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Science-Fiction-Romanze "Passengers"
Der Albtraum des Verlorenseins

Mit seinem Film "Passengers" zeigt der norwegische Regisseur Morten Tyldum, dass es in Science-Fiction-Filmen nicht nur um Raumschiffe und Sternenkriege gehen muss. Sein zweiter Hollywood-Film entführt den Zuschauer in die Weite des Alls und zeigt die Menschen mit ihren Gefühlen wie in einem Brennglas.

Von Hartwig Tegeler | 04.01.2017
    Die Schauspieler Chris Pratt as James Preston und Jennifer Lawrence als Aurora in dem Film "Passengers" von Morten Tyldum.
    Die Schauspieler Chris Pratt als James Preston und Jennifer Lawrence als Aurora in dem Film "Passengers" von Morten Tyldum. (imago / ZUMA Press)
    Ein Raumschiff auf der Reise im All, die 120 Jahre dauern wird. 5.000 Passagiere in ihren Schlafkammern im Tiefschlaf. Das Ziel: der Planet Homestead II, wo sich die 5.000 ansiedeln wollen. Dann ein Asteroiden-Sturm. Und Jim, Maschinenbau-Ingenieur, ist plötzlich wach.
    "Und ich, ich bin der Einzige, der wach ist."
    Wach in diesem riesigen Luxus-Raumschiff, ausgestattet mit Kino, Restaurants und der allwissenden Stimme des Raumschiffcomputers:
    "Zeig mir Homestead II." – "Homestead II ist der vierte Planet im Bakti-System." – "Und wo sind wir?" – "Wir befinden uns im Transit von der Erde zu Homestead II. Unsere Ankunft wird in etwa 90 Jahren sein." – "Was?" – "Landung auf Homestead II in 90 Jahren, 3 Wochen und einem Tag." – "Nein, warte, wann haben wir die Erde verlassen? - Vor etwa 30 Jahren."
    Was tun?
    "Ich in zu früh aufgewacht."
    Ein Jahr lang quält sich Jim, allein, vollkommen allein im riesigen Raumschiff, mit dieser Frage. Auf den Tod warten? Nein, kommt nicht in Frage, zumal das Raumschiff reibungslos zu funktionieren scheint und Vorräte genügend vorhanden sind.
    Was würden Sie machen, wenn Sie dort wären? Allein? Und immer die 4.999 Schlafenden in ihren Kabinen sehen würden, einige gleichen Alters?
    "Ich in zu früh aufgewacht."
    "Wir müssen wieder einschlafen" – "Können wir nicht"
    Dann ist auch Aurora wach.
    "Sonst ist niemand wach?" – "Ich glaube, mit den Schlafkammern ist etwas schiefgelaufen. Wir sind zu früh aufgewacht. 90 Jahre zu früh." – "Das ist nicht möglich. Wir müssen wieder einschlafen."
    Doch das geht nicht. Es gibt einen Grund, warum Jim zu früh aufgewacht ist, ein technischer Fehler, der später noch zu einem gepflegten Action-Gerassel führen wird im Film "Passengers".
    "Der ganze Bereich ist abgeriegelt, da stimmt was nicht. – "'Stimmt was nicht' suchen wir doch."
    Aber, keine Sorge, die Action hält sich in "Passengers" im Rahmen, das Technik-Computer-Wir-haben-einen-Druckabfall-dann-tu-doch-was-Gedöns ebenso. Zurück zum Aufwachen: Es gibt einen Grund, einen anderen, einen gänzlich anderen, warum auch Aurora zu früh aufgewacht ist. Und die "Boy meets Girl"-Geschichte, die James und Aurora gegenüber dem Bar-Androiden Arthur - gespielt von Martin Sheen – aufführen.
    "Ihr zwei seht heute Abend schick aus." –"Wir haben ein Date." – "Sehr schön." – "Hast lange gebraucht, bis du fragst."
    Diese Nummer erweist sich als ziemliches Minenfeld für das junge Paar. Der norwegische Regisseur Morten Tyldum, der vor zwei Jahren mit dem Benedcit-Cumberbatch-Film "The Imitation Game" sein Hollywood-Debüt vorlegte, inszeniert mit seinen beiden Hauptdarstellern Jennifer Lawrence und Chris Pratt ein doppelbödiges Spiel, das zunächst nur reine Genrekost zu sein scheint. Bei der man sich an all die Klassiker von "Odyssee 2001" über "Alien" bis zu "Lost in Space" und "Lautlos im Weltraum" erinnert fühlt.
    Pragmatismus als Therapie
    Doch in diese Raumfahrer-Story, die in ihrer Verbeugung vor den Klassikern grandiose Schauwerte aus dem Inneren des Schiffes und vom Äußeren des Weltalls liefert, in sie hinein kriecht ein gemeiner Horror. Hinein und uns unter die Haut. Und erinnert an den anderen großen Science-Fiction-Film, an "Gravity" von 2013. "Gravity" machte die Auflösung von Raum, draußen im Weltall, in seiner 3D-Ästhetik zu einer Körper-Erfahrung im Kino. "Passengers" gelingt dies auf der emotionalen Ebene mit der Geschichte über den Albtraum des Verlorenseins.
    "Sonst ist niemand wach?"
    Verloren im Raumschiff im endlosen All, ohne auch nur die geringste Hoffnung auf Rettung. Wenn wir das sehen, wird etwas bei uns angestoßen, wenn wir den Film sehen, vor allem, weil er bei den Figuren, den Menschen und ihren Gefühlen bleibt.
    "Wir müssen wieder einschlafen." – "Können wir nicht."
    So verwandelt sich Morton Tyldums Film "Passengers" in einen subtilen Horror-Film im All, der keine Aliens braucht, um seine Wirkung zu entfalten. Und das Ende? Das wollen sie gar nicht wissen, hier, an dieser Stelle. Nur so viel: Am Ende erweisen sich Aurora und Jim als Geschwister von Mark Watney, der Hauptfigur in Ridley Scotts Film "Der Marsianer", zumindest, was den Pragmatismus als Therapie gegen den Albtraum des Verlorenseins betrifft. Ein Baum kann Trost spenden, ein Garten noch mehr. Und als die anderen 4.998 Passagiere nach 90 Jahren erwachen, trauen sie ihren Augen nicht.