Archiv


Schwindende Aussichten

Medizin. - Der geistige Abbau beginnt schon ab dem 27. Lebensjahr - das Gedächtnis wird zunehmend schwächer. Jetzt zeigt eine US-Studie, dass mit dem Alter auch das Vermögen abnimmt, sich die Zukunft auszumalen.

Von Martin Hubert |
    Zahlreiche Studien belegen es: Je älter ein Mensch wird, desto ungenauer und detailärmer werden seine Erinnerungen an die Vergangenheit. Nun legen Untersuchungen des Psychologen Daniel L. Schacter von der amerikanischen Harvard University nahe, dass ähnliches auch gilt, wenn Menschen sich zukünftige Ereignisse vorstellen. Erstaunlicherweise hängt diese schwindende Fähigkeit, in die Zukunft zu denken, mit denselben Gedächtnisstrukturen im Gehirn zusammen, die auch für personenbezogene Erinnerungen verantwortlich sind: mit dem so genannten episodischen Gedächtnis. Schacter testete das an 17 Probanden mit einem Durchschnittsalter von 72 Jahren und verglich sie mit 17 Testpersonen, die im Schnitt 25 Jahre alt waren.

    "Wir geben ihnen ein Schlüsselwort, zum Beispiel das Wort "Fest” und bitten sie, sich zu diesem Thema ein Ereignis vorzustellen, das mal näher und mal weiter weg in der Zukunft liegt. Die Beschreibungen, die uns die älteren Versuchsteilnehmer lieferten, waren dabei viel weniger detailreich in Bezug auf die Kernelemente der Episode als bei den jüngeren Probanden. Die Älteren beschrieben die Menschen, das Essen oder die Musik auf dem Fest bei weitem nicht so reichhaltig. Nur die reinen Fakten - warum und wo zum Beispiel das Fest stattfand - schilderten sie genau so gut oder sogar noch genauer als die Jüngeren."

    Schacters Team gab den Versuchspersonen anschließend noch Listen von Wörtern, die inhaltlich kaum miteinander zusammenhingen; etwa die Wörter "Philosophie", "Hammer" und "Einkaufstasche". Nach einer bestimmten Zeit sollten die Probanden versuchen, sich auf das Schlüsselwort "Philosophie" hin auch an die anderen Wörter der Liste zu erinnern.

    "Das ist ein Test, der das Vermögen misst, neue Informationen miteinander zu verbinden. Das Ergebnis war: Je besser sich die Versuchspersonen an solche unzusammenhängenden Wörter erinnern konnten, desto detailreicher stellten sie sich auch vergangene und zukünftige Ereignisse vor."

    Daniel L. Schacter zieht aus diesen Testergebnissen zwei Schlüsse. Erstens: Offenbar ist das Gedächtnis im Gehirn, mit dessen Hilfe man sich an die Vergangenheit erinnert, auch wesentlich daran beteiligt, sich künftige Ereignisse vorzustellen. Zweitens: es ist wahrscheinlich die Fähigkeit, einzelne Informationen in größere Zusammenhänge zu integrieren, die im Gedächtnissystem dafür sorgt, dass es sowohl vergangene Erinnerungen als auch Bilder der Zukunft erzeugen kann. Schacter will in Zukunft nicht nur diese Thesen über die Rolle und den Aufbau des Gedächtnisses weiter untersuchen. Er möchte auch genauer prüfen, warum ältere Menschen die Fähigkeit verlieren, sich detailreich die Vergangenheit oder die Zukunft vorzustellen:

    "Wir sind uns über die eigentlichen Ursachen dafür noch nicht so Recht im Klaren. Die Einbußen im Alter könnten zum einen mit Defekten in einer Hirnregion namens Hippocampus zusammenhängen, die für episodische Erinnerungen sehr wichtig ist. Denn mehrere Untersuchungen zeigen bereits, dass der Hippocampus mit dem Alter in seiner Aktivität nachlässt. Das könnte aber auch dadurch bedingt sein, dass ältere Menschen über ihre Vergangenheit und ihre Zukunft einfach "energiesparender" sprechen als junge Leute. Es ist sogar möglich, dass sie eigentlich mehr Details in ihren Vorstellungen produzieren könnten, dass sie aber einfach eine andere Art und Weise vorziehen, Vergangenes und Zukünftiges zu beschreiben. Es könnte also auch einfach nur ein anderer, altersgemäßer Erzählstil sein, der weniger Inhalte aus dem Gedächtnis abruft. Das wollen wir in Zukunft untersuchen."