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"Scott, du musst Hitler spielen"

Theater im Theater ist nichts Ungewöhnliches. Wenn als Rahmenhandlung aber Behinderte spielen, proben und sich streiten, ist das ungewohnt - wie auch die Binnenhandlung: Die hinduistische Elefantengottheit Ganesh wird nach Nazideutschland geschickt, um die Swastika zurückzuholen und vor Missbrauch zu schützen.

Von Christian Gampert | 25.05.2012
    Wenn Behinderte Theater spielen, dann neigt das Publikum zu Wohlwollen und Nachsicht. All dies ist beim "Back to Back Theatre" aus Melbourne aber fehl am Platz: Dies ist eine (von Bruce Gladwin) professionell geführte Gruppe, in der die Behinderten auf einer Metaebene über sich selber nachdenken. In "Ganesh" ist das besonders heikel: Das Stück zeigt uns, als Rahmenhandlung, eine Theaterprobe, bei der Behinderte über ihre Rollen streiten und sich gegenseitig kritisieren. Der Regisseur, als eine Art Trainer-Macho gegeben von dem Schauspiel-Profi David Woods, geht auch nicht gerade zimperlich mit den Akteuren um. Die Truppe probt ein Stück, in dem Ganesh, eine hinduistische Gottheit mit Elefantenkopf, ins Nazi-Deutschland der vierziger Jahre geschickt wird, um die dort zweckentfremdete Swastika zurückzuholen, das Hakenkreuz, im Hinduismus ein Symbol für Glück und Wohlergehen.
    Als bösartiger Subtext schwingt natürlich mit, dass all diese behinderten Schauspieler die Naziherrschaft schwerlich überlebt hätten. Nun machen sie Witze über die Nazis und ordnen ihre Rollen hitparadenmäßig an: Begreifst du, was es heißt, einen Juden im Holocaust zu spielen? Die behinderten Schauspieler sehen sehr genau, dass dies keine begehrenswerte Rolle ist. Andererseits reißt sich auch niemand um die Hauptrolle, die da heißt: der Führer. Nun gut, Bruno Ganz hat das einstens gespielt, aus unerfindlichen Gründen. Beim "Back to Back Theatre" muss man jemanden dienstverpflichten: "Scott, du musst Hitler spielen. Sieh es als Beförderung".

    Es stehen hier Menschen auf der Bühne, die am Down-Syndrom, an Autismus oder auch am Tourette-Syndrom leiden, letzteres eine Art Beschimpfungssucht, die ab und zu im Stück auch eingesetzt (und sofort wieder kritisiert) wird. Im Gegensatz zum dokumentarischen Ansatz von "Rimini-Protokoll", wo die angeblichen Experten des Alltags über sich selbst erzählen, wird hier aber nicht das eigene Schicksal ausgebreitet, sondern die Behinderung wird in eine fiktionale Handlung eingewoben. Der Gott Ganesh hat einen Elefantenkopf, der Rüssel hängt einem übergewichtigen Schauspieler freundlich über den Bauch. Von ferne grüßt David Lynchs "Elefantenmensch", und von den Nazis muss sich dieses Wesen fragen lassen: Hey, was bist denn du für eine Missgeburt? Welches Ungeheuer hat dich auf die Welt gebracht?

    Das Absurde ist nun, dass das angebliche Monster, die Missgestalt, der verwachsene Tiermensch, der vom KZ-Arzt Mengele gleich für medizinische Versuche vorgesehen wird, in Wahrheit ein Gott ist: "Ich bin Gott selbst, Gott Ganesh". Entsprungen einem hinduistischen Schöpfungsmythos, herniedergestiegen zu den Beleidigten dieser Erde. Leider wird die Geschichte immer wieder untermalt von süffig-bombastischen Synthesizer-Sounds, und leider stehen auch die hergebrachten Zuschauerprovokationen auf dem Programm: Gebt doch zu, so wendet sich der Regisseur ans Publikum, ihr schaut uns an wie im Zoo, ihr wollt ein bisschen Freak-Porno gucken. Nein, das will man eigentlich nicht. Wenngleich der Abend vom Profi David Woods angetrieben wird, ist man doch eher beeindruckt von den Gestaltungsmöglichkeiten der behinderten Schauspieler, die zum Teil in der Fremdsprache Deutsch spielen, die das Stück kollektiv mitentwickelt haben und sich auch in der Nazi-Binnenhandlung gut situieren können.

    Freilich: Die Aufführung hat auf Dauer doch Leerstellen. Sie ist verkrampft lustig, wenn bei einer Hinrichtungs-Aktion das richtige Abrollen der Erschossenen geübt wird, sie ist ein bisschen kitschig, wenn Ganesh mit Nazi-Offizieren durchs Gebirge fährt und die Herren Soldaten über Nylonstrümpfe für die daheimgebliebenen Damen philosophieren. David Woods, der sowohl den Mengele als auch den Regisseur spielt, ist auf der Suche nach "einem einzigen glaubhaften Moment", einen Moment der Nähe mit den Behinderten. Den bekommt er am Schluss. Und er fordert von ihnen, selbst so schwierige Dinge zu sagen wie, "ich liebe dich" und "yes, we can".