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Schwimmen
Revolution im Schwimmsport?

Am Mittwoch beginnen die Kurzbahn-Europameisterschaften in Israel. Wegen der Sicherheitslage werden einige deutsche Spitzenschwimmer auf die EM verzichten. Insgesamt geht der Schwimmsport – vor allem der Weltschwimmverband FINA – unruhigen Zeiten entgegen.

Von Andrea Schültke | 28.11.2015
    Marco Koch holt die Goldmedaille im 200-Meter-Brustschwimmen bei den Weltmeisterschaften im russischen Kasan am 07 August 2015. Photo: Martin Schutt/dpa
    Olympia ohne Schwimmen? (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Startsignal für eine Revolution. Seit zweieinhalb Monaten laufen ganz offiziell die Vorbereitungen für eine Trennung: Die Disziplin Schwimmen will raus aus dem Zusammenschluss mit Wasserball, Synchron- und Langstreckenschwimmen und Turmspringen, also raus aus dem Weltverband FINA. Deshalb soll es ab September 2017 einen neuen Weltverband geben: die World Swimming Association. Einer der Mit-Gestalter ist der ehemalige Schwimm-Bundestrainer Niels Bouws. Der gebürtige Niederländer nennt die Beweggründe der Organisatoren:
    "Ein Teil davon ist Unzufriedenheit, was man auch in anderen Verbänden sieht, Leichtathletik, Fußball mit dem finanziellen Status und die Weise, wie auch in die Finanzen in der FINA geregelt wird."
    Nur einer von vielen Kritikpunkten. Niels Bouws ist Vorstandsmitglied der Welt-Schwimmtrainervereinigung in den USA. Mit knapp 18.000 Mitgliedern ist sie die Heimat der größten FINA-Kritiker - allen voran John Leonard, Geschäftsführer der Trainer-Vereinigung. Der US-Amerikaner und seine Mitstreiter hätten lange versucht, die Probleme im Weltverband mit der FINA gemeinsam zu lösen. Vergeblich, schildert Niels Bouws:
    "Der schreibt dann an den Verband, bekommt überhaupt kein Antwort. Im Anfang hat er Vorschläge gemacht, positive Vorschläge, wie man Sachen verbessern kann: Keine Antwort!"
    Adressat der Schreiben sei Cornel Marculescu gewesen. Der ehemalige Wasserball-Nationalspieler aus Rumänien ist seit fast 30 Jahren Generalsekretär der FINA. Für die Kritiker ist er der Mann, der in der FINA das Sagen hat. Auch bei der umstrittenen Vergabe des höchsten FINA-Ordens im Jahr 2014 an Vladimir Putin, glaubt Nils Bouws:
    "Eine andere Sache, die wir festgestellt haben, dass es gar nicht in FINA besprochen worden ist, dass der Putin die höchste Auszeichnung bekommen hat von der FINA. Da hat man gesagt: Warum Putin? Ist das, dass die Meisterschaften da durchgeführt werden in Russland, ist das der Grund gewesen?"
    Denn vor vier Monaten fanden die Weltmeisterschaften im russischen Kasan statt. Kritiker werfen der FINA Intransparente Strukturen vor, keine Offenlegung der Finanzen und Vetternwirtschaft. Die Probleme anderer Verbände etwa mit Korruption können sich viele auch im Schwimmsport vorstellen. Chef-Bundestrainer Henning Lambertz:
    "Wenn es im Fußball und in der Leichtathletik denkbar ist, dann wüsste ich nicht, warum es im Schwimmen nicht denkbar sein sollte, ja!"
    Und dann noch die indiskutable Anti-Doping-Politik der FINA. Sie lässt die nationalen Verbände bei dubiosen Entscheidungen einfach gewähren: Letzte Aufreger: verkürzte Doping-Sperren für einen chinesischen Olympiasieger und eine russische Weltrekordlerin. So konnten beide an der WM im Sommer in Russland teilnehmen – ohne Einspruch der FINA. Der neue Verband hat in seinen Veröffentlichungen den sauberen Schwimmsport ganz oben auf seine Agenda gesetzt. Zustimmung zum Beispiel von der früheren Athletensprecherin der deutschen Schwimmer, Dorothea Brandt:
    "Wenn das das Ziel dieser Vereinigung ist, fernab von Korruption und positiven Tests, dann ist das eine unterstützenswerte Sache.
    Wenn die Schwimmwelt da wirklich zusammensteht, dann hat das wirklich Potenzial bzw. dann gibt es die Möglichkeit, dass da wirklich was draus erwächst. Und dann muss sich auch die FINA fügen. Denn Olympische Spiele ohne Beckenschwimmen, das wäre eine Katastrophe."
    Will heißen: wenn sich die größten und erfolgreichsten Schwimmnationen zusammenschließen, kann das Internationale Olympische Komitee wohl nicht auf sie verzichten und müsste den neuen Weltverband in die Olympische Familie aufnehmen.
    Olympia ohne die Kernsportart Schwimmen scheint ein Druckmittel der FINA-Kritiker zu sein. So kursiert ein Aufruf an Schwimmer und Trainer, die Olympischen Spiele in Rio zu boykottieren, falls die derzeit suspendierten russischen Leichtathleten dort starten dürften. Für Dorothea Brandt nicht sinnvoll. Sie wirbt eher dafür, trotz eines Protestverbots bei Olympia vor Ort in Rio aktiv zu werden und sich zum Beispiel gegen Doping zu positionieren:
    "Und wenn es ein gemeinsames Zeichen auf dem Anzug ist oder eine Farbe, mit der man sich ganz bewusst kleidet und sich dadurch zu einer Gruppe bekennt, die für etwas steht, dann ist das ein kleiner Anfang. Ich kann immer was sagen, wenn ich dazu stehe und wenn das verboten wird, haben wir noch ein weitaus größeres Problem, als die Probleme die wir jetzt haben."
    Ein ganz konkretes Problem der Athleten mit ihrem Weltverband: die Ansetzung der olympischen Schwimmwettbewerbe in Rio. Bisher hat die FINA offenbar nicht gegen die derzeitige Planung interveniert.
    Danach sollen die Endläufe erst um 22 Uhr Ortszeit beginnen und bis nachts dauern:
    "Das ist ein Punkt, bei dem ich mich von der FINA, vom Weltverband nicht gut vertreten fühle und mir wünschen würde, dass sich dieser da für die Athleten stärker einsetzt und die Zeiten der Vor- und Endläufe an den normalen Tagesablauf anpasst und nicht an die Übertragungszeiten in anderen Kontinenten."
    Eine Planung gegen die Athleten – soweit soll es im neuen Welt-Schwimm-Verband gar nicht kommen. Denn der sieht im Entwurf seines Regelwerks Mitbestimmung vor - Athleten als Mitglieder in allen entscheidenden Gremien.
    Die Revolution im Schwimmsport hat begonnen.