed Origins", in dem die Gamer durch die Spielwelt des antiken Ägypten streifen können, ohne von Feinden behelligt zu werden. Benjamin Beil ist Juniorprofessor am Institut für Medienwissenschaft der Universität Köln.
    Porträt des Kölner Junior-Professors für Digitalkulturen, Benjamin Beil
    Der Kölner Junior-Professor für Digitalkulturen, Benjamin Beil (Benjamin Beil)
    Benjamin Beil: "Also, Spiele sind nicht in erster Linie leichter geworden, sondern Spiele sind vielfältiger geworden. Spiele bieten zumindest eben auch Spielern, die nicht so gute Reaktionsfähigkeit haben einen zusätzlichen Schwierigkeitsgrad."
    Niedrige Schwierigkeitsgrade sind in der Videospielszene schon lange präsent - vielfach werden sie aber unter Gamern belächelt. So betitelt zum Beispiel der Egoshooter Wolfenstein II den einfachsten Schwierigkeitsgrad mit "Can I Play, Daddy?" und verpasst dem Spielerbild einen Schnuller und ein Häubchen.
    Benjamin Beil: "Interessant ist aber zu sehen, dass sich diese Bezeichnungen - nicht in allen Fällen, aber doch in vielen Fällen - auch gewandelt haben. Das, was vorher 'einfach' hieß oder 'Crybaby' oder was auch immer heißt heute in vielen Fällen 'Storymode', was erstmal normativ nicht so stark aufgeladen ist, sondern was darauf hinweist: Okay, Du möchtest an diesem Spiel vor allem die Geschichte genießen."
    Die Angst vor Gelegenheitsspielern
    Die Abwertung des niedrigen Schwierigkeitsgrads hat vor allem damit zu tun, dass viele Hardcore Gamer fürchten, dass die Spieleindustrie zukünftig nur noch die Interessen der Gelegenheitsspieler bedienen wird. Unter ihnen herrscht die Einstellung vor, dass ein gutes Spiel den Spieler zwingt, sich zu verbessern, gleichsam mit dem Helden auf die Reise zu gehen und über sich hinauszuwachsen - und dass Spannung im Spiel nur aufkommen kann, wenn durch ein Game Over die Möglichkeit des Scheiterns besteht.
    Benjamin Beil: "Aber es gibt eben auch eine ganze Reihe von Spielern, die vielleicht was anderes in Computerspielen suchen, die zum Beispiel die Geschichte genießen wollen, die Welt genießen wollen, die auch abschalten wollen in der Spielwelt und dann nicht eben alle fünf Minuten das Game Over sehen wollen."
    Der Schwierigkeitsgrad der Games war aber immer auch schon mit der finanziellen Seite der Spieleindustrie verknüpft. Zur Zeit der Arcade Games mussten die Titel sehr schwierig sein, damit die Spieler immer weiter Münzen in den Automaten warfen. Heute geht es vor allem darum, möglichst viele Titel zu verkaufen - hinzu kommt, dass die Demografie der Kundschaft sich verändert hat.
    Benjamin Beil: "Dieser wählbare Schwierigkeitsgrad ist aus meiner Sicht vor allem ein Angebot, die Zielgruppe auszuweiten, also dass ich quasi nicht schon mit dem Starten des Spiels im Grunde die Hälfte der Spielerschaft ausschließe, weil sie nicht mehr die Reaktionsfähigkeiten hat, weil sie vielleicht auch einfach nicht die Zeit hat, jetzt den Endgegner mit 20 oder 30 Versuchen zu besiegen."
    Trend zum Casual Gaming
    Für Freunde schwerer Spiele muss dieser Trend zum Casual Gaming aber nicht zwangsläufig eine Bedrohung sein - eine Nische hat zum Beispiel die Dark-Souls-Reihe für sich entdeckt. In der durchstreift man eine von allerlei finsteren Gestalten bewohnte Fantasy-Welt und bekämpft Untote, Monster und sogar Drachen. Häufiges Sterben ist dabei die Regel.
    Benjamin Beil: "Also, die Dark-Souls-Reihe, wenn die einfach nur schwierig wäre, wäre sie nicht so erfolgreich. Sondern sie kombiniert halt den Schwierigkeitsgrad mit einer bestimmten Atmosphäre in der Spielwelt - und auch mit einer bestimmten Spiellogik, die in dieser Spielwelt aufgegriffen wird. Also quasi diese ewige Wiederkehr gehört tatsächlich zum Mythos von Dark Souls und macht dort irgendwie Sinn."
    Und obwohl der Discovery Mode in Assassin's Creed Origins für viele ein Grund zum Spott war, ist Origins auch der erste Titel der Reihe, der einen hohen Schwierigkeitsgrad anbietet - und ein neues Kampfsystem, das erheblich anspruchsvoller ausfällt als bisher - und verdächtig an Dark Souls erinnert.