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Sebastian Klinger und David Pia
Organisch, ungekünstelt und reif

Der gebürtige Münchner Sebastian Klinger war bis vor kurzem Solo-Cellist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Der Schweizer David Pia bekleidete diese Position ab 2006 im Münchner Rundfunkorchester für zwei Spielzeiten. Inzwischen lehrt Klinger als Professor an der Hamburger Musikhochschule und David Pia verfolgt seine Karriere als Solist und Kammermusiker.

Von Jochen Hubmacher | 06.12.2015
    Detailaufnahme eines Cellos
    Die beiden Cellisten Klinger und Oia haben beide kürzlich neue CDs veröffentlicht. (picture alliance / dpa / Lehtikuva Nukari)
    aus: Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur, op. 20 K: Eugen d'Albert, 3. Satz: Allegro vivace, CD David Pia Tr. 3
    Knapp zwei Dutzend Musiktheaterwerke hat Eugen D'Albert geschrieben. Mit seiner Verismo-Oper "Tiefland" gelang ihm Anfang des 20. Jahrhunderts der Durchbruch als Komponist. International bekannt war er jedoch schon vorher als Klaviervirtuose. Sein Lehrer Franz Liszt nannte ihn anerkennend "Albertus Magnus". 1899 komponierte Eugen d'Albert sein Konzert für Violoncello und Orchester.
    Das klassisch-dreisätzige Stück hat alles, was seine besten Opern auszeichnet: sangliche Melodien, dramatischer Gestus, ein in allen erdenklichen Klangfarben schillernder und handwerklich exzellent gearbeiteter Orchestersatz. Das Einzige, was man dem Komponisten vorwerfen kann, ist die unglaubliche Fülle der Ideen, die er dem Hörer in dem gut 20-minütigen Werk vorsetzt. Gefühlt hätte das musikalische Material für eine zweistündige Oper ausgereicht.
    So rauscht Eugen d'Alberts Cellokonzert nicht nur beim ersten Hören zumindest an meinen Ohren ein wenig vorbei, ohne, dass sich ein Motiv, eine Melodie nachhaltig darin festgesetzt hätte.
    Das Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Ulf Schirmer, das seinen ehemaligen Solo-Cellisten David Pia bei der Aufnahme begleitet, hinterlässt einen etwas zwiespältigen Eindruck. Gewohnt flexibel reagiert es auf den Solisten, die dynamische Balance stimmt, doch der Orchesterklang wirkt insgesamt seltsam stumpf. Nun kann man das vielleicht noch als Geschmacksache bezeichnen. Geschmacksfragen hören jedoch dort auf, wo es um saubere Intonation geht. Und an der mangelt es für einen Rundfunkklangkörper erstaunlich oft.
    Auch der Solist kann in dieser Hinsicht nicht hundertprozentig überzeugen.
    David Pia hat die CD mit einem Instrument eingespielt, das 1698 vom legendären Antonio Stradivari gebaut wurde. Also mehr als 200 Jahre bevor Ernst (oder Ernö) von Dohnányi sein "Konzertstück für Cello mit Orchester" komponierte. Wie Eugen d'Albert war auch der Ungar Dohnányi ein Pianist von internationalem Rang. Zu seinen Schülern gehörten Annie Fischer, Georg Solti und Géza Anda. Sein vielleicht wichtigstes Verdienst war jedoch, dass er als einer der ersten das Potenzial eines alten Schulfreunds namens Béla Bartók erkannte und die Aufführung seiner Musik von Anfang an gefördert hat.
    Welt der Tondichtungen
    Als Klaviersolist, Pädagoge, Chefdirigent der Philharmonischen Gesellschaft und zeitweise auch als Musikchef des Rundfunks zählte Dohnányi zu den zentralen Figuren des ungarischen Musiklebens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu Bartók, der über die Beschäftigung mit der Folklore seiner Heimat zu neuen musikalischen Ufern aufbrach, blieb Dohnányi in seinen Kompositionen stets der romantischen Tradition treu. Brahms war sein großes Vorbild. Im "Konzertstück für Cello mit Orchester" aus dem Jahr 1904 klingt aber auch die Welt der Tondichtungen eines Richard Strauss durch. Oder anders ausgedrückt: Hätte Richard Strauss ein Cellokonzert komponiert, dann hätte es so klingen können.
    aus: Konzertstück D-Dur für Violoncello mit Orchester, op. 12 K: Ernst von Dohnányi, 3. Satz: Tempo I, ma molto più tranquillo, CD David Pia Tr. 7
    David Pia und das Münchner Rundfunkorchester mit einem Ausschnitt aus Ernst von Dohnányis "Konzertstück für Violoncello mit Orchester". Gemeinsam mit Werken von Eugen d'Albert und Max Bruch ist es kürzlich beim Label Farao Classics auf CD erschienen. Eine Aufnahme, die trotz der erwähnten Defizite für all jene spannend sein dürfte, die ein Cello-Repertoire kennenlernen wollen, das eher selten den Weg auf unsere Konzertbühnen findet.
    Klanglich wie interpretatorisch kaum etwas zu wünschen übrig, lässt die zweite CD-Neuerscheinung, die ich Ihnen heute vorstellen möchte. Sebastian Klinger und die Deutsche Radio Philharmonie mit Simon Gaudenz am Dirigentenpult spielen darauf eines der Konzerte für Cello und Orchester schlechthin, das von Antonín Dvořák.
    aus: Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll, op. 104, K: Antonín Dvořák, 1. Satz: Allegro, CD Sebastian Klinger Tr. 1
    Mehr als ein Jahrzehnt lang war Sebastian Klinger Solo-Cellist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. In dieser Zeit hat er mit den wichtigsten Dirigenten und Solisten des klassischen Musikbetriebs zusammengearbeitet. Diese immense Erfahrung ist seiner Interpretation des Dvořák- Konzerts in jedem Takt anzuhören. Hier ist ein Cellist am Werk, der keinem mehr etwas beweisen muss. Alles wirkt rundum organisch, ungekünstelt und reif.
    Die Deutsche Radio Philharmonie lässt sich glücklicherweise von dieser Musizierhaltung anstecken; klangsinnlich, mit starken Solisten in den kammermusikalischen Passagen und kompaktem Orchestertutti. Das Fusionsensemble aus ehemaligem Rundfunkorchester Kaiserslautern und Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken scheint seinen Sound gefunden zu haben.
    Auch Antonín Dvořák musste Ende des 19. Jahrhunderts niemandem mehr etwas beweisen. Er war als Komponist weltberühmt. Von 1892 bis 1895 verpflichtete man ihn daher als Direktor des Nationalkonservatoriums nach New York. Während dieser Zeit entstanden einige seiner heute populärsten Kompositionen, etwas seine Sinfonie "Aus der Neuen Welt". Das letzte Werk, das er im Rahmen seines Amerika-Aufenthalts schrieb, ist das h-Moll Cellokonzert.
    Es zeichnet sich vor allem durch zwei Charakteristika aus. Den durch und durch böhmischen Tonfall, ein Hinweis darauf, wie sehr sich Dvořák nach seiner Heimat sehnte. Und die wehmütige Erinnerung an eine Jugendliebe, die später seine Schwägerin wurde: Josefine von Kaunitz. Während der Komposition war sie bereits schwer erkrankt, was Dvořák dazu veranlasste im zweiten Satz des Cellokonzerts ein eigenes Lied zu verarbeiten, von dem er wusste, dass es seine Schwägerin sehr mochte.
    Als sie kurz nach der Vollendung des Konzerts starb, arbeitete Dvořák den Finalsatz sogar noch einmal um, damit er "Lasst mich allein", so der Titel des Lieds, erneut zitieren konnte. Welche Herzensangelegenheit ihm dieses überarbeitete Finale offensichtlich war, macht ein Brief an seinen Verleger Simrock deutlich. Dvořák äußert darin die Befürchtung, dass ein befreundeter Cellist just die nachträglich hinzugefügte Passage durch eine Solo-Kadenz ersetzen könnte.
    "Ich muss darauf bestehen, dass mein Werk so gedruckt wird wie ich es geschrieben habe. Überhaupt gebe ich Ihnen das Werk nur dann, wenn Sie sich verpflichten, dass niemand Änderungen macht. Also auch keine Kadenz im letzten Satz. Das Finale schließt allmählich diminuendo – wie ein Hauch – mit Reminiszenz an den ersten und zweiten Satz. Das Solo klingt aus bis zum pianissimo. Dann ein Aufschwellen und das Orchester schließt im stürmischen Ton. Das war so meine Idee und von der kann ich nicht ablassen."
    aus: Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll, op. 104, K: Antonín Dvořák, 3. Satz: Finale Allegro moderato, CD Sebastian Klinger Tr. 3
    Besprochene CDs: Antonín Dvořák, Cellokonzert h-Moll, op. 104 Sebastian Klinger, Violoncello, Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, Ltg. Simon Gaudenz, Label: Oehms Classics, LC: 12424, EAN: 4260330918284 Und: Werke für Cello und Orchester von Eugen d'Albert, Ernst von Dohnányi und Max Bruch, David Pia, Violoncello, Münchner Rundfunkorchester, Ltg.: Ulf Schirmer, Label: Farao Classics, LC: 03740, EAN: 4025438080895