Das Stadtbad Wilmersdorf, im Südwesten Berlins. Klaus Wittke steht im Foyer und zieht eine Karte über einen Scanner. Nach und nach schieben sich 13 Männer und zwei Frauen durch ein Drehkreuz. Sie sind Mitglieder der Schwimmgruppe "Positeidon". Ihr Name ist eine Abwandlung von Poseidon, dem Gott des Meeres in der Griechischen Mythologie. Klaus Wittke ist ehrenamtlicher Leiter von Positeidon, der größten Selbsthilfegruppe der Berliner Aidshilfe, gegründet 1990.
"Und zwar unter dem Hintergrund, dass damals die ersten HIV-Positiven, die dann schwimmen gegangen sind, in der Öffentlichkeit ein bisschen gemieden wurden, weil die Leute natürlich noch nicht so aufgeklärt waren. Und jeder hatte Angst: ach, da könnte man sich anstecken, wenn man denen zusammen schwimmen geht. Auch von den Positiven selber waren oft Ressentiments da, weil sie dann auch sichtbare Hautausschläge hatten, und trauten sich von sich aus auch nicht in die Öffentlichkeit."
1990, in der Gründungszeit von Positeidon, bestimmen Hysterie und Unwissenheit die Debatte um HIV und Aids. Die Mitglieder werden in den Bädern kritisch beobachtet, müssen Beschimpfungen und Drohungen über sich ergehen lassen. Bademeister verweigern ihren Dienst, weil sie sich vor einer Ansteckung fürchten. Demonstrativ laufen sie mit Desinfektionsmittel durch die Halle. Daraufhin ziehen sich einige Mitglieder zurück.
"Und diesen Bann hat seinerzeit die Anne Momper gebrochen, das ist die Gattin des damaligen Regierenden Bürgermeisters Walter Momper in Berlin. Und sie ist dann im Juni 1990 in unserem Stammschwimmbad in der Krummen Straße öffentlichkeitswirksam, das heißt, mit Presse, mit Positiven schwimmen gegangen. Und das hat eben diese Wirkung gebracht. Das hat man gezeigt hat: Seht her, ich trau mich auch mit denen ins Wasser, dann könnt ihr das auch machen."
Das Stadtbad Wilmersdorf ist gut gefüllt, Schulkinder schwimmen neben Senioren. Dazwischen krault Klaus Wittke mit kräftigen Zügen durchs Becken. Der 57-Jährige ist mittelgroß, von gedrungener Statur. Wittke erhält seine HIV-Diagnose 1994, als Verwaltungsbeamter lässt er sich pensionieren. Das Schwimmen ist für ihn der Startschuss, um in die Offensive zu gehen.
25 Millionen Menschen sind weltweit an Aids gestorben. Die Medizin ermöglicht mittlerweile eine fast normale Lebenserwartung. Viel wurde über das Virus erforscht, doch es gibt noch immer Neuigkeiten. Zum Beispiel im Sport, wie Professor Jürgen Rockstroh berichtet. Er ist Infektiologe an der Universitätsklinik Bonn und Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft. Rockstroh führt mit der Sporthochschule Köln eine Studie durch.
"Gibt ja viele Hinweise, dass wie ein Mensch sich fühlt, ein Einfluss auf das Immunsystem hat und alles, was einen sich gut fühlen lässt, kann also auch einen Einfluss haben. Insofern glauben wir, dass Sport eben tatsächlich möglicherweise günstige Eigenschaften hat. Und erste Zwischenanalysen zeigen, dass in der Tat das Immunsystem sich unter so einer sportlichen Belastung wie einem Marathon tatsächlich eher positiv entwickelt. Und das ist für uns natürlich eine ganz große Überraschung und solche Arbeiten sind bislang noch nicht durchgeführt worden. Ich denke schon, dass das dazu führen wird, dass man einen natürlichen Umgang mit HIV und Sport finden wird."
Nach einer Stunde Schwimmen treffen sich die Mitglieder von Positeidon in der Umkleidekabine. Sie sind erschöpft, haben Glückshormone freigesetzt. Nun sprechen sie über ihren Alltag. Die Themen haben sich über die Jahre verändert. Anfangs entbrannten hitzige Diskussionen über Therapierezepte, Arztempfehlungen, Pillendosierungen. Die Fluktuation der Gruppe war enorm, Mitglieder starben oder fühlten sich zu schwach. Die Beständigkeit wächst jedoch von Jahr zu Jahr. Über 90 Mitglieder hat Positeidon zurzeit, die jüngsten sind dreißig Jahre alt, die ältesten über 70. Klaus Wittke hält den Betrieb am Laufen.
"Insbesondere wenn wir im Sommer eine Sommerpause haben, dann schließen die Bäder, in der Regel sind es immer zwei Monate, die dann das Hallenbad geschlossen ist. Und der Zeit biete ich dann auch viele Ausflüge an, jedes Jahr was anderes, mindestens alle 14 Tage etwas anderes, dass auch in diesen zwei Monaten die Gruppe nicht auseinander fällt, das also immer der Kontakt dableibt. Und es haben sich auch schon Freundschaften entwickelt innerhalb der Gruppe, ja sogar Paare haben sich gefunden."
Die Mitglieder von Positeidon schaffen sich im Schwimmbad ihre eigene Öffentlichkeit – trotzdem bleiben sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die meisten trauen sich nicht in ein gewöhnliches Fitnessstudio oder in den Fußballklub um die Ecke. Manchmal ist Klaus Wittke ein schwimmender Seelsorger. Er hört Geschichten, die von Angriffen und Ausgrenzung handeln, von Mobbing und Diskriminierung. Einige Mitglieder sind auf die Schwimmgruppe angewiesen, die von der Berliner Aidshilfe getragen wird – sie können sich keine Mitgliedbeiträge für Sport leisten.
"Es arbeiten auch viele weiter, manche auch aus den Gründen, weil sie es auch wollen, weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, viele aber auch, und das erlebe ich in der Gruppe immer wieder, die sich aus finanziellen Gründen einfach nicht leisten können, zu Hause zu bleiben und so zu leben, dass sie mit ihrem Alltag zurecht kommen."
Wie viele Sportler sind gezwungen, im Verborgenen mit dem Virus zu leben? In der Handball-Verbandsliga, in der Betriebs-Gymnastikgruppe, im Turnverein? Der organisierte Breitensport hat nie ein klares Konzept entworfen, wie er mit HIV-Positiven umgehen soll. Angebote wie jene von Positeidon sind in Berlin selten, in Kleinstädten oder auf dem Land sucht man sie vergeblich.
"Und zwar unter dem Hintergrund, dass damals die ersten HIV-Positiven, die dann schwimmen gegangen sind, in der Öffentlichkeit ein bisschen gemieden wurden, weil die Leute natürlich noch nicht so aufgeklärt waren. Und jeder hatte Angst: ach, da könnte man sich anstecken, wenn man denen zusammen schwimmen geht. Auch von den Positiven selber waren oft Ressentiments da, weil sie dann auch sichtbare Hautausschläge hatten, und trauten sich von sich aus auch nicht in die Öffentlichkeit."
1990, in der Gründungszeit von Positeidon, bestimmen Hysterie und Unwissenheit die Debatte um HIV und Aids. Die Mitglieder werden in den Bädern kritisch beobachtet, müssen Beschimpfungen und Drohungen über sich ergehen lassen. Bademeister verweigern ihren Dienst, weil sie sich vor einer Ansteckung fürchten. Demonstrativ laufen sie mit Desinfektionsmittel durch die Halle. Daraufhin ziehen sich einige Mitglieder zurück.
"Und diesen Bann hat seinerzeit die Anne Momper gebrochen, das ist die Gattin des damaligen Regierenden Bürgermeisters Walter Momper in Berlin. Und sie ist dann im Juni 1990 in unserem Stammschwimmbad in der Krummen Straße öffentlichkeitswirksam, das heißt, mit Presse, mit Positiven schwimmen gegangen. Und das hat eben diese Wirkung gebracht. Das hat man gezeigt hat: Seht her, ich trau mich auch mit denen ins Wasser, dann könnt ihr das auch machen."
Das Stadtbad Wilmersdorf ist gut gefüllt, Schulkinder schwimmen neben Senioren. Dazwischen krault Klaus Wittke mit kräftigen Zügen durchs Becken. Der 57-Jährige ist mittelgroß, von gedrungener Statur. Wittke erhält seine HIV-Diagnose 1994, als Verwaltungsbeamter lässt er sich pensionieren. Das Schwimmen ist für ihn der Startschuss, um in die Offensive zu gehen.
25 Millionen Menschen sind weltweit an Aids gestorben. Die Medizin ermöglicht mittlerweile eine fast normale Lebenserwartung. Viel wurde über das Virus erforscht, doch es gibt noch immer Neuigkeiten. Zum Beispiel im Sport, wie Professor Jürgen Rockstroh berichtet. Er ist Infektiologe an der Universitätsklinik Bonn und Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft. Rockstroh führt mit der Sporthochschule Köln eine Studie durch.
"Gibt ja viele Hinweise, dass wie ein Mensch sich fühlt, ein Einfluss auf das Immunsystem hat und alles, was einen sich gut fühlen lässt, kann also auch einen Einfluss haben. Insofern glauben wir, dass Sport eben tatsächlich möglicherweise günstige Eigenschaften hat. Und erste Zwischenanalysen zeigen, dass in der Tat das Immunsystem sich unter so einer sportlichen Belastung wie einem Marathon tatsächlich eher positiv entwickelt. Und das ist für uns natürlich eine ganz große Überraschung und solche Arbeiten sind bislang noch nicht durchgeführt worden. Ich denke schon, dass das dazu führen wird, dass man einen natürlichen Umgang mit HIV und Sport finden wird."
Nach einer Stunde Schwimmen treffen sich die Mitglieder von Positeidon in der Umkleidekabine. Sie sind erschöpft, haben Glückshormone freigesetzt. Nun sprechen sie über ihren Alltag. Die Themen haben sich über die Jahre verändert. Anfangs entbrannten hitzige Diskussionen über Therapierezepte, Arztempfehlungen, Pillendosierungen. Die Fluktuation der Gruppe war enorm, Mitglieder starben oder fühlten sich zu schwach. Die Beständigkeit wächst jedoch von Jahr zu Jahr. Über 90 Mitglieder hat Positeidon zurzeit, die jüngsten sind dreißig Jahre alt, die ältesten über 70. Klaus Wittke hält den Betrieb am Laufen.
"Insbesondere wenn wir im Sommer eine Sommerpause haben, dann schließen die Bäder, in der Regel sind es immer zwei Monate, die dann das Hallenbad geschlossen ist. Und der Zeit biete ich dann auch viele Ausflüge an, jedes Jahr was anderes, mindestens alle 14 Tage etwas anderes, dass auch in diesen zwei Monaten die Gruppe nicht auseinander fällt, das also immer der Kontakt dableibt. Und es haben sich auch schon Freundschaften entwickelt innerhalb der Gruppe, ja sogar Paare haben sich gefunden."
Die Mitglieder von Positeidon schaffen sich im Schwimmbad ihre eigene Öffentlichkeit – trotzdem bleiben sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die meisten trauen sich nicht in ein gewöhnliches Fitnessstudio oder in den Fußballklub um die Ecke. Manchmal ist Klaus Wittke ein schwimmender Seelsorger. Er hört Geschichten, die von Angriffen und Ausgrenzung handeln, von Mobbing und Diskriminierung. Einige Mitglieder sind auf die Schwimmgruppe angewiesen, die von der Berliner Aidshilfe getragen wird – sie können sich keine Mitgliedbeiträge für Sport leisten.
"Es arbeiten auch viele weiter, manche auch aus den Gründen, weil sie es auch wollen, weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, viele aber auch, und das erlebe ich in der Gruppe immer wieder, die sich aus finanziellen Gründen einfach nicht leisten können, zu Hause zu bleiben und so zu leben, dass sie mit ihrem Alltag zurecht kommen."
Wie viele Sportler sind gezwungen, im Verborgenen mit dem Virus zu leben? In der Handball-Verbandsliga, in der Betriebs-Gymnastikgruppe, im Turnverein? Der organisierte Breitensport hat nie ein klares Konzept entworfen, wie er mit HIV-Positiven umgehen soll. Angebote wie jene von Positeidon sind in Berlin selten, in Kleinstädten oder auf dem Land sucht man sie vergeblich.