Coach I verschwindet. Und Coach II tritt an ihre Seite, zuständig für das Vermarkten abgewirtschafteter Sportstars. Er verschafft ihr Aufträge. Das übliche: Milchwerbung, Talkshows, Modeln. Schließlich, als der Promifaktor schwindet, bleibt nur die Vermarktung als PinUp. Vorletzte Stufe des Abstiegs. Sie weigert sich. Und als wolle sie nichts mehr von ihrer Vergangenheit wissen, verschenkt sie sämtliche Medaillen an einer Bushaltestelle. Und kommt für dieses unbotmäßige Verhalten in die Psychiatrie.
"Es war," lässt der Autor Bill Broady seinen Erzähler sagen "als hättest du eine Wunderlampe geschenkt bekommen, sie gerieben und Schönheit und Ruhm erlangt und dann als dritten Wunsch Wahnsinn gewählt." Noch einmal Broady:
Es klingt vielleicht wie ein Klischee, aber die weisesten Leute, die ich kenne, sind die, die mal ganz unten waren, die versucht haben sich umzubringen oder verrückt wurden. Es sind Leute, deren Sensibilität, deren überbordende Gefühle es ihnen unmöglich machen, einen Platz in der Welt zu finden. Wahnsinn ist eine logische Antwort auf Lebensbedingungen, mit denen ein Mensch nicht mehr zurechtkommt. Es ist wie bei der Schwimmerin im Buch: Für sie gibt es schließlich keinen anderen Ort mehr als den Wahnsinn. Es ist der logische letzte Schritt ihrer Karriere.
Broady, der Fußball und Cricket liebt, aber kaum schwimmen kann, gesteht freimütig, daß er auch zu denen zu gehört, die schon nervlich ganz unten waren. Hypersensibel sei er - ein Erbe mütterlicherseits. Sein Vater, vor sechs Jahren an Krebs gestorben, war Kunstliebhaber und Seemann.
Broady, der schon als Croupier, Kartograph für Shell und als Sozialarbeiter jobbte, unterrichtet an den Unis von Manchester und Bradford "Creative Writing". Er schreibt gerade an seinem zweiten Roman Eternity is temporary über einen Parkinson-Kranken.
Der 46-jährige Verächter fester Wohnsitze Bill Broady lebt bei Freunden in Bradford, Yorkshire oder London. Dort schreibt er auch. Schwimmerin ist sein Debut und die Geschichte ist dem wahren Leben einer Sportlerin abgeschaut:
Vor ein paar Jahren traf ich eine Leistungsschwimmerin. Die kam aus einer Welt über die ich absolut nichts wusste. Wir hatten eine sehr enge, intensive Beziehung. Aber sie hat nie viel von ihrem Leben als Schwimmerin erzählt. Ich wusste, dass sie da einige schlimme Dinge erlebt haben musste. Ich wußte es, einfach weil ich mit ihr lebte. Wissen Sie, ich brauchte nur verschiedene Hinweise, die sie mir gab, zu entschlüsseln. Und als das Buch fertig war, sagte sie: Das ist ja lustig. Nichts von dem, was ich dir erzählt habe, hast du benutzt. Dafür steht all das in dem Buch, was ich nie ausgesprochen habe.
Was nahezu jedes Sportlerinterview beweist: Sprechen ist des Sportlers Sache nicht. Dafür tut's jetzt der Schriftsteller Bill Broady - und er tut es voller Mitgefühl, Witz und Charme.
Laut Broady ist es die Aufgabe eines Schriftstellers von den verborgenen Wirklichkeiten zu erzählen. Über die Realitäten von Menschen zu berichten, über die niemand etwas weiß. Weil sie sich nicht ausdrücken können zum Beispiel, wie die "Schwimmerin". Broady ist derjenige, der sagt, was hinter der Fassade von Ruhm und Ehre, Sieg und Niederlage liegt. Nämlich wie im Falle seiner Heldin: sexuelle Ausbeutung, Geldmacherei, und die Besessenheit der Sportlerin:
Manche Leute sind einfach besessen. Das sind keine Schwächlinge, sondern Leute, die einen besonders starken Willen haben. Leute, die ihr Ziel nicht aus den Augen lassen, und deshalb immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Bei der Schwimmerin ist es so, dass sie ein leichtes Leben haben könnte, aber dieses leichte Leben würde ihr nicht die Befriedigung geben, die sie fühlt, wenn sie bis an ihr Grenzen geht und darüber hinaus. Die Welt der Leistungsschwimmer, obwohl es eine ziemlich perverse Welt ist, ist die Welt zauberhafter und extremer innerer Sensationen, die Welt einer kalten Pracht, jenseits der Schmerzgrenze. Und wer einmal da war, für den ist das angenehme Leben der normalen Leute kein Ersatz. Der will immer wieder dahin zurück.
Bill Broady, bezeichnet sich selbst als vom Schreiben besessen. "Schwimmerin" hatte er in 10 Wochen runtergeschrieben. Zur Vorbereitung hatte er sich Wim Wenders Film "Himmel über Berlin" angesehen und beim Schreiben lief wie er sagt, immer Schuberts verzweifelt-todessehnsüchtiger Liederzyklus "Winterreise."
Interessant und befremdlich ist die Perspektive, die Broady gewählt hat, um die Geschichte der Schwimmerin zu erzählen. Ein Du, ähnlich wie ein allwissendes Alter Ego oder ein lebendiger Schatten, berichtet aus Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und dem Innenleben der Heldin. Wer kürzlich Philip Pullmans fantastische Kinderbücher "His dark Materials" vorgelesen hat, fühlt sich an dessen Dämonen-Figuren erinnert - das sind veräußerlichte menschliche Seelen in Tierkörpern. Bill Broady:
Die Frage, warum ich das Buch im Vocativ geschrieben habe, kommt immer wieder. Es ist die Frage nach der zweiten Stimme, einer beunruhigenden Stimme, deren Identität ich nicht bekanntgebe. Einmal hatte ich eine Lesegruppe im Knast der nordenglischen Stadt Preston. Es waren hauptsächlich Mörder und Vergewaltiger. Ein kleiner, gefährlich aussehender Mann kam nach der Stunde zu mir, nahm meine Hand und sagte: Dein Buch da, ich weiß, wer da spricht, Mann. Es ist der Schutzengel. Jeder hat einen. Sogar ich. Und ich dachte: Der Mann, das ist es .. Er hat recht!
Broady ließ seinem Debut "Schwimmerin" in England sofort einen Band mit Kurzgeschichten folgen. DerTitel: "In this block there lives a Slag". Die Titelgeschichte spielt in Bradford, im 13. Bezirk, einem der heruntergekommenen Wohngegenden der Stadt, in der auch der Autor gelegentlich Quartier bezieht. Broady beschreibt darin den ekligen Gestank, der den Niedergang eines Viertels begleitet; Hunde, die in vollen Windeln rummuffeln, bevor sie den Babys übers Gesicht lecken; ewig kaputte Aufzüge und die Agonie der Behörden. Der links-liberale Guardian bemerkte dazu abfällig: "Die Erzählung liest sich wie der Jahresbericht eines Sozialarbeiters." Nun war Broady ja tatsächlich Sozialarbeiter und aus dieser Zeit scheint ihm ein Faible für Leute geblieben, die von den Umständen stumm gemacht wurden. Er ist ein sozial engagierter Autor, der aber keinesfalls in die Schublade "sozialistischer Realismus" gehört. Er zeigt nicht das Opfer als Helden und Identifikationsfigur für eine künftige gesellschaftliche Umwälzung. Er zeigt das Opfer, wie es an seiner Rolle festhält, wie es gelähmt sich den Geiern zum Fraß anbietet. Das Opfer, wie es in einem Netz bösartiger oder wohlmeinender Beziehungen zappelt und sich nicht befreien kann.
Nun schreibt er an zwei Romanen gleichzeitig. Einer wird heißen Eternity is temporary und von einem Mann handeln, der an Parkinson erkrankt ist.
Vielleicht nicht gesund für ihn, aber gut für uns, daß Broady so schreibwütig ist. Denn dieser Mann scheint die seltene Gabe zu besitzen, andere Menschen ganz in sich aufzunehmen, um ihren Seelen eine Stimme zu geben. Eine Stimme, der man glaubt. Er ist wie der Schnee, von dem im sechsten Stück der Schubertschen Winterreise die Rede ist: Manch Trän' aus meinen Augen/ ist gefallen in den Schnee; / Seine Flocken saugen/ durstig ein das heiße Weh.
Leute, die das können und dazu noch schreiben, gibt's heute zu wenige. Also bitte, wenn wir uns was wünschen dürfen, dann: mehr davon.
"Es war," lässt der Autor Bill Broady seinen Erzähler sagen "als hättest du eine Wunderlampe geschenkt bekommen, sie gerieben und Schönheit und Ruhm erlangt und dann als dritten Wunsch Wahnsinn gewählt." Noch einmal Broady:
Es klingt vielleicht wie ein Klischee, aber die weisesten Leute, die ich kenne, sind die, die mal ganz unten waren, die versucht haben sich umzubringen oder verrückt wurden. Es sind Leute, deren Sensibilität, deren überbordende Gefühle es ihnen unmöglich machen, einen Platz in der Welt zu finden. Wahnsinn ist eine logische Antwort auf Lebensbedingungen, mit denen ein Mensch nicht mehr zurechtkommt. Es ist wie bei der Schwimmerin im Buch: Für sie gibt es schließlich keinen anderen Ort mehr als den Wahnsinn. Es ist der logische letzte Schritt ihrer Karriere.
Broady, der Fußball und Cricket liebt, aber kaum schwimmen kann, gesteht freimütig, daß er auch zu denen zu gehört, die schon nervlich ganz unten waren. Hypersensibel sei er - ein Erbe mütterlicherseits. Sein Vater, vor sechs Jahren an Krebs gestorben, war Kunstliebhaber und Seemann.
Broady, der schon als Croupier, Kartograph für Shell und als Sozialarbeiter jobbte, unterrichtet an den Unis von Manchester und Bradford "Creative Writing". Er schreibt gerade an seinem zweiten Roman Eternity is temporary über einen Parkinson-Kranken.
Der 46-jährige Verächter fester Wohnsitze Bill Broady lebt bei Freunden in Bradford, Yorkshire oder London. Dort schreibt er auch. Schwimmerin ist sein Debut und die Geschichte ist dem wahren Leben einer Sportlerin abgeschaut:
Vor ein paar Jahren traf ich eine Leistungsschwimmerin. Die kam aus einer Welt über die ich absolut nichts wusste. Wir hatten eine sehr enge, intensive Beziehung. Aber sie hat nie viel von ihrem Leben als Schwimmerin erzählt. Ich wusste, dass sie da einige schlimme Dinge erlebt haben musste. Ich wußte es, einfach weil ich mit ihr lebte. Wissen Sie, ich brauchte nur verschiedene Hinweise, die sie mir gab, zu entschlüsseln. Und als das Buch fertig war, sagte sie: Das ist ja lustig. Nichts von dem, was ich dir erzählt habe, hast du benutzt. Dafür steht all das in dem Buch, was ich nie ausgesprochen habe.
Was nahezu jedes Sportlerinterview beweist: Sprechen ist des Sportlers Sache nicht. Dafür tut's jetzt der Schriftsteller Bill Broady - und er tut es voller Mitgefühl, Witz und Charme.
Laut Broady ist es die Aufgabe eines Schriftstellers von den verborgenen Wirklichkeiten zu erzählen. Über die Realitäten von Menschen zu berichten, über die niemand etwas weiß. Weil sie sich nicht ausdrücken können zum Beispiel, wie die "Schwimmerin". Broady ist derjenige, der sagt, was hinter der Fassade von Ruhm und Ehre, Sieg und Niederlage liegt. Nämlich wie im Falle seiner Heldin: sexuelle Ausbeutung, Geldmacherei, und die Besessenheit der Sportlerin:
Manche Leute sind einfach besessen. Das sind keine Schwächlinge, sondern Leute, die einen besonders starken Willen haben. Leute, die ihr Ziel nicht aus den Augen lassen, und deshalb immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Bei der Schwimmerin ist es so, dass sie ein leichtes Leben haben könnte, aber dieses leichte Leben würde ihr nicht die Befriedigung geben, die sie fühlt, wenn sie bis an ihr Grenzen geht und darüber hinaus. Die Welt der Leistungsschwimmer, obwohl es eine ziemlich perverse Welt ist, ist die Welt zauberhafter und extremer innerer Sensationen, die Welt einer kalten Pracht, jenseits der Schmerzgrenze. Und wer einmal da war, für den ist das angenehme Leben der normalen Leute kein Ersatz. Der will immer wieder dahin zurück.
Bill Broady, bezeichnet sich selbst als vom Schreiben besessen. "Schwimmerin" hatte er in 10 Wochen runtergeschrieben. Zur Vorbereitung hatte er sich Wim Wenders Film "Himmel über Berlin" angesehen und beim Schreiben lief wie er sagt, immer Schuberts verzweifelt-todessehnsüchtiger Liederzyklus "Winterreise."
Interessant und befremdlich ist die Perspektive, die Broady gewählt hat, um die Geschichte der Schwimmerin zu erzählen. Ein Du, ähnlich wie ein allwissendes Alter Ego oder ein lebendiger Schatten, berichtet aus Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und dem Innenleben der Heldin. Wer kürzlich Philip Pullmans fantastische Kinderbücher "His dark Materials" vorgelesen hat, fühlt sich an dessen Dämonen-Figuren erinnert - das sind veräußerlichte menschliche Seelen in Tierkörpern. Bill Broady:
Die Frage, warum ich das Buch im Vocativ geschrieben habe, kommt immer wieder. Es ist die Frage nach der zweiten Stimme, einer beunruhigenden Stimme, deren Identität ich nicht bekanntgebe. Einmal hatte ich eine Lesegruppe im Knast der nordenglischen Stadt Preston. Es waren hauptsächlich Mörder und Vergewaltiger. Ein kleiner, gefährlich aussehender Mann kam nach der Stunde zu mir, nahm meine Hand und sagte: Dein Buch da, ich weiß, wer da spricht, Mann. Es ist der Schutzengel. Jeder hat einen. Sogar ich. Und ich dachte: Der Mann, das ist es .. Er hat recht!
Broady ließ seinem Debut "Schwimmerin" in England sofort einen Band mit Kurzgeschichten folgen. DerTitel: "In this block there lives a Slag". Die Titelgeschichte spielt in Bradford, im 13. Bezirk, einem der heruntergekommenen Wohngegenden der Stadt, in der auch der Autor gelegentlich Quartier bezieht. Broady beschreibt darin den ekligen Gestank, der den Niedergang eines Viertels begleitet; Hunde, die in vollen Windeln rummuffeln, bevor sie den Babys übers Gesicht lecken; ewig kaputte Aufzüge und die Agonie der Behörden. Der links-liberale Guardian bemerkte dazu abfällig: "Die Erzählung liest sich wie der Jahresbericht eines Sozialarbeiters." Nun war Broady ja tatsächlich Sozialarbeiter und aus dieser Zeit scheint ihm ein Faible für Leute geblieben, die von den Umständen stumm gemacht wurden. Er ist ein sozial engagierter Autor, der aber keinesfalls in die Schublade "sozialistischer Realismus" gehört. Er zeigt nicht das Opfer als Helden und Identifikationsfigur für eine künftige gesellschaftliche Umwälzung. Er zeigt das Opfer, wie es an seiner Rolle festhält, wie es gelähmt sich den Geiern zum Fraß anbietet. Das Opfer, wie es in einem Netz bösartiger oder wohlmeinender Beziehungen zappelt und sich nicht befreien kann.
Nun schreibt er an zwei Romanen gleichzeitig. Einer wird heißen Eternity is temporary und von einem Mann handeln, der an Parkinson erkrankt ist.
Vielleicht nicht gesund für ihn, aber gut für uns, daß Broady so schreibwütig ist. Denn dieser Mann scheint die seltene Gabe zu besitzen, andere Menschen ganz in sich aufzunehmen, um ihren Seelen eine Stimme zu geben. Eine Stimme, der man glaubt. Er ist wie der Schnee, von dem im sechsten Stück der Schubertschen Winterreise die Rede ist: Manch Trän' aus meinen Augen/ ist gefallen in den Schnee; / Seine Flocken saugen/ durstig ein das heiße Weh.
Leute, die das können und dazu noch schreiben, gibt's heute zu wenige. Also bitte, wenn wir uns was wünschen dürfen, dann: mehr davon.