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Sechs Rudel in der Oberlausitz

Etwa zehn Jahre ist es her, dass der erste Wolf von Polen aus in Deutschland eingewandert ist. Etwa 100 Jahre lang galten sie als ausgerottet. Mittlerweile gibt es allein sechs Rudel in der Lausitz. Die Region ist das größte Wolfsgebiet Deutschlands.

Von Thomas Kramer | 26.06.2011
    9 Uhr früh auf der Erlichthofsiedlung, ein Museumsgehöft in der Oberlausitz. Es ist ein warmer, sonniger Frühlingstag. Auf einer Spielwiese tollen etwa 50 Kinder herum: es sind die Fünftklässler der Andert-Mittelschule Ebersbach. Kleine Vorgärten mit Blumen, ein Teich und urige Holzhütten, darin Vortragsräume und ein Wolfsmuseum.

    "So, dann begrüße ich euch ganz herzlich zu eurem Wolfsprojekt… "

    Als Erstes gibt es einen Vortrag mit Bildern. Das ist der Job von Jana Endel. Die junge Forstwirtin erklärt, was Wölfe fressen und wie sie jagen, wo es sie gibt und wie sie erforscht werden.

    "... und ihr könnt euch vorstellen, das ist nicht leicht, überhaupt Wölfe zu beobachten und rauszukriegen, ob die Nachwuchs haben, denn Wölfe sind Menschen gegenüber extrem vorsichtig."

    Der Mythos vom Wolf als Gefahr für den Mensch ist Geschichte. Es ist genau anders herum: erst Ende Februar wurde wieder ein Tier überfahren. Ein Problem haben nur die Schäfer, aber auch die wissen mittlerweile Bescheid: nachts die Schafe immer in den Stall, Elektrozäune mit Flatterband und: Pyrenäen-Berghunde.

    "Und das funktioniert sehr gut, denn diese Hunde sind sehr groß und kräftig."

    Wolfsrudel sind keine Zusammenrottungen, sondern Familien mit Jährlingen und Welpen. Die Kinder lernen Wolfsspuren lesen, den Kot, genannt Losung, zu analysieren. Interessant auch: Wölfe laufen energiesparend.

    "Ihr seht also, die Hinterpfote wurde ganz genau in den Abdruck der Vorderpfote hineingesetzt, und dann entstehen solche Doppelabdrücke, aufgereiht, wie an einer Perlenschnur."

    Daher heißt diese Laufart: der geschnürte Trab. Der Wolf kann so Strecken von vielen Hundert Kilometern zurücklegen. Einer der Lausitzer Wölfe, mit einem Sender versehen, ist bis ins Baltikum abgewandert. Ein anderer marschierte nach Berlin, kam dann aber zurück. Heute lebt er bei Spremberg.

    Der zweite Programmpunkt: ein Waldspaziergang. Mit dabei ist Exkursionsleiter Stephan Kaasche, 35, er kommt aus Hoyerswerda.

    "Also hier ist die Stelle, wo der Wolf gesehen worden ist. Im Herbst 2009 war der hier am Teichgebiet tagsüber, ist dann hier aus dem Teich durch diesen kleinen Wald, über die Wiese ..."

    ... und ab auf den nahe gelegenen Truppenübungsplatz der Bundeswehr. Stephan packt ein Tütchen mit Wolfskot aus.

    "Guckt mal genau hin! Fette Borsten von welchem Tier? - Wildschwein. - Sieht aus wie Wildschwein. Riech mal! Versuch mal. Das ist zum Beispiel ein Unterkiefer von einem Wildschein. - Cool! Ein Unterkieferstück!? - Ungefähr diese Stelle hier. - Das muss doch weh tun."

    Der Kot verrät viel über den Speiseplan der Wölfe. Stephan zeigt verschiedene Knochensplitter und Zähne. Natürlich hat er auch ein Fernglas dabei. Die Kinder beobachten damit Rehe auf dem Feld. Was machen jetzt eigentlich die Wölfe? Und was macht ihr Nachwuchs?

    "Also die Jungen kommen ja Mitte Mai zur Welt, und dann sind die erst mal in der Wolfshöhle, kommen gar nicht raus."

    Doch was, wenn man sie stört: reagieren Wölfe aggressiv, etwa wie Wildschweine?

    "Man weiß das von Wölfen, dass sie ihre Höhle nicht verteidigen, in dem Sinne, dass sie angreifen. Das Verhalten schwankt zwischen völliger Scheu, weglaufen, diesen Bau im Stich lassen, bis dass die beiden erwachsenen Wölfe einen Warnlaut von sich geben, das ist ein Wuffen."

    Nicht um Menschen zu verscheuchen, sondern um die Welpen zu warnen. Was wirklich dumm wäre: in eine Wolfshöhle zu kriechen. Oder ein verletztes Tier anlocken, füttern oder streicheln.

    "Also natürlich, wenn jetzt jedes von diesen fünf sächsischen Wolfsrudeln fünf Junge bekommt, dann verdoppelt sich quasi die Zahl der Wölfe, aber: die Sterblichkeit ist einfach relativ hoch, also es ist nicht zu erwarten, dass diese Wölfe dann auch hier bleiben."

    Eine Frage der Wolfsdichte.

    "Also wenn das jetzt zu viele werden, wandern die selbstständig aus oder was?"

    Genau das. Neugier statt Angst! Was auffällt: kein einziges Kind fragt, ob Wölfe gefährlich sind. Sie wollen vielmehr verstehen: wie leben die Wölfe.

    "Die Kinder finden irgendwas: eine Fuchshöhle, ein Rehgeweih, eine Seeadlerfeder. Letztens kam einer mit einer überfahrenen Ringelnatter an, da ist das Gerippe noch so rausgekommen. Sie haben insgesamt doch wenig Gelegenheit sich mit Natur auseinanderzusetzen. Und der Wolf ist auch so ein Grund sich wieder mit der Natur auseinanderzusetzen."

    Und genau das machen die Kinder. Den Abschluss bildet das Museum, die Wolfsscheune. Letzte Infos werden notiert, dann noch ein Film.

    "Wölfe verhalten sich dem Menschen gegenüber also sehr scheu und vorsichtig. Es hängt von uns ab, ob wir den Mythos vom bösen Wolf überwinden und ihnen diesmal eine Chance geben."

    Das wäre nicht nur gut fürs ökologische Gleichgewicht, es macht die Lausitz auch bekannt - weit über ihre Grenzen hinaus.