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Sechzehn Bananen

Profisport ist eine harte und an sich bierernste Angelegenheit. Es geht um Punkte, um Titel, um Leistung und Geld. So kann man es sehen, muss man aber nicht. Der Satiriker Jürgen Roth blickt auf das Intensiv- und Irrsinnssportjahr 2012.

Von Jürgen Roth |
    Das "intensive Sportjahr 2012" hakte der Göttinger Verlag Die Werkstatt kürzlich in einem Weihnachtsrundschreiben rasch ab, um sogleich auf die Fußball-WM 2014 vorauszublicken. Moment mal! Moooment mal! Kann man denn so mit einem Sportjahr um- und es eisglatt überspringen, bloß weil es, zugegeben, die sonderbare Zahl 2013 trägt? Und ist über die vergangenen zwölf in Grund und Boden gesportelten Monate nicht mehr zu sagen, als dass sie "intensiv" gewesen seien? Waren sie darüber hinaus nicht abermals, uns zur homerisch-bethlehemerischen Freude, erheiternd, erhellend, erhebend und in toto zuverlässig bollerköpfig und Banane?

    Hatte nicht zum Beispiel der aus dem geliebten DFB-Spitzenamt gepurzelte Prof. Theo Zwanziger in seiner keineswegs eitel betitelten, leider durch keine Macht dieser Welt zu verhindern gewesenen Autobiografie "Die Zwanziger Jahre" Uli Hoeneß als "Besserwisser", als "Macho" und als "Scharfmacher" bezeichnet? Worauf der Bayern-Boß, gelassen wie eine Bratwurst vom Christkindlesmarkt, retournierte: "Dass Theo Zwanziger kein guter Präsident ist, wußte ich schon lange. Dieses Buch wird ihn nach seinem mehr als peinlichen Rücktritt endgültig in die Isolation treiben"?

    War es nicht so? Doch, so war es, und es war schön, so schön wie die schon im September hereingeschneite Nachricht von Waldemar "Born to be Duzi" Hartmanns Demission als Paradebrummbeutel des sogenannten Sportjournalismus, verbunden mit der fabelhaften Ankündigung, im kommenden Jahr werde seine – na? Naaa? – Autobiographie auf uns herniederstürzen, in welchselbiger der fränkische Lachaugust mutmaßlich die Werbetrommel für Bananenweißbier rührt, bis in München und Umgebung niemand mehr richtiges Bier anrührt.

    Nicht minder schön, ja geradezu rührend fanden wir, daß der Internationale Sportgerichtshof CAS im Februar des Intensiv- und Irrsinnssportjahres 2012 den Redlichkeitsradler Jan Ullrich tatsächlich einer Sache namens Doping wegen schuldig sprach. Drei Tage später setzte der Bananenrepublikhauptstadtklub Hertha BSC Trainer Michael Skibbe nach sage und wiehere zweiundfünfzig Tagen im Hochamt vor die Tür. Da lachte sogar Otto Rehhagel, der, wie in Uli Borowkas Buch "Volle Pulle – Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker" nachzulesen, hartherzige Fußballidiot – und folgte prompt und galant dem zum Deppen degradierten Skibbe nach, ohne abbiegen zu können, dass Tante Hertha in der Relegation unter den heutzutage äußerst beliebten "skandalösen Umständen" der Fortuna aus Düsseldorf unterlag. Tja, zum erstenmal seit der Hermannsschlacht hatte sich da die urgermanische Hertha – eigentlich: Nerthus, lateinisch: Mutter Erde – der römischen Glücksgöttin beugen müssen. Wir deuten das als Zeichen für 2013 – sodann nämlich die deutschen Recken und Reckinnen beim Super Bowl im Februar in New Orleans, bei der Fraueneishockeyweltmeisterschaft im April in Kanada sowie im Rahmen der ebenso begeistert erwarteten Europameisterschaften der Sportakrobatik in Portugal – im Oktober – zu unserem petit plaisir: nichts, null, nothing reißen werden.

    Sofern sie ihr Trainingsprogramm nicht mit täglich sechzehn Bananen garnieren; darauf, fürwahr, führte der Zweite im 100-Meter-Lauf bei den Olympischen Spielen in London, der Jamaikaner Yohan Blake, seine Leistungsentwicklung zurück. "Wenn ich einen Usain Bolt sehe" – den Olympiasieger –, "der einen Weltrekord im Spaziergang holt, an dem sich andere dreißig Jahre lang die Zähne ausgebissen haben, grinse ich mir einen ab", meckerte daraufhin der zurückgetretene Sportchef der "Süddeutschen Zeitung", Ludger Schulze, und der Schriftsteller Ilija Trojanow gab in der "taz" angesichts der "pathologischen Gewinnsucht", die das IOC diesmal unter dem vollends verblödeten Motto "Inspire a generation" angefeuert hatte, zu bedenken: "Bei den Indianern vom Volk der Lakota gilt es als verwerflich, dreimal hintereinander zu gewinnen. […] Wer immer wieder nach Siegen giert, der ist tief im Inneren ein asozialer Mensch."

    Nun, gab und gibt es nicht die Charta des Internationalen Olympischen Komitees? In der Doping geächtet und die Menschenwürde zum höchsten Gut erklärt wird? Trugen in London nicht zahlreiche Menschen Einkaufsbeutel mit dem Aufdruck "Die dopen doch eh alle" durch die Gegend? Und was, wenn nicht ein milliardenschweres Förder- und Mäst-, ja Sportkriegsprogramm eines entfesselten Wettbewerbs- und Überwachungsstaates, hatte das medial zusammengelogene "britische Sommermärchen" möglich gemacht?

    Und weshalb sollte man die angeblich aufklärerische "taz" eigentlich lesen, wenn ein gewisser Jan Feddersen da gleich mehrfach dergestalt vor sich hindiarrhoete: "Warum ist es gerade in Deutschland so zur Kunst geronnen, Ausreden zu formulieren?" – "Dass die AthletInnen in Schwarz-Rot-Gold" ihre Niederlagen "so klaglos hinnehmen", "diskreditiert die Idee des Sports […]. Es beleidigt den Kontrahenten, selbst nicht alles zu geben." – "Ihre Tonlagen sagten, dass sie zur echten, quälenden Erschöpfung nicht fähig – oder nicht willens waren."

    Mehr? Bitte sehr: "Es stört […], dass die Kaderisten des Deutschen Schwimm-Verbands so arm an Ehrgeiz scheinen." Und was haben sich diese wahrlich sprechenden "Kaderisten" hinter die Ohren zu schmieren? "Sei nicht zufrieden. Unterwirf dich deinem Sport! Zeige Demut vor dem, was du noch nicht kannst."

    Das, wir wiederholen uns, stand in der taz, abgepinselt aus dem Wörterbuch des autoritären Charakters. "Der Sport" sei "schlimmer" als die Politik, meinte der große Dichter Hans Magnus Enzensberger bereits im August 2010, und der Eurosport-Reporter Siggi Heinrich äußerte angesichts der neuerlichen Spezialtorheiten und -heucheleien in London: "Für mich sind die Olympischen Spiele kein freies Sportereignis mehr. […] Es kommt noch so weit, dass das IOC uns Klamottenvorschriften macht und ich T-Shirts tragen muß, auf denen ‚Thomas Bach forever‘ steht."

    Und Heinrich fuhr fort: "Fraglos berichten die Medien immer noch zu wenig über das Thema Doping. […] Natürlich müßte man Wettbewerbe meiden, die verseucht sind – dann aber bitte konsequent. Ich kann nicht den Radsport ausklammern und Olympia mitnehmen. Das ist Feigenblattjournalismus." Beziehungsweise: Bananenstaudenjournalismus.

    Der sich dann allerdings in Anbetracht der gar zu überraschenden Havarie des Drogenfreaks Lance Armstrong und seines mafiösen Verarschungssystems inklusive Erpressung und Schweigegelder nicht länger vor der Wahrheit drücken konnte, sodass man aus dem Munde des amerikanischen Dopingfahnders Travis Tygart vernehmen durfte: "Dies ist ein herzzerreißendes Beispiel dafür, wie die Kultur des Gewinnens um jeden Preis den fairen und ehrlichen Wettbewerb untergräbt."

    Von der Kultur des Gewinnens verabschiedet haben sich – endgültig oder zeitweilig – Michael Schumacher, der Menschenschinder Felix Magath, Bruno "Wutrede" Labbadia ("Ich kann nicht akzeptieren, wie der letzte Depp dargestellt zu werden") und irgendwie ja auch Jogi Löw, der nach dem Aus gegen Italien im EM-Halbfinale und erst recht nach dem dämlichen 4:4 gegen Schweden von allen Seiten derart aufs Dach bekam – der "Focus" etwa faselte von der "Austreibung des Testosterons aus der deutschen Nationalmannschaft" –, dass er kurz vor Ende des Jahres der Banane ein Schuldbekenntnis ablegte.

    Uns indes erfreute zumal eine Meldung just einen Tag vor dem Debakel gegen den furchtbaren Schwed’. Da hieß es, die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD sei "besorgt über den dominanten Stellenwert der Fußballberichterstattung im Senderverbund". Man möge daraus Konsequenzen ziehen – nämlich, mit Thomas Kistner, Autor des Standardwerkes "FIFA-Mafia", zu reden: "sich nicht länger von den schwelgerischen Superslomo-Zuckergußbildern einer monströsen, die Gefühle der Massen melkenden Milliardenindustrie mit dem Fußball blenden lassen".

    Darauf und in der Hoffnung, die Omnipräsenz und Penetranz des Sportgetues und die damit einhergehende generalisierte Schwachsinnsstörung irgendwann abzuschütteln, schälen wir jetzt eine Biobanane.