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Schwitzen für Mozart und Wagner

Der Festspielsommer war sehr groß, nun geht er zur Neige. Am kommenden Montag enden die Bayreuther Festspiele, die der Dramatiker Tankred Dorst mit seiner Neuinszenierung des Ring-Zyklus prägte. Die Salzburger Festspiele standen im Zeichen des Mozart-Gedenkjahres. Nach immerhin 212 Veranstaltungen an 40 Festspieltagen, Opern-, Schauspiel- und Konzertvorführungen schließen auch hier Ende August - nach viel heißem Bemühen - die Pforten.

Von Holger Noltze |
    Es ist viel geschwitzt worden für die Kultur in diesem Sommer, nicht nur weil es wirklich heiß war und zum Beispiel das Bayreuther Festspielhaus, ansonsten tiptop, immer noch über keine wirkliche Klimaanlage verfügt. Aber nicht vom Wetter wollen wir reden, sondern von der Anstrengung, und auch nicht über die des Publikums, sondern über die Kunstanstrengung, und die war gewaltig. Das lag am Kalender, der in diesem Jahr den Salzburgern das Mozartjubiläum vorschrieb, und den Bayreuthern einen komplett neuen "Ring". Mozartjahre und Ring-Neuproduktionen aber sind nicht hinterfragbar, sie kommen wie das Wetter, und über das wollten wir ja nicht reden, sondern über die Anstrengung. Über die Anstrengung, die es kostet, in solchen Jahren die Festspielfähnchen hier und da hochzuhalten: eben besonders festlich zu spielen. Sie haben aber vor allem: feste gespielt.

    In Salzburg: "Mozart 22", Peter Ruzickas verwegene Idee, in einem Sommer den ganzen Musikdramatiker Mozart zu zeigen, vom "Titus" zurück zur "Schuldigkeit des ersten Gebots" des elfjährigen (das war zwar schon 1767 ein geistliches Singspiel und keine Oper, aber doch ein Schritt drauf zu). Viel war von den logistischen Problemen zu lesen, die so ein Mozartmarathon mit sich bringt, und als man den Festspielchef am ersten Abend die Universitätsaula betreten sah, wo "Il re pastore" gezeigt wurde, da sah er aus wie ein Marathonläufer, der über die Ziellinie fällt. Geschafft! Und dann kam Thomas Hengelbrock, der diese reizende Serenata pastorale als Dirigent mit allerlei Ausrufezeichen versah - guckt mal, was Jung-Mozart da schon konnte! -, als Regisseur das Stück aber zur Kleinigkeit verschrumpfte. Am nächsten Abend umgekehrt: "Lucio Silla", auch hier geht's um Liebe und Macht; Jürgen Flimm pustete die Angelegenheit auf der riesigen Felsenreitbühne nicht eben inspiriert zur Staatsaffäre auf, während sich das Orchester des Teatro La Fenice aus Venedig mit der Partitur hörbar langweilte.

    Über die Salzburger Mozart-Anstrengung wurde viel gespottet; über den Vollständigkeitswahn, die Kunst in der Gesamtausgabe zu beerdigen. Aber immerhin: hier wurde einmal das Werk bis in die Fragmenten Winkel ausgeleuchtet, bis zur "Gans von Kairo" (auch wenn sie, in Joachim Schlömers "Irrfahrten"-Projekt, nur noch symbolisch auftauchte). Und dem verwöhnten Salzburger Hochpreis-Publikum im Mozartjubeljahr mit großenteils nie gehörten Tönen zu kommen, kombiniert mit einem zweiten Programmschwerpunkt neuer Musik - das kann man auch kühn finden. Die Ironie wollte es nun, dass ausgerechnet die Produktion, deren Zutaten den Publikumserfolg risikolos garantierten: Figaro - Netrebko - Wiener Philharmoniker - Harnoncourt, auch künstlerisch am besten gelang. Weil in Claus Guths intelligenter Regie ein perfektes Ensemble agierte, das die Hysterien um Susanna-Anna ganz einfach heilte, mit Mozartmusik. So konnte Netrebko nach außen die für das Salzburg-Marketing wichtige Rolle des erotischen Objekts allgemeiner Begierde spielen - und hat drinnen, im neuen "Haus für Mozart", die Kunst nicht gestört.

    Salzburg hat Netrebko, Bayreuth hat Linda Watson: hier wurde unterdessen weiter geschwitzt, und die Brünnhilde in Tankred Dorsts neuem "Ring" breitete, nachdem sie am Ende der "Götterdämmerung" die Welt in Brand gesetzt hat, die Arme aus wie in einer Parodie auf hohle Operngesten. Es war aber keine Parodie, sondern die fast völlige Abwesenheit von Regie, die hier für ein szenisches Debakel sorgte, das als solches auch Festspielgeschichte machen wird. Es zeigte, bis auf Ausnahmen, auch die Folgen der Bayreuther Besetzungspolitik: Absage ans "Startheater" ist eben nur dann gut, wenn man stattdessen die Besten unter den Jungen bringen kann. Als am "Walküre"-Abend ein überforderter "Siegmund" eben untergegangen war, da stand im Parkett einer auf und rief "Viva Domingo!" Das saß. Der aber erhob sich sachte und dankte für den Applaus, etwas verlegen.

    Es ist viel geschwitzt worden für die Kunst in diesem Sommer, und die Pointe ist merkwürdig: In Bayreuth, wo es, wie wir immer hören der Kunst gilt und nicht dem schönen Schein, hat die Leidensbereitschaft der Gemeinde keine Erlösung erfahren; in Salzburg, bei aller Mozartanstrengung gerade der Mainstream-Figaro den Festspiel-Anspruch erfüllt. Wer Figaro im Fernsehen geguckt hat, hat das Beste gesehen.