Archiv


Seehofer

Finthammer: Herr Seehofer, parteipolitisch gesehen war das ja in mancherlei Hinsicht eine Woche des Aufbruchs – quer durch alle Lager: Da glauben sich die Liberalen - auch ohne die 18 Prozent Vision auf der richtigen Seite. Da lässt die CSU, Ihre Partei, in Kreuth Sonthofen hinter sich, weil sie die SPD aus Wiesbaden auf sich zukommen sieht. Und am Ende der Woche liegt Göttingen unmittelbar neben Wörlitz, zumindest insofern die Grünen und die Union in nicht wenigen politischen Fragen nahezu gleicher Meinung sind. Kündigt sich da vielleicht das lang ersehnte Ende des Wahlkampfes und die Rückkehr zur wirklichen inhaltlichen Sachpolitik an, deren Fehlen ja mehrfach deutlich beklagt wurde?

Volker Finthammer |
    Seehofer: Ja gut, Herr Finthammer, die Probleme bei uns im Land sind in vielen Bereichen so groß, dass man nicht ständig jetzt zurückschauen kann, was im letzten Jahr war und analysieren kann, warum die Wahl wie gelaufen ist, sondern man muss jetzt wirklich nach vorne blicken und alles Erdenkliche unternehmen, um die gravierenden Probleme unseres Landes zu überwinden. Ich glaube, eine Opposition, die aus rein parteitaktischen Gründen richtige Lösungen blockieren würde, würde sich letzten Endes nur selbst schaden. Und dafür hätte die Bevölkerung auch kein Verständnis. Und deshalb haben wir unseren Kurs sehr klar in Kreuth definiert. Wir kooperieren mit der Bundesregierung, wenn es unser Land nach vorne bringt, und werden unser Wächteramt als Opposition ebenso deutlich ausüben, wenn wir glauben, dass die Bundesregierung falsche Entscheidungen trifft. Und das erste positive Beispiel haben wir ja noch im alten Jahr gesetzt mit unserer Zustimmung zu der Neuregelung bei den Mini-Jobs. Da haben wir ja die Arbeitsmarktreform nicht verhindert, sondern so ausgestaltet, dass wir in dem Bereich jetzt wirklich gute zukunftsträchtige Lösungen haben.

    Finthammer: Das ist eine inhaltliche Begründung, die sich in der Tat gut nachvollziehen lässt. Aber hat diese neue Zuversicht nicht auch etwas damit zu tun, dass sich Ihre Schwesterpartei, die CDU – und damit sind wir doch schon wieder gleich bei den Wahlen – im Blick auf die kommenden Landtagswahlen in Hessen und in Niedersachsen ziemlich sicher fühlt? Wenn man nämlich den Umfrageergebnissen trauen darf, liegt die Union im möglichen Gespann mit den Liberalen deutlich vor dem Lager der Regierungskoalition und könnte möglicherweise beide Wahlen für sich entscheiden.

    Seehofer: Also, offensichtlich kann man sich in Deutschland nur vorstellen, dass Parteien, wenn sie handeln, aus rein taktischen Überlegungen handeln – mit Blick auf Wahltage, auf parteipolitische Vorteile etc.. Sie müssen mir einfach mal abnehmen, dass wir alle miteinander in der Union, und wahrscheinlich auch in anderen Parteien, natürlich auch das Interesse haben – und das ist das erste Interesse –, unser Land aus den Schwierigkeiten zu befreien, denn wenn diese Probleme nicht gelöst werden, profitiert keine politische Partei davon, auch nicht bei Wahlen. Denn die Gefahr besteht dann eher, dass die Bevölkerung keiner politischen Kraft noch eine Problemlösungsfähigkeit zumisst und dass dann die gesamte politische Klasse einfach als unfähig gilt, die Probleme zu lösen. Und daran kann kein Demokrat Interesse haben. Und das ist unser Bewegungsmoment, jetzt mitzuhelfen, unserem Land zu dienen, die Probleme zu lösen und jetzt nicht zu schielen auf den 2. Februar. Ich meine, der 2. Februar ist von den Umfrageergebnissen her recht erfreulich für uns, und insofern hätten wir dann unsere Politik nicht zu ändern gebraucht. Nein, wir wollen, dass endlich im Jahr 2003 Deutschland aus dieser Lethargie herauskommt.

    Finthammer: Aber ich bleibe mal bei diesen taktischen Überlegungen, denn sollten nämlich wirklich beide Landtagswahlen gewonnen werden, dann wäre das doch eine komfortable Mehrheit im Bundesrat, über die die Union verfügen würde, und natürlich könnte man die rot-grüne Koalition dann in allen politisch relevanten Fragen vor sich her treiben. Und diese Hoffnung auf eine bequeme Gegenmacht – möchte ich mal sagen: Ist das nicht auch ein Grund für diese neue Kooperationsbereitschaft der Unionsparteien für diese "neue Dimension der Politik", auf die der hessische Ministerpräsident Roland Koch setzt? Und der Landesgruppenchef Michael Glos hat gesagt, man werde die anstehenden Reformen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik mittragen, wenn Ihre Bedingungen erfüllt werden.

    Seehofer: Jetzt sage ich Ihnen einfach, was mich persönlich bewogen hat, so seit November/Dezember in meiner Partei darauf hin zu wirken, dass wir einen konstruktiven Stil als Opposition betreiben. Ich habe über Weihnachten erlebt, dass mir zum Beispiel Gastwirte gesagt haben: 'Vielen Dank für diese Neuregelung bei den Mini-Jobs’. Die hätten, wie übrigens viele in der Bevölkerung, nicht Verständnis gehabt, dass wir trotz unserer Mehrheit im Bundesrat eine richtige Lösung verhindern. Sie dürfen nie in dem ganzen Konzert der politischen Auseinandersetzung vergessen: Es gibt noch einen Hauptbeteiligten, und das ist die Bevölkerung. Und alles, was Sie tun, müssen Sie gegenüber der Bevölkerung verantworten und vertreten. Und so einfach ist es nicht, Blockade in Berlin zu machen und dann nach Hause zu fahren in die Wahlkreise und Zustimmung der Bevölkerung zu erfahren. Das müssen Sie schon der Bevölkerung erklären. Und der Bevölkerung können Sie Ablehnung nur erklären, wenn sie inhaltlich wirklich tragen - zum Beispiel jetzt die aktuelle Diskussion zur Zuwanderung, zur Türkei. Das sind so Dinge, wo die Bevölkerung erwartet, dass wir unser Wächteramt wahrnehmen. Aber wenn die Regierung einen Vorschlag im Parlament einbringt, der unseren Vorstellungen entspricht, und das war beispielsweise bei den Mini-Jobs so der Fall – es gibt manche Vorschläge auch im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die sehr nahe bei unseren liegen –, dann können Sie nicht mit der internen Begründung: Wir haben jetzt eine dicke Mehrheit im Bundesrat, die vielleicht sogar noch größer wird am 2. Februar, und deshalb missbrauchen wir diese Mehrheit im Bundesrat. Das würde zwar uns parteipolitisch befriedigen, würde aber unserem Land schaden und das würde die Bevölkerung nicht verstehen. Und der Zuspruch zur Union würde massiv zurückgehen. Also, diese taktischen Spielchen durchschaut die Bevölkerung. Und deshalb empfehle ich allen – und wir haben ja da überhaupt kein Problem innerhalb der Union – mit dieser Strategie nicht in der Opposition zu taktieren, sondern sich um die richtige Politik zu kümmern. Das hat auch für uns das Risiko, dass wir auch mal Dingen der Bundesregierung zustimmen müssen, die bei uns im Kopf entstanden sind als Idee, und die natürlich dann die Regierung – wenn es kommt – positiv mit nach Hause nimmt. Aber das ist der Preis, den man als Opposition zu bezahlen hat.

    Finthammer: Gut, Herr Seehofer, dann lassen wir mal die Taktik beiseite und schauen mal wirklich auf die Inhalte. Da muss man ja sagen: Da hat das so genannte Strategiepapier aus dem Kanzleramt ja noch vor Weihnachten für Überraschung gesorgt. Von einer grundlegenden Reform der sozialen Sicherungssysteme ist darin die Rede. Und wenn wir mal weiter schauen auf Ihr Spezialgebiet, die Gesundheitspolitik, dann tauchen da Formulierungen auf wie Bonussysteme, direkte Verträge zwischen Ärzten und Kassen, die Liberalisierung des Arzneimittelvertriebs oder auch mehr Wettbewerb zwischen den Kassen . . .

    Seehofer: . . . Eigenverantwortung . . .

    Finthammer: . . . Eigenverantwortung, natürlich. Was bleibt denn da für Sie an Forderungen noch übrig?

    Seehofer: Ja, ich habe dieses Strategiepapier begrüßt vor Weihnachten, auch öffentlich, nicht in einer geheimen Zelle, sondern öffentlich habe ich gesagt: Das wäre der richtige Weg. Und das Problem besteht jetzt nur darin, dass dieser in diesem Papier richtig aufgezeigte Weg auch zur praktischen Politik für die SPD gemacht wird. Das heißt, dass es der Bundeskanzler schafft, in seiner Partei und in der Bundestagsfraktion der SPD für diese richtigen Grundideen zu werben und dies auch zur praktischen Politik zu machen. Und ich kann Ihnen sagen, Herr Finthammer, wenn dies dem Herrn Schröder gelingen würde, dann wären hier für Konsensgespräche zu einer Gesundheitsreform die Tür offen. Da sind wir uns völlig einig in CDU/CSU. Denn ich sage noch einmal, wir lehnen nicht richtige Weichenstellungen ab, wenn sie von der Regierung kommen, nur deshalb, weil wir jetzt in der Opposition sind. Und deshalb würde ich als Bundeskanzler nächste Woche die Opposition einladen zu diesem Punkt, sie mit diesem Papier konfrontieren und sagen: Das wollen wir. Und dann können wir unter den Spezialisten die Details dazu vereinbaren. So einfach könnte Politik sein. Nur, ich bezweifle, ob Gerhard Schröder in seiner Partei für diese Ideen der Eigenverantwortung, der Wahltarife und ähnlicher Dinge eine Mehrheit bekommt. Das ist das Problem.

    Finthammer: Das könnte insofern gestützt werden, als dass es ja auch aus der SPD-Fraktion mehrere deutliche Signale gibt, dass man zweifelt an der Frage der Bonussysteme. Gesundheit als solche dürfe nicht belohnt, Krankheit aber vor allem auch nicht bestraft werden, hat der SPD-Fraktionschef Franz Müntefering am Freitag erklärt. Wo sehen Sie die Schwierigkeiten für Schröder, in seiner eigenen Fraktion, in seiner eigenen Partei da weiter zu kommen? Ist es die Gesundheitsministerin, ist es die Fraktion, oder glauben Sie, dass es Schröder gelingen wird, da doch noch eine einheitliche Linie durchzusetzen?

    Seehofer: Nein, das ist eine politische Führungsaufgabe. Eine so schwierige Weichenstellung, wohin fahren wir gesellschaftspolitisch in den politischen Entscheidungen, das muss ein Parteivorsitzender mit seinen Freunden entscheiden und das ist eine Führungsaufgabe von Gerhard Schröder. Und die Schwierigkeit ist, dass er eben in den letzten vier Jahren dem Staatsdirigismus, der staatlichen Reglementierung, der Aufblähung der Demokratie, der Erhöhung von Steuern und Abgaben zu viel Raum gegeben hat, und da jetzt die Mentalität, die Auffassungen, die Einstellungen der SPD-Kollegen umzudrehen, hin zu weniger Staat, zu mehr Eigenverantwortung, wie es ja partiell auch der Wirtschaftsminister Clement in der Arbeitsmarktpolitik jetzt eingeleitet hat, das ist das Problem von Gerhard Schröder. Wissen Sie, wenn Sie eine gänzlich andere Sozialpolitik à la Riester bisher vertreten haben und jetzt sehen Sie das Ergebnis, dass die Beiträge ständig steigen und die Leistungen immer deutlicher eingeschränkt werden, und Sie sehen, Sie können auf diesem Weg nicht mehr weitermachen, dann ist es gelegentlich für einen Parteivorsitzenden nicht ganz einfach, hier gewissermaßen den Irrweg zu verlassen und zum rettenden Ufer zu kommen. Aber ich prophezeie Ihnen: Wenn der Bundeskanzler diesen Irrweg des Staatsdirigismus in der Gesundheitspolitik nicht verlässt, werden wir weitere Beitragserhöhungen und weitere Leistungseinschränkungen bekommen. Und jetzt muss er von dieser Philosophie, die er ja richtig niedergeschrieben hat, seine Parteigenossen überzeugen, und da liegt das Hauptproblem. Sie sehen es ja an den kritischen Einlassungen von Herrn Müntefering.

    Finthammer: Die Koalition glaubt sich ja dennoch auf dem richtigen Weg. Ulla Schmidt will demnächst die Grundrezepte für ihre Gesundheitsreform 2003 vorlegen. Die Rürup-Kommission arbeitet am neuen grundsätzlichen Finanzierungsmodell in der Sozialversicherung. All das dient ja dazu, das zu formulieren, das in Gesetze umzusetzen, was etwa in diesem Strategiepapier formuliert worden ist. Allein – es ist ein politischer Prozess, durch den sich die SPD natürlich hindurchwagen, hindurchtrauen muss.

    Seehofer: Ja, aber wir verlieren jetzt wieder wertvollste Zeit. Die Rürup-Kommission wird irgendwann im Herbst und vielleicht gegen Ende des Jahres dann Konzepte vorlegen. Dann ist wieder ein Jahr verloren. Bis diese Konzepte diskutiert und umgesetzt werden, ist das Jahr 2004 schon wieder weitgehend zeitlich verloren. In der Zwischenzeit laufen uns aber die Beiträge davon, die Lohnnebenkosten steigen, die Arbeitslosigkeit wird zunehmen. Sie haben ja jetzt gerade in den letzten Tagen in den Nachrichten wieder vernommen, dass die Bundesregierung ihre Wachstumsziele reduziert. Das heißt ja wiederum höhere Arbeitslosigkeit. Höhere Arbeitslosigkeit heißt wieder weniger Beitragszahlungen für die Sozialversicherung, weniger Einnahmen für die Sozialversicherung lösen einen erneuten Beitragsdruck aus. Ich kann Ihnen sagen: Wir diskutieren jetzt seit Jahren über die Lösungsbedürftigkeit in den sozialen Sicherungssystemen. Und das Krebsübel ist der fehlende politische Mut, Entscheidungen zu treffen. Die Leute haben die Nase voll. Es wird analysiert, es werden Kommissionen gebildet, es wird untersucht, es wird hin und her gewendet. Dabei sind die Erkenntnisse doch klar, was geschehen muss. Der Kanzler hat es ja niedergelegt: Wir müssen die Lohnnebenkosten beschränken. Wir haben jetzt in Kreuth beschlossen, die Gesamtsozialversicherungsbeiträge von 42 Prozent müssen zurückgeführt werden auf 40 Prozent, mindestens. Ich habe auch den Vorschlag dazu gemacht, die ersten Beitragssenkungen sollten in der Arbeitslosenversicherung erfolgen, indem wir die Arbeitsmarktpolitik fortsetzen, auch etliche Teile vom Hartz-Konzept noch umsetzen, aber insbesondere auch die ineffizienten Arbeitsmarktmaßnahmen der Bundesrepublik Deutschland reduzieren oder abschaffen. Es macht keinen Sinn, Milliarden auszugeben für die Umschulung von arbeitslosen Arbeitnehmern, damit sie anschließend nach der Umschulung wieder arbeitslos sind. Da ist keine Effizienz gegeben.

    Finthammer: Herr Seehofer, wenn ich Ihnen in dieser Aufzählung zuhöre, dann wäre doch die logische politische Konsequenz: Eigentlich braucht es eine Große Koalition in der Sozialpolitik, um da endlich mal was zustande zu bringen.

    Seehofer: Also, ich bin von meiner ganzen Mentalität gegen eine Große Koalitionen. Eine Politik braucht eine starke Regierung und eine starke Opposition, sonst gibt es radikale politische Kräfte, links und rechts. Und deshalb sagen wir immer und immer wieder, und das war die Botschaft von Kreuth: Wenn in der Sozialpolitik, in der Renten- und Gesundheitspolitik die Regierung ihren Irrweg der letzten vier Jahre verlässt - und das war ein Irrweg, die Ergebnisse zeigen es ja -, dann kann man mit der Opposition ins Gespräch kommen. Und wenn das, was der Kanzler in seinem Papier niedergelegt hat, zur praktischen Politik wird, dann braucht man nicht eine institutionelle Große Koalition, dann werden wir in einem viertel Jahr eine gemeinsame Sozialreform hinbringen, die anschließend im Bundesgesetzblatt steht - aber auf dieser Grundlage des Bundeskanzleramtspapiers, weil es der richtige Weg ist: Weniger Staat, weniger Dirigismus, weniger Lohnnebenkosten, mehr Freiheit und mehr Eigenverantwortung. Und da haben wir in der Rente ja die Grundentscheidung schon getroffen - das war die so genannte 'Riester-Rente' –, indem man gesagt hat: die gesetzliche Rente alleine reicht nicht mehr aus in der Zukunft, gerade für die junge Generation, sie muss ergänzt werden durch eine Privatrente oder durch eine Betriebsrente. Das heißt auf deutsch: Künftig wird die Kombination aus einer gesetzlichen Rente und einer Privatrente, die man ein Leben lang aus dem eigenen Einkommen aufbaut, einen angemessenen Lebensstandard im Alter gewährleisten, weil die gesetzliche Rente alleine nicht mehr ausreicht. Also, hier haben wir die Eigenvorsorge schon etabliert, sie muss nur entbürokratisiert werden . . .

    Finthammer: . . . ein Erfolg der rot-grünen Koalition und von Walter Riester.

    Seehofer: Ja, sie ist von Riester, aber zu kompliziert. Ich sage: Er hat gut gedacht, aber hat es miserabel gemacht. Ich garantiere Ihnen: Wenn Sie jetzt auf die Straße gehen, kann Ihnen nicht einmal jeder zweite Bürger überhaupt erklären, wie das mit der Riester-Rente zusammenhängt, wer gefördert wird etc.. Und den gleichen Gedanken, Herr Finthammer, lassen sie mich noch schnell sagen, müssen wir in der Gesundheitspolitik realisieren. Wir müssen auch hier ein Stück Eigenvorsorge unabhängig von den Lohnnebenkosten organisieren, damit aus der Kombination der Eigenvorsorge und der gesetzlichen Krankenversicherung das politische Ziel erreicht wird: Erstklassige Medizin und Pflege für alle Menschen, unabhängig davon, wie groß ihr Geldbeutel ist oder wie alt sie sind. Und wenn wir die beiden Pole realisieren, das gesetzliche System als Basis und eine private Eigenvorsorge als Ergänzung, dann brauchen wir nicht mehr die Lohnnebenkosten zu belasten, und dann kommen wir aus dem ständigen Diskutieren und Reformieren über die Sozialsysteme in Deutschland heraus.

    Finthammer: Was halten Sie in diesem Zusammenhang vom jüngsten Vorstoß der Grünen, so genannte 'Altersvorsorge-Konten' aufzubauen, die steuerlich gefördert werden sollen, und die private und betriebliche Vorsorgeleistungen auf einem quasi personengebundenen Konto bündeln sollen.

    Seehofer: Ja, das ist der Vorschlag, den man nur gutheißen kann. Das heißt ja nichts anderes, Vorsorge, und zwar ein auf die Person gebundenes Vorsorgekonto, auch die Lebensarbeitszeit sollte man darauf führen. Ich bin ohnehin schon seit langem der Meinung: Man sollte beim Renteneintritt nicht immer nur aufs Lebensalter schauen, sondern auf die Versicherungszeit, die ein Mensch in seinem Leben zurückgelegt hat. Und wenn ein Mensch beispielsweise in jüngeren Jahren deutlich mehr gearbeitet hat, dann sollte ihm das als Versicherungszeit durchaus gutgeschrieben werden, auch dann fürs Alter. Also, da ist überhaupt nichts einzuwenden. Das ist alles der Gedanke von mehr Eigenvorsorge. Die Frage ist nun, Herr Finthammer, wenn die Grünen diese Idee haben, die ich genau so vertrete – mehr Eigenverantwortung, mehr Eigenvorsorge -, warum machen sie es denn dann nicht? Sie regieren ja immerhin schon vier Jahre.

    Finthammer: Es gibt auch massive Kritik an solchen Formulierungen, gerade an der Forderung, die Eigenvorsorge auszubauen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist gegen einen solchen Schritt, zumindest insofern die private Altersvorsorge damit in der Tat weiter ausgedehnt werden soll. Das Argument lautet: Einem Drittel der Bevölkerung, nüchtern gesprochen natürlich den unteren Einkommensgruppen, die stärker als andere auf eine finanziell ausreichende Absicherung im Alter angewiesen seien, würden die finanziellen Mittel für eine bessere Vorsorge fehlen. Und daran würde auch die steuerliche Begünstigung wenig ändern. Da wird ein neues sozialpolitisches Problem beschrieben. Wir würden Sie dem begegnen wollen?

    Seehofer: Ja, dass in der Tat Eigenvorsorge nur dann sozial gerecht ist, wenn man die Menschen, die wenig verdienen, so aus dem Steuerhaushalt unterstützt, dass sie ihre Beiträge zur Eigenvorsorge auch bezahlen können. Denn die Beiträge zur Eigenvorsorge bezahlt man ja aus seinem eigenen Einkommen. Daran beteiligt sich ja der Arbeitgeber nicht. Und die Kritik vom Deutschen Gewerkschaftsbund ist insofern überraschend, weil wir als Union jetzt seit Monaten sagen, dass die bestehende Förderung bei der Riester-Rente sozial ungerecht ist. Sie geht nämlich nach dem Motto: Je mehr ich verdiene, desto höher ist die Förderung. Der Chef eines Supermarktes bekommt bei der jetzt geltenden Förderung der Riester-Rente eine fünfmal höhere Förderung als seine Verkäuferin. . .

    Finthammer: . . . er muss aber dann auch mehr Beitrag abführen . . .

    Seehofer: . . . ja, aber es muss genau umgekehrt sein. Die Kassiererin, die Verkäuferin im Supermarkt hat doch eine wesentlich niedrigere gesetzliche Rente. Die muss doch wesentlich stärker daran interessiert werden, eine private Vorsorge aufzubauen, wenn sie nicht im Alter der Sozialhilfe anheimfallen will. . .

    Finthammer: . . . trotzdem muss man das Problem der formalen Gleichheit lösen . . .

    Seehofer: . . . ja, gut. Aber sie hat – diese Frau, diese Verkäuferin, bleiben wir mal bei diesem Beispiel – hat große Schwierigkeiten, aus ihrem verfügbaren Einkommen, das, was sie jetzt gerade verdient, vier Prozent abzuzweigen, um eine Privatrente aufzubauen. Das wird sie nur tun können, wenn der Staat ihr durch Zulagen und Steuererleichterungen dabei hilft. Deshalb müssen wir weg von dem Prinzip, das Riester eingeführt hat, dass diese Verkäuferin weniger gefördert wird als ihr Chef, obwohl der Chef mehr verdient. Und der Chef hat es wesentlich einfacher, die Privatrente aus seinem Einkommen aufzubauen. Und hier sagen wir: Wir brauchen eine sozial gerechte Förderung, weil sonst Eigenvorsorge nicht funktionieren kann, und sozial gerecht ist eine Förderung nur, wenn diejenigen, die wenig verdienen, stärker gefördert werden als diejenigen, die mehr verdienen.

    Finthammer: Herr Seehofer, bleiben wir mal bei der virtuellen Großen Koalition, die wir hier schon beschrieben haben, und schauen doch noch mal speziell auf die beiden Unionsparteien. Die verfahren in der Tat derzeit nach dem Motto: Einigkeit macht stark. Es gibt kaum etwas, was CDU und CSU trennen würde. Legt sich das nach den kommenden Landtagswahlen oder ist das auch noch ein Ergebnis des Wahlkampfes im vergangenen Jahr?

    Seehofer: Also, da können sie ganz sicher sein, dass dieses Angebot zur Kooperation ein dauerhaftes Angebot ist. Das ist jetzt nicht taktisch motiviert mit Wahlen. Wir haben sehr, sehr eingehend darüber diskutiert - mit Edmund Stoiber, Angela Merkel – in der Bundestagsfraktion. Und es bleibt unser Weg, ganz gleich, wie der 2. Februar ausgeht.

    Finthammer: Bleiben wir mal bei der Union. In außenpolitischen Fragen deutet sich da aber doch neuer Streit an. Da will Ihr Landesgruppenführer Michael Glos per Volksbefragung über einen EU-Beitritt der Türkei entscheiden lassen. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat dieses Ansinnen klar zurückgewiesen. Wenn wir mal auf die Unionsparteien schauen: Ist da vielleicht ein Widerspruchsfeld zu finden?

    Seehofer: Ja, da dürfen Sie sich auch bemühen, Herr Finthammer, aber es ist auch kein Widerspruch. Ich war selbst bei den Beratungen dabei, und deshalb kann ich Ihnen ganz verbindlich für beide Parteien sagen: Wir wollen jetzt nicht einen Volksentscheid über den Türkeibeitritt zur Europäischen Union, sondern wir sagen, im nächsten Jahr sind Europawahlen, und bei dieser Europawahl muss die Bevölkerung auch mit entscheiden, wie es mit der Europäischen Union und einer noch zusätzlichen Erweiterung weitergehen soll. Aber es erfolgt jetzt kein separater Volksentscheid. Die Europawahl ist eine Abstimmung über die wichtigsten europapolitischen Vorhaben, und dazu zählt auch der mögliche Beitritt der Türkei zur Europäischen Union.

    Finthammer: Also ist das Thema 'Türkei' kein Thema für Populismus und Stimmungsmache?

    Seehofer: Nein, damit muss man auch verantwortlich umgehen. Die Türkei ist eines der ältesten Länder, mit denen wir Freundschaften haben. Ich komme aus einem Wahlkreis mit einer großen Fabrik mit einem sehr, sehr hohen Anteil an türkischen Arbeitnehmern. Meine Partei, die Christlich Soziale Union, hat in Ingolstadt, in meiner Heimatstadt, eine Türkin in der CSU-Fraktion sitzen. Und so haben viele Kolleginnen und Kollegen Freundschaften zu türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Wir wollen nur, dass diese Frage 'Türkeibeitritt zur Europäischen Union' nicht in irgendwelchen Hinterzimmern und Dunkelkammern entschieden wird, sondern in der Öffentlichkeit und im Deutschen Parlament. Es muss transparent mit Pro und Kontra entschieden werden.

    Finthammer: Herr Seehofer, gilt das auch für das Thema 'Irak'? Die Politik des amerikanischen Präsidenten hat ja in diesen Tagen da auch Widerspruch von CSU-Politikern herausgefordert. Da werden Alt-Minister und heutige Bundestagsabgeordnete zitiert mit den Worten: Wenn es in der CSU-Landesgruppe eine geheime Abstimmung geben würde, würde diese völlig eindeutig gegen die Politik Bush ausgehen.

    Seehofer: Also, das glaube ich nicht. Ich war bei den Beratungen dabei. Wir haben hier eine eindeutige Position. Wir wollen hier, was das internationale Vorgehen betrifft, immer mit der UNO und in der UNO handeln, und da sollen die Deutschen auch mitwirken. Und wir werden alles unterstützen als Union, was in der UNO auch beschlossen wird – gewissermaßen von der Völkergemeinschaft festgelegt wird. Und wir werden allem Widerstand entgegensetzen, was nach Alleingang der Amerikaner aussieht oder ist – tatsächlich. Das ist unsere ganz klare Position, und dabei bleibt es.

    Finthammer: Und was sagen Sie zu der Forderung, man müsse in der Union insgesamt über die Irakfrage noch mal neu nachdenken, weil es in den letzten Wochen zu taktisch im Blick auf den Bundeskanzler und den Außenminister diskutiert worden sei?

    Seehofer: Das sind Einzelmeinungen, die ich nicht verstehe. Ich habe Ihnen gerade noch mal für uns die Position beschrieben, die wir seit dem Bundestagswahlkampf – da kam ja das Thema hoch – vertreten. Und da bleiben wir auch nach der Bundestagswahl unserer Linie treu. Wir ändern jetzt nicht alle acht Tage nach irgendwelchen Stimmungen unsere Irak- oder Außenpolitik. Das sind Einzelmeinungen, die kann ich nicht verstehen, denn sowohl Roland Koch, der ja in Kreuth zu Gast war, als auch Edmund Stoiber haben die Position der Union in Rücksprache mit Angela Merkel sehr genau definiert, und da haben wir keinen Dissens, auch keinen versteckten Dissens. Was Sie nie ausschließen können, dass Sie in so großen Parteien mal die eine oder andere Einzelstimme haben. Aber ich habe Ihnen gerade noch mal gesagt, dass das, was wir im Bundestagswahlkampf auch öffentlich unseren Anhängern und Wählern gesagt haben, auch weiterhin gilt. Das ist eine Frage der internationalen Staatengemeinschaft, der UNO. Und dort sind die Dinge zu diskutieren und zu entscheiden, und wir tragen alles mit, was in der UNO entschieden wird. Und wir wenden uns gegen Alleingänge, auch wenn’s die Amerikaner wären.