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Secondhand-LKW an der A 1

Nutzfahrzeuge und Maschinenparks werden in vielen Unternehmen nicht alt. Ihre Zyklen sind bestimmt durch auslaufende Leasingverträge und enge Abschreibungsfristen. Hier profitiert Europas größter Umschlagplatz für gebrauchte LKW, Busse und Baumaschinen, praktisch gelegen an der A 1.

Von Godehard Weyerer | 24.06.2011
    Weißrussland - Sittensen: mit dem LKW an einem Tag und einer Nacht zu schaffen, wären da nicht der Grenzübergang von Weißrussland nach Polen und die langen Staus auf der vielbefahrenen Ost-West-Magistrale. Der Fernfahrer, der mit der gelben Sattelzugmaschine bei Sittensen die Autobahn verlässt, hat diesmal Glück gehabt. Ohne Auflieger und ohne Ladung erreicht er nach 20 Stunden sein Ziel: Europas größten Gebrauchtwagenhandel für Nutzfahrzeuge, Baumaschinen und Autobusse.

    Zusammen mit Freunden ist er nach Deutschland gekommen. Bis Hamburg im Konvoi; dann trennten sich ihre Wege. Nun hofft er, auf dem Gelände der Firma "alga" in Sittensen fündig zu werden. Einen gebrauchten Silo-Auflieger sucht er. Kreide will er damit in Weißrussland transportieren.

    Sittensen, an der A 1 auf halbem Weg zwischen Hamburg und Bremen: ein Eldorado für LKW. An- und Verkauf, Import und Export, Waschstraße, Tankstellen, Rasthäuser und seit 1969 der Gebrauchtwagenhandel. Mit Lastwagen.

    "Der Ursprung war schon 'alga'. Wir haben 1969 eine Türenfabrik aus der Insolvenz gekauft und haben den Betrieb links der Autobahn aufgebaut und seit 1991 rechts der Autobahn."

    Alga: die Abkürzung für Alfred Gaßmann, den Firmengründer. Der Sohn leitet heute den Betrieb – zusammen mit Dirk Klindworth, seinem Schwager. Ein Familienbetrieb:

    "Wenn Sie von Hamburg kommen, ist links der LKW- und der Reisebusbetrieb, rechts Linienbusse und Anhänger."

    Über 2500 Fahrzeuge, dicht an dicht hinter hohen Zäunen. Sie kommen aus ganz Deutschland nach Sittensen. Drei Einkäufer sind ständig unterwegs und immer auf Ausschau nach LKW und Bussen. Für Baumaschinen zuständig ist Bodo Winkelvoss. Zwei Frauen und zwei Männer nähern sich. Kundschaft.

    "Sie kommen aus Polen. Ich habe eine Information bekommen. Sie suchen einen Umschlagbagger."
    "Ja, genau. Mit Polypgreifer."
    "Auf jeden Fall suchen sie etwas Günstiges. Wir können ein wenig über den Preis sprechen. Aber für 60.000 habe ich zur Zeit nichts da."

    Die 200 Mitarbeiter stört es nicht, dass die Autobahn ihren Arbeitsplatz durchschneidet. Zwei Brücken führen hinüber. Öffentliche Straßen. Rote Nummernschilder müssen immer in Griffnähe sein. Ob komfortabler Reisebus oder betagter Schnauzen-LKW, ob Baggerreifen oder Antriebsachsen: Sittensen bietet alles, fast alles.

    Die älteren Fahrzeuge, und das sind die, die fünf Jahre und mehr auf dem Buckel haben, gehen meistens in den Export. Nach Polen und Russland, in die Ukraine; selbst in Iquique, einer Freihandelszone in Nordchile an der Grenze zu Peru und Bolivien, hat die Firma eine Niederlassung. Der Exportanteil liegt zwischen 30 und 35 Prozent.

    Gegen Mittag füllt sich der Kundenparkplatz mit schweren, dunklen Limousinen. Die meisten, das verraten die Nationalitätenkennzeichnen, haben einen langen Anfahrtsweg hinter sich – vor allem aus osteuropäischen Ländern. Mitarbeiter, die übersetzen können, stehen hoch im Kurs. Valerij Lackmann, ein Russland-Deutscher, arbeitet seit sieben Jahren in Sittensen.

    "Durch einen Bekannten ist er auf uns gekommen. Er hat ihm erzählt, dass wir viele Baumaschinen haben und für ihn kamen diese Silo-Auflieger in Frage. Jetzt hat er einen gekauft."

    Natürlich wird gehandelt - und zwar kräftig. Gebrauchtwagenhandel ist ein Cash-Geschäft. Das Fahrzeug muss bezahlt sein, bevor es den Hof verlässt. Und zwar in harter Währung - in Dollar oder in Euro. Schecks werden nicht akzeptiert. Wer weiß schon, ob sie gedeckt sind. 8.500 Euro legt Leonid Suradejew aus Weißrussland für den Silo-Auflieger auf den Tisch.

    "Die haben vor, Kreide zu fahren. Wir haben den ausprobiert, so hat er sich entschieden am Freitag. Hat bezahlt. Wir haben den Auflieger fahrbereit gemacht, bessere Reifen; wenn alle Papiere stimmen, kann er heute Nachmittag fahren."

    Die Buswerkstatt. Ein Gelenkbus hängt unter der Decke - leicht geknickt. Der Bus ist länger, als die Halle breit ist.

    ""Wir können alle Achsen einzeln steuern. Wir machen an dem Fahrzeug TÜV-Abnahme. So im Schnitt vier, fünf Busse haben wir am Tag."´"

    3000 bis 3.500 Fahrzeuge verlassen pro Jahr das Gelände des Gebrauchtwagenhändlers aus Sittensen. Die Lücken hinter den eingezäunten Flächen auf beiden Seiten der Autobahn sind schnell wieder gefüllt mit anderen gebrauchten LKW, Bussen, Anhängern oder Baumaschinen.

    Von dem geschäftigen Treiben bekommen die Reisenden auf der Autobahn Hamburg-Bremen nicht viel mit. Sie fragen sich höchstens, wer denn all die Nutzfahrzeuge kaufen soll, die da hinter hohen, langen Zäunen in Reih und Glied abgestellt sind.