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Schwimmen als Asthmarisiko

Umwelt. – Das Schwimmen in öffentlichen Hallenbädern kann ungewollte Risiken mit sich bringen. Das zur Wasserdesinfektion eingesetzte Chlor bildet mit den Ausscheidungen der Badegäste den Reizstoff Chlorstickstoff, der zu Asthmaanfällen reizen kann.

30.05.2003
    Von Volker Mrasek

    Die belgischen Forscher rücken von ihrer These aus dem Jahr 2001 nicht ab. Im Gegenteil: Durch weitere Untersuchungen fühlen sie sich in ihrer Annahme bestärkt: Der häufige Besuch von Hallenbädern mit gechlortem Badewasser schlägt demnach auf die Lunge. Bei Kindern erhöhe sich dadurch möglicherweise das Risiko für Asthma. Der Leiter der Arbeitsgruppe Alfred Bernard, Professor für Toxikologie an der Katholischen Universität Löwen:

    Unsere Studie zeigt klar: In gechlorten Hallenbädern können große Mengen Chlor-Stickstoff entstehen, vor allem wenn die Bäder gut besucht und schlecht gelüftet sind. Chlor-Stickstoff ist ein Gas, das die Lunge schädigt, insbesondere das Epithel, also die innere Schutzschicht der Bronchien. Man sollte damit beginnen, die Konzentration dieses Gases zu kontrollieren. Denn es ist der Luftschadstoff, dem unsere Kinder vermutlich am stärksten ausgesetzt sind. Unter Umständen könnte er sogar erklären, warum Asthma in westlichen Ländern zunimmt.

    Der Lungen-Schadstoff ist nicht das Desinfektionsmittel. Er entsteht unfreiwillig. Und zwar dann, wenn das dem Wasser zugesetzte Chlor über Zwischenschritte mit den Ausscheidungen der Badegäste reagiert, zum Beispiel mit Schweiß und Urin. Deshalb sind die Konzentrationen von Chlor-Stickstoff um so höher, je mehr Badegäste sich im Hallenbad tummeln.

    Keines der heute bekannten Desinfektions-Nebenprodukte komme in so hohen Konzentrationen in der Bäder-Luft vor wie Chlor-Stickstoff, sagt Bernard. Dennoch werde es bisher nicht gemessen. Das Gas nachzuweisen sei analytisch auch sehr schwierig. Nur wenige Labors beherrschten dieses Kunststück.

    Die Studie der Belgier lief im Rahmen des EU-Projektes "Helios". Sein Ziel war es, neue Methoden zu entwickeln, um Atemwegs-Schädigungen elegant nachzuweisen, das heißt: ohne gleich eine Gewebeprobe aus der Lunge entnehmen zu müssen. Das ist auch gelungen. Bernard:

    Wir benutzen dabei Eiweiß-Moleküle aus der Lunge als sogenannte Biomarker. Wir messen ihre Menge im Blut. Normalerweise ist sie sehr gering. Findet man erhöhte Werte, dann ist das ein Zeichen dafür, dass das Lungen-Epithel angegriffen ist, dass es seine Funktion als Schutzbarriere zwischen Atemtrakt und Blutkreislauf nicht mehr richtig ausübt. Denn sonst würden ja nicht plötzlich mehr Lungenproteine ins Blut übertreten. Mit diesem Biomarker-Test bekommen wir das erste Mal Einblick in die tiefe Lunge und die Effekte, die Luftschadstoffe dort auslösen.

    Bernards Arbeitsgruppe nahm über 200 belgischen Schulkindern Blutproben ab und wandte den neuen Biomarker-Test darauf an. Laut dem Toxikologen zeigte sich dabei: Die häufigsten Hallenbad-Gäste unter den Mädchen und Jungen hatten auch die größten Mengen der Lungen-Proteine im Blut. Und damit auch das am stärksten angegriffene Lungenepithel, wie die Forscher folgern.

    Ihre Befürchtung ist nun: Giftiger Chlor-Stickstoff in der Hallenbad-Luft lässt die Schutzschicht der Bronchien durchlässiger werden. Dadurch könnten Stoffe, die Allergien auslösen, leichter in den Körper gelangen. Vielleicht sei das die Ursache für die heute hohen Zahlen von allergischem Asthma unter Kindern. Die große Frage ist nun: Wieviel Chlor-Stickstoff steckt in deutschen Hallenbädern? Bernard

    Als der Asthma-Verdacht vor zwei Jahren erstmals aufkam, hieß es: Deutschland sei ein "Niedrig-Chlor-Land", die Grenzwerte viel strenger als etwa in Belgien. Doch ist das eine Garantie für geringe Chlor-Stickstoff-Gehalte in der Luft? Überfüllte und schlecht gelüftete Hallenbäder gibt es sicher auch zwischen Flensburg und Oberstdorf. Unter Umständen erreicht das Lungengift auch dort kritische Werte.

    Ein Forschungsprojekt über Desinfektions-Nebenprodukte läuft auch in Deutschland. Auftraggeber ist das Bundesforschungsministerium. Man darf gespannt sein, wie die Projekt-Wissenschaftler auf die neue belgische Studie reagieren ...