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Seefahrt
Software gegen Schiffsentführungen

Eine mögliche Krisensituation auf hoher See: Terroristen haben eine Fähre entführt, nun versuchen die Sicherheitsbehörden herauszufinden, welchen Kurs die Entführer eingeschlagen haben und ob womöglich Personen über Bord gegangen sind. Helfen könnte ihnen bald eine neue Software, die das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt erstellt hat.

Von Frank Grotelüschen | 09.09.2016
    Eng mit dem Militär verbandelt: Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR führt sein Projekt EMSec zur Abwehr denkbarer Schiffsentführungen vor
    Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) führt sein Projekt EMSec zur Abwehr möglicher Schiffsentführungen vor (Frank Grotelüschen)
    Ein Hotel in Cuxhaven. In einem Tagungsraum hat sich Daniel Hein vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein provisorisches Lagezentrum eingerichtet - ein paar Rechner und einige Bildschirme. Einer der Monitore zeigt eine Landkarte von der Region. Über der Nordsee erkennt man das Symbolbild eines Flugzeugs:
    "Im Moment fliegen wir die letzte Kurve und schwenken dann ein auf eine Linie über die Cuxhavener Innenstadt."
    Das Flugzeug fliegt wirklich, es steuert genau auf uns zu. Es hat eine hochauflösende Kamera an Bord. Deren Bilder werden in Echtzeit auf einen anderen Bildschirm übertragen, auf den Daniel Hein jetzt schaut:
    "Wir sehen hier die einlaufenden Bilder der Innenstadt. Und wir können hier das DLR-Signet sehen, das auf dem Dach ausgebreitet wurde."
    Die kleine Live-Demonstration zeigt die Möglichkeiten von EMSec, so heißt das Projekt, mit dem die DLR-Forscher die Sicherheit auf hoher See verbessern wollen. Zwar können die Lagezentren der Sicherheitsbehörden schon heute auf eine ganze Reihe von Daten zugreifen, zum Beispiel Radar, GPS oder Satellitenbilder. Aber bislang laufen diese Daten nicht in einem System zusammen, sagt Projektkoordinator Stephan Brusch:
    "Ein Operator sitzt vor gefühlten 15 Bildschirmen. Auf jedem Bildschirm hat er eine Informationslage. Und das ist der große Wunsch, dass es Systeme gibt, die versuchen, die verschiedensten Daten zu kombinieren, geschickt auszuwerten, Muster zu erkennen und dem Operator zur Verfügung zu stellen."
    Software kann Kursabweichungen automatisch erkennen
    Die neue Software zeigt die Daten nicht nur übersichtlich auf einem Bildschirm an, sondern besitzt auch eine gewisse Intelligenz. So kann sie automatisch erkennen, wenn ein Schiff vom Kurs abweicht - womöglich ein Gefahrenzeichen. Einige Jahre hatte das DLR mit seinen Projektpartnern aus Industrie und Behörden an dem System gestrickt. In dieser Woche folgte die Nagelprobe - ein mehrtägiger Test, bei dem die Experten in der Deutschen Bucht verschiedene Szenarien durchspielten, zum Beispiel:
    "Eine Fahre wird entführt: eine terroristische oder kriminelle Handlung. Was macht man, wenn man das mitkriegt an Bord? Vielleicht springt man über Bord. Mit unserer Software und Hardware erkennen wir solche Entführungsprozesse. Und wenn Menschen in der Not über Bord springen, müssen die gefunden oder gerettet werden."
    Im Lagezentrum hat die Software automatisch erkannt, dass die Fähre von ihrem Kurs gewichen ist. Brusch:
    "Dann schicken wir gezielt unsere Drohnen und Flugzeuge hin, die das Gebiet absuchen. In Echtzeit erhalten wir im Lagezentrum die Daten und sehen sofort auf dem Bildschirm, was da vor Ort passiert."
    Behörden von neuen Möglichkeiten überzeugt
    Außerdem sind die Drohnen mit Wärmebildkameras bestückt, sie können die Meeresoberfläche nach Lebenszeichen absuchen. Bei den Tests wurden die über Bord gegangenen Passagiere durch spezielle Dummies simuliert. Und das neue System war tatsächlich in der Lage, diese Dummies aufzuspüren, sagt Brusch. Aus seiner Sicht hat die Technik ihre Nagelprobe bestanden:
    "Anfänglich hatten wir ein bisschen Schwierigkeiten, die Masse an Daten zu verarbeiten. Es war schwierig, dass die Flugzeugdaten, die in die Terabyte gehen, in Echtzeit, das heißt nach einer Sekunde hier auf dem Bildschirm sichtbar sind. Aber wir haben eine Lösung gefunden. Und wir konnten demonstrieren, dass dieser Sensorverbund funktioniert."
    Ein bis zwei Jahre werden die Forscher noch an den Feinheiten tüfteln müssen. Dann gilt es, einen Industriepartner zu finden, der das Ganze in ein Produkt umsetzt. Die Behörden jedenfalls sind von den neuen Möglichkeiten überzeugt, sagt Olaf Juhl vom Maritimen Sicherheitszentrum Cuxhaven. Seiner Meinung nach fehlt jetzt vor allem noch eines:
    "Eigentlich nur noch ein Auftrag, ein Sack voll Geld und einen, der es ausführt, der es baut letztendlich."