Archiv

Sebastian Krämer
"Ich gehe das nicht als Manipulator an"

Eine dreifach geknotete Krawatte ist das Markenzeichen von Sebastian Krämer. Akustisch sind es donnernde Klavierakkorde im Wechsel mit feinen Melodien, zu denen er listig und poetisch das Leben besingt. Der Liedermacher und durchaus auch Klavierkabarettist feierte dieses Jahr sein 20-jähriges Bühnenjubiläum.

Sebastian Krämer im Gespräch mit Bastian Brandau |
    Der Kabarettist Sebastian Krämer sitzt singend am Klavier.
    Der Kabarettist Sebastian Krämer (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Bastian Brandau: Sebastian Krämer, Sie haben vor kurzem 20-jähriges Bühnenjubiläum begangen. Darf man gratulieren oder ist das ein schlimmer Moment, weil man vielleicht das Gefühl hat, alt zu sein?
    Sebastian Krämer: Naja, das Gefühl hat man ja eher schleichend, während so ein Jubiläum plötzlich veranstaltet wird. Nein, man darf natürlich gratulieren aber man darf sich auch immer Sorgen um mich machen.
    Brandau: Was für ein Lied würden Sie heute dichten über den Künstler Sebastian Krämer vor zwanzig Jahren?
    Krämer: Ach ich weiß nicht, über den würde ich eigentlich gar nicht so gerne dichten, denn eigentlich ist es ja schlimm, sich mit vergangenen Stadien auseinanderzusetzen, was man früher so gemacht hat. Wenn man allerdings das so lange Zeit macht, hat man das Glück, dass man einfach auch Sachen auswählen kann, die dann irgendwie noch standhalten einer Betrachtung aus der Retroperspektive.
    Aber wenn ich mich wirklich auseinandersetzen müsste, was ich damals irgendwie alles so unternommen habe um irgendwo hinzukommen, das wäre eigentlich eher schmerzhaft.
    "Muss mit meiner Kindheit Frieden schließen"
    Brandau: Also wäre Ihnen dieser junge Sebastian Krämer nicht nur sympathisch heute?
    Krämer: Ja, das stimmt. Also mein Psychologe sagt, also es führt zu weit, aber jedenfalls... Nein: Mir ist gesagt worden, ich muss mich mal mit meiner Kindheit und Jugend und meinen frühen Jahren auseinandersetzen und damit Frieden schließen. Und das steht noch bevor. Vielleicht ist das ja gar nicht so schlecht, das auch in einem Lied zu tun, aber so jetzt auf die Schnelle, wenn Sie mich so ansprechen, dann rudere ich eher zurück.
    Brandau: Okay, dann warten wir auf Lied, würde ich sagen. Sie sind ja auch auf der Poetry-Slam-Bühne gestartet, Sie waren 2001 deutscher Meister. Was hat ihnen diese Zeit ohne Instrument als Künstler gebracht?
    Krämer: Naja, es war ja nur die Zeit während des jeweiligen Slams ohne Instrument. Und das ist natürlich dann was Gutes sich zu beschränken, also einfach auf ein Reglementarium, was für diese Veranstaltung gilt und dann auch daraufhin sich vorzubereiten, das bringt einem natürlich auch was und bereichert dann auch das Programm, was man dann wieder mit Klavier spielt, das ist ja klar, da kann man dann zwischendurch aufstehen und ein Gedicht sprechen, was auch ohne Klavier auskommt.
    Brandau: Also eine Stütze für das, was Sie eigentlich vorhaben. Wie erleben Sie denn die Slam-Bühne heute, verfolgen Sie das noch?
    Krämer: Wenn Sie von Slam sprechen, da habe ich halt auch in den letzten Jahren nicht mehr viel zugeguckt. Ich hatte halt irgendwann das Gefühl, es entwickelt sich zu sehr in Richtung hippe Jugendkultur. Ein bestimmter Gedichtsstil, eine bestimmte Vortragsweise wird also da all zu sehr gepflegt, wird auch allzu sehr schulisch weitergegeben, was ich also auch überhaupt nicht für sinnvoll halte und in diesem Moment habe ich mich ein bisschen zurückgezogen und deswegen weiß ich eigentlich gar nicht, was jetzt inzwischen da alles genau passiert.
    Brandau: Bei ihren Auftritten haben Sie das Publikum fest im Griff hat man zumindest den Eindruck. Und das macht dann, was Sie wollen. Wann haben Sie das gemerkt, dass es ihnen liegt, andere Menschen...
    Krämer: Ja, aber ich will dann auch nur das, was es dann macht. Da darf man dann auch nicht zu übermütig werden, ne.
    Brandau: Wann ist Ihnen das zum ersten Mal aufgefallen, dass sie so eine gewisse Macht haben, Leuten etwas vorzumachen, sie zu beeinflussen.
    Krämer: Ach Gott, es ist ja nicht so, dass ich als Manipulator da rangegangen wäre. Es geht ja auch gar nicht darum, wirklich konkret da irgendwelche Handlungen hervorzurufen oder so, das ist ja sehr schwierig. Also ob man eine Wirkung hat oder nicht, das fällt einem ja nur dann auf, wenn die Leute dann wiederum freiwillig entschließen, es einem zurückzumelden. Also wenn jemand kommt und sagt:
    Das hat mich besonders bewegt oder an etwas erinnert oder das will ich jetzt selber spielen oder irgendwie so was in der Art. Wenn so was kommt, dann merkt man ja, das wirklich was passiert ist. Alles andere, was während des Konzerts passiert, das ist eine Konversation, das ist ein Umgang miteinander. Aber da kann ja auch viel Höflichkeit dabei sein.
    Brandau: Sie werden meist ins Kabarett eingeordnet – aber das lehnen Sie für sich ab. Warum? Was ist so schlimm an Kabarett?
    Krämer: Was heißt hier schlimm, das ist durchaus ein ehrbarer Beruf, aber ich sehe mich da nicht so. Wissen Sie, Kabarett ist eigentlich was destruktives, dem Anspruch der Satire gemäß werden Missstände gegeißelt, es werden die Machthaber durch den Schmutz gezogen und all diese Sachen finde ich wenig ergiebig. Es geht mir eigentlich mehr darum, was man tatsächlich an Witzigem oder Interessantem oder auch Wertvollem zeigen kann in dem Leben, was uns alle betrifft. Und diese Bespiegelung der Medien und diese Karikatur dessen, was sowieso schon überall Thema ist, weil es natürlich auch Teil eines Mediensystems ist, das muss ich nicht auch noch machen, das machen schon andere.
    Brandau: Sie singen auf ihrem Album "Tüpfelhyänen" ja auch: "Wir halten Kabarettisten, um auf Politiker zu schimpfen" aber die Politiker seien auch gar nicht schuld, sondern wir selbst. Was müssten wir besser machen?
    Krämer: Tja, das muss halt leider jeder selber wissen, nech.
    Brandau: Das können Sie nicht auch noch lösen.
    Krämer: Ja, jedenfalls kann man das immer schlecht für die anderen mitlösen. Man kann einfach immer gucken, dass man selber an seiner Stelle sich nicht Unsinn vorschreiben lässt. Also das man tatsächlich das alles, was man tut, selber überprüft. Also wenn man das schon macht und guckt: Ist das jetzt, was ich hier gerade zusammenbaue, ist das sinnvoll? Handelt es sich bei dem Brief, den ich hier gerade schreibe, wirklich um Kommunikation oder folgt der nur einer Vorschrift? Das sind sozusagen wichtige Dinge, die tatsächlich jeder an seiner Stelle tun kann und die auch dann tatsächlich auch was damit zu tun haben, ob man irgendwie... Also nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für den Betrieb, in dem man gerade tätig ist, ob man für den wirklich wertvoll ist oder nur so tut, ne.
    Habe immer das Solideste gemacht
    Brandau: Sie sind gestartet als Künstler, haben ein Studium geschmissen, sind inzwischen etabliert. Gab es trotzdem Momente, in denen sie gedacht haben: Ein solider Beruf wie der ihres Vaters als Studienrat wäre doch besser gewesen?
    Krämer: Eigentlich hat es sich nie so wirklich angeboten, die Tätigkeit auf der Bühne fand halt schon immer statt und die war im Grunde auch solide. Also es war immer das Solideste. Also die Vorstellung, jetzt irgendwo sich zu bewerben und da was einzureichen und da irgendwie eine Karriere in einem geregelten Zusammenhang zu machen, das war immer weit weg. Das hätte nicht nur viel Anstrengung bedeutet, das war tatsächlich auch unrealistisch. Also klar, natürlich, wenn das andere nicht da gewesen wäre, hätte ich mich darum bemüht, aber so... Sie müssen sich ja vorstellen: Selbst wenn es kleine Bühnen sind und selbst wenn es wenig Publikum ist, was man zunächst hat. Da ist ein Publikum, was hören möchte, was man macht, was sich darüber freut, was einem Applaus schenkt, was vielleicht sogar Eintritt gezahlt hat für das, was man tut. Und das ist dann gleich von vornerein immer schon, selbst in der Keimzelle, mit Anerkennung verbunden. Es gibt eigentlich kaum Berufe, wo man ständig so viel Anerkennung bekommt. Man reist irgendwo hin und da sind Leute, die freuen sich: Ach das ist ja schön, dass sie kommen und wir haben es für Sie schön gemacht und schauen Sie, in der Garderobe, wir haben Ihnen Brötchen hingelegt. Also das ist einfach schon immer ein toller Beruf gewesen, auch am Anfang schon. Da hat eigentlich nichts anderes konkurrieren können.
    Brandau: Und die Anerkennung war auch immer groß genug in finanzieller Art, dass es auch als Familienvater immer gereicht hat.
    Krämer: Schon. Also sicherlich, man muss immer mischkalkulieren. Es gibt also Abende, da verdient man einen Bruchteil von dem... Es schwankt zwischen zweistellig und vierstellig. Man muss einfach gucken, dass dann irgendwann auch wieder was Dreistelliges dabei ist, dass man so halt über die Runden kommt. Und vor allem: Es ist ja vielfältig. Wenn man irgendwie merkt: Auf der Bühne geht gerade nicht so viel, dann schreibt man Lieder für andere. Man ist als Künstler nicht so eingeschränkt, also es geht mal das, mal das... Also eine Zeit lang ging halt diese Slam-Sache ganz gut und dann wurde ich über dann wurde ich über die Auftritte bei Slams dann irgendwie für Poetry-Veranstaltungen eingeladen und dann konnte ich das machen. Natürlich ist auch viel Glück dabei und es ist auch nicht diese perspektivische Sicherheit. Aber wer hat die heute schon? In welchem Beruf läuft es heute schon so, dass man sagen kann: Ich habe jetzt die Garantie, dass ich genau das in zehn Jahren immer noch machen kann? Das hat ja kaum noch einer.
    Brandau: Das haben höchstens die Deutschlehrer, das ist ja ihr bekanntestes Lied, ihre Anklage gegen Deutschlehrer, die die Rechtschreibreform nicht verhindert hätten und vieles andere auch nicht. Wie muss man es sich vorstellen, wenn Sie privat mit Deutschlehrern zusammentreffen, oder nach einem Konzert?
    Krämer: Naja, meistens freuen die sich ja, weil sie denken ich hätte ihnen einen Gefallen getan, ich hätte sie da gewürdigt, ja. Also eigentlich freuen sich immer alle, wenn man sie erwähnt, wenn man auch mal auf sie Bezug nimmt. Es gibt nur ganz wenige, die dann wirklich geschrieben haben, das sei ja ne Unverschämtheit und ich solle doch nicht so auf die armen Deutschlehrer schimpfen. Das ist ganz selten, dass sich da jemand empört. Meistens spielen die das dann ihren Schülern im Unterricht vor und hören das gemeinsam im Lehrerzimmer, ich wundere mich ja auch, muss ich sagen. Aber es ist so.
    Krämer ist Jahrgang 1975, gebürtig in Bad Oeynhausen, lebt aber heute – natürlich – in Berlin. Schon als Jugendlicher stand er auf der Bühne, seine professionellen Anfänge liegen in der Poetry – Slam-Szene, in der er sich heute aber nicht mehr heimisch fühlt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.