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Schwule auf die Straße!

1969 wehrten sich Homosexuelle in New York gegen die oft willkürliche und gewalttätige Behandlung durch die Polizei. Daraus wurde ein jährliches Massenphänomen in Form des friedlichen Christopher Street Day, der eine Gleichstellung von Schwulen und Lesben in der Gesellschaft zum Ziel hat.

Von Jens Rosbach | 27.06.2009
    "Die Christopher Street Parade in der Hauptstadt unseres Landes wird hiermit eröffnet!

    Wir gehen zum CSD, weil wir Flagge zeigen müssen. Das ist heute so erforderlich, solange es Gewalt gegen Schwule und Andersdenkende gibt, muss man dagegen was tun.

    Es ist sehr wichtig, dass wir das mit den Anderen zusammen machen, einfach weil wir sonst immer in einem durchweg heterosexuellen Umfeld uns aufhalten, wenn wir arbeiten gehen oder wenn wir zum Sport gehen oder sonst irgendwas. Und hier ist ja heute die Chance, dass wir unter unseresgleichen sind und die Chance haben wir nur einmal im Jahr zum Christopher Street Day.

    Ja diese Massen an Menschen, dieser Umzug ist ja so ein Karneval so was Ähnliches. Das reizt mich das zu sehen.

    Aber es geht um Menschenrechte. Es geht einfach um Menschenrechte. Und da ist es egal, wer mit wem im Bett landet."

    Halbnackte Männer in schwarzen Leder-Slips - oder mit rosafarbenen Plüsch-Schals. Bunt bemalte Frauen im Bikini. Und überall Sektflaschen und Regenbogenfahnen: Über eine halbe Million Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle demonstrierten heute auf dem Berliner CSD. Mit dabei: Berlins prominentester Homosexueller – SPD-Politiker Klaus Wowereit.

    "Als Regierender Bürgermeister unterstütze ich die Forderung des CSD und denke, es ist ne machtvolle Parade der Schwulen- und Lesbenbewegung, die hier traditionell in Berlin statt findet und wir wollen, dass daraus eine Bewegung entsteht, die auch Signale aussendet in die ganze Welt."

    Vor vier Jahrzehnten war so ein Massenumzug noch unvorstellbar.

    Rückblick, 1969. In den USA geht die Polizei brutal gegen Homosexuelle vor. Ständig gibt es Razzien in Schwulen-Kneipen. Doch dann wendet sich das Blatt: Am 28. Juni 1969 starten Homosexuelle in der New Yorker Christopher Street einen Aufstand gegen die Staatswillkür. Tagelange Straßenschlachten folgen. In den Jahren danach erinnert die Szene regelmäßig an die Historie – mit einem Straßenumzug und einem Christopher Street Liberation Day. 1979 wird in Deutschland zum ersten Mal ein Christopher Street Day gefeiert – in Bremen, Stuttgart und Berlin.

    "Es hat sehr, sehr lange gedauert, bis so die Bewegung der USA, die ja da schon zehn Jahre alt war, hier richtig durchgesickert ist. Ich meine, es gab damals kein Internet. Informationen wurden nur vom Hörensagen, was schwule Bewegungen betrifft, kolportiert. Also Leute, die dort in den USA waren, haben Informationen mitgebracht. Weil auch die Hetero-Presse hat solche Sachen eigentlich totgeschwiegen."

    Rudolf Hampel gehört zu den Organisatoren des heutigen Berliner CSD. Der schwule Aktivist erinnert an die besondere deutsche Diskriminierungsgeschichte: 1871 war der legendäre Paragraf 175 eingeführt worden, der eine gleichgeschlechtliche Liebe untersagte und fast 100 Jahre lang zur Verfolgung Zehntausender Homosexueller führte. In der DDR wurde der Paragraf seit dem Ende der 50er-Jahre nicht mehr angewandt – in der Bundesrepublik seit 1969. Doch die soziale Ächtung ging weiter.

    "Durch den Homosexuellen-Hass werden tatsächlich viele Homosexuelle so verängstigt, dass sie sich nicht zu bekennen wagen und sich abdrängen lassen in ihre Subkulturen,"

    … klagte noch zehn Jahre nach dem Ende der Strafverfolgung der Sozialpsychologe Helmut Kentler.

    "Und schließlich als Nächstes kommt hinzu, dass der Homosexuelle Sexualität um der Lust Willen bejaht. Also er ist frei gestellt vom Zeugungs- und Gebärzwang. Und diese Sexualbejahung, diese Bejahung der Lust, stößt nun auf die Sexualängste der Mehrheit. Die Mehrheit verteidigt ihre Moral, indem sie sich gegen Homosexualität wendet."

    So kamen zum ersten Berliner Christopher Street Day 1979 gerade mal 400 Homosexuelle. Auf Transparenten forderten sie die endgültige Streichung des Paragrafen 175, der nach wie vor im Strafgesetzbuch stand.

    "Mein erster CSD war 1981. Und das war auch noch ein relativ kleiner Haufen. Und ich hatte auch gerade noch kurz mein Coming-out gehabt. Und hatte einfach furchtbar Schiss gehabt. Und hab mich versucht, so weit wie möglich in der Mitte aufzuhalten. Also weder am Anfang noch am Ende, noch weit rechts noch weit links, sondern in der Mitte, da fühlte ich mich halbwegs sicher. Und es war ja auch nicht so, dass winkende Zuschauer am Straßenrand standen, sondern es war mehr nach dem Motto: Wie können diese Perversen es wagen, über unseren schönen Kudamm hier zu laufen? Es war sozusagen ne schiere Provokation!"

    Auf den ersten Christopher Street Days gab es keine Partymusik und keinen Sekt - nur Transparente. Bodo Mende vom Lesben- und Schwulenverband LSVD hat früher den Berliner CSD mitorganisiert.

    "Und da waren es auch noch die Ausläufer der Studentenbewegung. Das muss man wirklich dazu sagen. Also vor allem auch die Vorstellung, dass es etwas Gesellschaftssprengendes hat. Also allein jetzt die Sexualitätsfrage zu thematisieren würde diese Gesellschaft außer Rand und Band bringen. Also so eine Vorstellung, so eine – heutzutage - etwas naive Vorstellung würde ich fast sagen, die galt damals nach wie vor. Und deshalb war das auch so ein bisschen klassenkämpferisch, gesellschaftssprengend."

    Mit dem Fall der Mauer stießen Hunderte Homosexuelle aus dem Osten zum Berliner CSD. 1991 begann auch Köln eine Schwulenparade auszurichten, weitere Städte folgten. Die Demonstrationen wurden immer bunter, immer lauter. In den 90er-Jahren explodierten die Teilnehmerzahlen: 1997 knackte Berlin die Hunderttausender-Marke. Heute gibt es die Umzüge in drei Dutzend Städten. Wobei nach wie vor Schwule das Spektakel dominieren; Lesben sind weniger zu sehen. Kein Wunder: sind doch homosexuelle Frauen früher nicht polizeilich verfolgt - und zum Widerstand gezwungen worden. CSD-Mitorganisator Rudolf Hampel kennt einen weiteren Grund.

    ""Die hatten auch ne andere politische Heimat. Lesben haben sich in der Vergangenheit wesentlich stärker in Richtung Frauenbewegung orientiert – und für die Frauenbewegung waren natürlich Schwule – hin oder her: Mann ist Mann. Da gab es sowieso gewisse Widerstände. Also das war auch ein Grund dafür, dass Lesben gerade in den ersten Anfangsjahren nicht wirklich sichtbar waren und auch nicht teilgenommen haben."

    "Ich glaube, es ist auch ein Unterschied an der Stelle zwischen Lesben und Schwulen. Vielen Schwulen sieht man einfach das Schwulsein an. Es ist einfach deutlicher. Bei Frauen ist das anders. Also wir haben auch als heterosexuelle Frau eine viel größere Bandbreite, wie wir leben und wie wir uns anziehen. Und insofern müssen Frauen immer den Schritt machen des verbalen Outings. Ich weiß von Freundinnen, die sich damit sehr, sehr, sehr schwer tun.""

    Bettina Herlitzius ist die einzige Bundestagsabgeordnete, die sich offen dazu bekennt, eine Frau zu lieben. Für die Grünen-Politikerin ist klar: Lesben gehen generell seltener an die Öffentlichkeit. Die 48-Jährige bedauert, dass dies offenbar auch im Parlament so ist. Sie selbst habe sich 1994 – vor einer Bundestagswahl – ihren Wählern offenbart, und zwar ohne dass sich daraus Nachteile ergeben hätten. Heutzutage sei dies kein Problem mehr – zumindest in ihrer Partei.

    "Ich glaube aber, dass es bei der CDU vielleicht auch besser ist, sich vielleicht ein bisschen später zu outen, wenn man gewisse Funktionen schon hat,könnte ich mir vorstellen."

    Die Grünen-Parlamentarierin räumt aber ein, dass es auch innerhalb der eigenen Fraktion mitunter heiße Debatten um schwul-lesbische Themen gibt – etwa wenn es um künstliche Befruchtung für homosexuelle Frauen geht. Wegen der politischen Empfindlichkeiten benutzt Bettina Herlitzius eine vorsichtige Formulierung auf ihrer Abgeordneten-Homepage: "Verpartnert mit Marlies" steht dort etwas verklausuliert.

    "Das ist ein Stück weit nicht ganz offen. Ich habe bei einer Kandidatur mal reingeschrieben: Ich bin Lesbe. Und da kam schon so ein bisschen von grünen Kollegen: Musstest Du das denn so deutlich reinschreiben? Das Wort Lesbe oder das Wort Schwuler ist natürlich nicht gerade ein beliebtes Wort und ich muss sagen: Auch mir fällt es immer noch schwer, es in bestimmten Situationen auszusprechen. Auch ich benutze da Umformulierungen. Da muss ich immer noch auch mit mir selber üben. Dadurch, dass beide Wörter auch ein Stück weit als Schimpfwörter benutzt werden, fällt es einfach schwer, die in einem positiven Kontext zu setzen."

    Nach Ansicht der Politikerin ist der Christopher Street Day heutzutage stark auf Spaß aus. Die lesbische Szene setze weniger auf Show – und mehr auf Politik.

    "Ich bin immer so ein bisschen hin- und hergerissen. Weil ich glaube natürlich, der CSD dann auf der anderen Seite die Popularität auch nur bekommen hat, weil die Schwulen so schrill sind. Wenn wir da so eine trockene Demoveranstaltung draus machen würden, würden da kaum Leute hingehen. Insofern bin ich ihnen auch irgendwie dankbar, dass sie uns an der Stelle ein bisschen provozieren."

    Die Politik und der CSD – ein umstrittenes Thema, seit Jahren schon. Bereits 1998 spaltete sich in Berlin der Kreuzberger- beziehungsweise Transgeniale CSD vom Haupt-CSD ab. Die Kreuzberger schimpften, der normale Christopher Street Day sei zu wenig revolutionär.

    "Also es ist schon deutlich, dass das eher ein politischer CSD hier ist und das andere ist so eher zum Karnevalsumzug verkommen. Man merkt auch noch, dass auf dem kommerziellen CSD so die Homo-Szene als unheimlich oberflächlich darstellt."

    Auch heute Nachmittag gab es wieder eine transgeniale Gegen-Parade. Die CSD-Verfechter sind darauf gar nicht gut zu sprechen.

    "Dass das alles Kindereien sind, das steht auf einem anderen Blatt. Ich halte sie für die Homosexuellensache völlig kontraproduktiv."

    "Und natürlich wurde auch gnadenlos auf Provokation gesetzt. Es ging auch nicht darum, sich irgendwie zu einigen. Sondern es ging nur darum, die so genannten bürgerlichen Schwulen irgendwie auf den Baum zu treiben. Und irgendwann haben wir gesagt: Nö, lasst mal, uns ist das einfach zu blöd. Wir haben sie einfach ins Leere laufen lassen."

    Beide Aktivisten betonen: Keine Großparade ohne Sponsoring. Und bislang habe jedes Event unter einem politischen Motto gestanden – wie Kampf um Homo-Ehe oder Kampf um Adoptionsrechte für Homo-Paare. Die schwulen Vorkämpfer geben sich auch nicht mit dem neuen Antidiskriminierungsgesetz zufrieden: Sie wollen die Verfassung ändern. So dreht sich das Motto in diesem Jahr um den sogenannten Gleichheitsartikel des Grundgesetzes - um den Paragrafen 3. Dieser soll um einen Passus erweitert werden, der eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität verbietet. Grüne, linke und viele SPD-Politiker unterstützen die Forderung, auch einzelne CDU-und Kirchenvertreter. Grünen-Abgeordnete Bettina Herlitzius hofft, dass ein erweiterter Paragraf 3 zu Rechtsreformen führt. Etwa, dass dann auch die Steuervorteile des Ehegattensplittings für schwule und lesbische Paare gelten.

    "Mein Ziel ist es mit dieser Artikeländerung, dass es dann eine Lawine loslöst auch bei ganz vielen anderen Gesetzen, dass das einfach durchdekliniert wird und da überall die Gleichstellung statt findet."

    Ortswechsel, 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt – weitab der großen Politik: Ein schwules Hofprojekt im Brandenburgischen Klein-Mutz. In einem alten Bauernhaus sitzen acht Männer um einen großen runden Tisch. Viele tragen Bärte, Holzfällerhemden und Zimmermannshosen. Es gibt selbst gebackene Erdbeertorte mit Vollkornboden und Schlagsahne. Die meisten hier halten nichts vom CSD und der Berliner Partyszene.

    "Der Lebensstil in der Stadt hat mir nie gefallen. Es war zu laut, zu viel Menschen, zu viel Verkehr, zu hektisch.

    Und Szene mag ich eigentlich auch nicht so, weil das eigentlich nur für junge Leute ist, die nur ihrem eigenen Idol frönen und da bin ich auch nicht so sehr mit einverstanden.

    Ich komme ganz bewusst hierher, und das hat natürlich auch etwas mit dem schwulen Hofleben zu tun. Also man hat hier so was wie ne Wahlfamilie für die Zeit, wo man hier ist.

    Das heißt, der Tisch wird zusammen gedeckt, es wird zusammen abgewaschen, es wird zusammen abends noch spontan gekocht mit dem, was gerade da ist.

    Wir brauchen die Stadt nicht!
    Ja, es ist schon ein Gegenpol einfach!"

    Willkommen auf dem Hollerhof – dem schwulen Wohn-, Arbeits- und Ausflugsort in der Mark. Hausherr und Landschaftsplaner Bert Kronenberg hat rote und rosa Kletterrosen gepflanzt, einen Teich angelegt, auf dem Scheunendach eine Fotovoltaikanlage installiert und Gästezimmer eingerichtet. Als das Vereinsprojekt 1997 startete, waren die alteingesessenen Dorf-Nachbarn skeptisch, einige auch aggressiv.

    "Neben dem Projekt ist gleich der Sportplatz, da treffen sich Jugendliche natürlich gern, die sich dann in der Gruppe durchaus auch stark fühlen. Und sich dann auch gemüßigt sahen, mal Schimpfworte wie schwule Sau oder ähnliches über den Zaun zu werfen."

    Doch dies sei die Ausnahme gewesen, erzählen die Hoffreunde. Bodo, 47 Jahre und Maler, betont: Die Landbevölkerung sei zwar mitunter immer noch verunsichert, aber trotzdem freundlich und neugierig.

    "Mein Eindruck war immer, in Brandenburg, beziehungsweise allgemein im ehemaligen Osten, dass Sexualität nicht dasselbe Tabu war, wie es in Westdeutschland war. Weil in Westdeutschland vieles tradierter war durch die Kirche, durch Religion. Da wurden diese alten sexuellen Tabus einfach immer weiter geschrieben. Und in der DDR gab es so ein Tabula rasa. Da war das einfach gar kein Thema. Ich habe den Eindruck, es gibt oftmals noch ne gewisse Ausländerfeindlichkeit, aber wiederum nicht unbedingt so eine Schwulenfeindlichkeit."

    Gert ist 62 Jahre alt, Ingenieur und kommt regelmäßig aus dem benachbarten Zehdenick zu Besuch. Außer dem Homo-Landprojekt sei in der Gegend nichts los, sagt er. Dennoch kämen die anderen Schwulen seiner Kleinstadt nicht mit zum Hollerhof.

    "Die schwulen Leute hier aus Zehdenick, die wissen das, kommen zum Teil aber nicht hierher, weil sie irgendwie noch ein bisschen verklemmt sind. Sie fahren natürlich lieber nach Berlin, weil sie sich nicht zu erkennen geben wollen. Viele haben dann auch geheiratet, trotzdem sie schul waren oder schwul sind. Ja, und leben ihr Leben dann eben in Berlin aus. Können sie natürlich nicht in Zehdenick machen, ne. Das ist natürlich so ne Sache, ne."

    Auch wenn die Hollerhof-Leute nicht gern mit Transparenten auf dem Christopher Street Day herumlaufen – engagieren sie sich dennoch gesellschaftlich: Die Landaktivisten beraten Männer aus der Provinz, die sich outen wollen. Sie organisieren Orgelmusik in der Dorfkirche. Und sie laden die Nachbarschaft zu einer Pflanzentauschbörse ein – mit großer Resonanz.

    "Und natürlich hängt immer die Regenbogenfahne draußen an der Straße, wenn hier Veranstaltungen sind. Was auch ein Zeichen ist: Flagge zeigen hier auf dem flachen Land. Die Leute im Dorf wissen auch, die Mehrzahl, was das bedeutet."

    Zurück in der Hauptstadt: Besuch beim Landeskriminalamt Berlin, beim "Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen".

    "In den letzten Jahren hat sich in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion und auch auf politischer Ebene sicherlich vieles zum Guten gewendet. Anhand von homosexuellenfeindlichen Straftaten, die es ja nach wie vor gibt, zeigt sich allerdings, dass eine Akzeptanz von Schwulen und Lesben gesamtgesellschaftlich eben noch nicht vorhanden ist."

    Uwe Löhr hat im vergangenen Jahr 67 homofeindliche Straftaten in der Hauptstadt registriert. In den Vorjahren waren es deutlich weniger. Der Polizist spricht dennoch nicht von einer Zunahme der Übergriffe: Die Statistik sage nur wenig aus, erklärt er, die Dunkelziffer sei einfach viel zu hoch. Nach den Erfahrungen des Beamten scheuen sich die meisten schwulen Opfer, zur Polizei zu gehen – unter anderem weil die Ordnungshüter immer noch als Gegner – und nicht als Helfer wahrgenommen werden.

    "Das Verhältnis zwischen Lesben, Schwulen und der Polizei war in der Bundesrepublik über Jahrzehnte lang schwer belastet. Polizei und Staatsanwaltschaft und Justiz waren hier Verfolgungsbehörde. Der Paragraf 175 wurde in seiner letzten Fassung erst in den 90er-Jahren abgeschafft. So dass sich hier natürlich die Wahrnehmung der Polizei immer noch darauf beschränkte von Seiten der Lesben und Schwulen."

    Löhr arbeitet mit schwulen Vereinen zusammen und wirbt in der Polizei-Ausbildung für mehr Toleranz. Doch mitunter fallen ihm die eigenen Kollegen in den Rücken. Wie im vergangenen Jahr - als anlässlich des CSD offiziell eine Regenbogenfahne auf dem Polizeipräsidium gehisst wurde. Die Folge: homofeindliche Emails innerhalb der Beamtenschaft. Polizeipräsident Dieter Glietsch reagierte allerdings sofort: Er zitierte 29 Mailschreiber einzeln zum Rapport.

    "Innerhalb der Polizei hat das noch mal so ein bisschen die Augen dafür geöffnet, dass da noch Handlungsbedarf ist, was doch positiv war. Und nach außen wurde auch noch mal dokumentiert, dass wir etwas tun. Also ich würde sagen: Negativ begonnen und doch durchaus positive Effekte nach außen."

    Im Berliner Lesben- und Schwulenverband ist das historisch belastete Verhältnis zur Polizei – trotz der neueren Fehltritte – kein Thema mehr. Man habe ganz andere Sorgen, sagt Vorstandsmitglied Bodo Mende. Viel wichtiger sei der Kampf um politische Gleichberechtigung – wie um die Grundgesetzänderung. Oder der Kampf gegen eine Homofeindlichkeit der Kirchen. Als Hauptproblem der nächsten Jahre betrachtet der Schwulenvertreter die Migrantenszene. Denn obwohl jeder vierte Hauptstädter ausländische Wurzeln hat, sind die Zuwanderer beim CSD nach wie vor die Ausnahme.

    "Das muss uns zu denken geben, weil das eben zeigt, dass anscheinend die soziale Struktur bei bestimmten Migrantencommunities so hart ist, dass die sich gar nicht vorstellen können, einfach den normalen Weg in die schwul-lesbische Community zu finden."

    Doch in einigen Zuwandererkreisen tut sich bereits etwas: So geht der Türkische Bund Berlin-Brandenburg verstärkt gegen Homophobie vor. Und mehrere Selbsthilfegruppen schwullesbischer Migranten beraten, wie auch sie an die Öffentlichkeit gehen können.