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Seenot-Rettung
Wirbel um angebliche Beweise gegen NGOs

Immer öfter gehen italienische Behörden gegen Nichtregierungsorganisationen vor, die Migranten auf dem Mittelmeer retten. Fachleute ziehen die Beweise der Staatsanwälte gegen die NGOs allerdings in Zweifel. Vor allem geht es darum, wie der Begriff Seenot zu definieren ist.

Von Jan-Christoph Kitzler | 07.08.2017
    Flüchtlinge stehen an der Reeling des Schiffs Aquarius der Organisation SOS Mediterranee
    Katastrophale Zustände auf den Booten: "Die Boote sind völlig überfüllt, die haben nicht genug Sprit, kein Essen, kein Wasser für die Menschen an Bord", sagt Julian Pahlke. (imago / Pacific Press Agency)
    Sie haben offenbar gleich mehrere Schönheitsfehler. Die Beweise, die die Staatsanwaltschaft von Trapani vorgelegt hat, um der Organisation Jugend Rettet Kooperation mit den libyschen Schleuserbanden nachzuweisen. Immer mehr Fachleute, die sich mit der Lage auf See vor der Küste Nordafrikas auskennen, ziehen die Schlussfolgerungen der Staatsanwälte in Zweifel: Demnach handelt es sich bei den Libyern, die der Crew der "Iuventa" in mehreren Fällen nahegekommen sind, nicht etwa um Schlepper, sondern um sogenannte Engine-Fisher, Libyer, die versuchen, die Motoren an den Schlauchbooten der Migranten abzubauen, um sie den Schleppern zu verkaufen, damit sie wiederverwendet werden können. Das ist ein bekanntes Geschäftsmodell. Für die Nichtregierungsorganisationen sind diese Begegnungen kompliziert, sagt Julian Pahlke von Jugend Rettet:
    "Für uns ist das eine ganz schwierige Situation: Vor allem für die Crews auf unserem Schiff, denn diese Engine-Fisher treten auch immer wieder aggressiv auf uns gegenüber, wir wissen nicht, ob sie bewaffnet sind. Letztes Jahr gab es einen Übergriff nicht nur auf unser Rettungsschlauchboot, sondern auch auf die italienische Küstenwache, um ein Schlauchboot wieder zu bekommen. Das zeigt eigentlich, wie schwer die Situation einzuschätzen ist."
    Das Flüchtlingsschiff Iuventa von Jugend Rettet im Einsatrz auf hoher See
    Sogenannte Engine-Fischer versuchten, auch bei der "Iuventa" den Motor abzubauen und an Schlepper zu verkaufen. (Deutschlandradio / Johannes Moths)
    Von den Fotos eine Kooperation mit den Schleppern abzuleiten, ist mindestens problematisch, zumal es auch weitere ähnliche Fotos und Videos gibt, die das Vorgehen der so genannten Engine-Fisher belegen.
    Was passiert, wenn die Schiffe italienische Häfen anlaufen?
    Derweil gibt es aber in Italien Berichte, dass die Staatsanwälte auch gegen andere Nichtregierungsorganisation, die Migranten auf dem Mittelmeer retten, ermitteln, unter anderem gegen Ärzte ohne Grenzen. Bisher gibt es aber keine offiziellen Stellungnahmen. Mit Spannung wird erwartet, was passiert, wenn deren Schiffe italienische Häfen anlaufen.
    Die Staatsanwälte werfen den Organisationen auch vor, gar keine Menschen aus Seenot zu retten, sondern sie von den Schleppern auf quasi geordnetem Weg in Empfang zu nehmen. Tatsächlich aber ist der Begriff der Seenot sehr weit gefasst, das hatte vor kurzem erst ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes im Deutschen Bundestag bestätigt. Julian Pahlke, von Jugend Rettet:
    "Der wissenschaftliche Dienst hat das so definiert, dass wenn ein Boot sich nicht allein in Sicherheit bringen kann, dann ist es als Seenotfall anzuerkennen, also das gilt für jedes Boot, was dort vor der libyschen Küste ist. Die Boote sind völlig überfüllt, die haben nicht genug Sprit, kein Essen, kein Wasser für die Menschen an Bord. Und, was man auch nicht vergessen darf: Wir finden immer wieder Leichen, auch in diesen Booten, auch wenn die Boote noch fahren, selbst wenn das 150 Menschen drauf sind, kommt es immer wieder vor, dass wir unter den lebenden Menschen auch Tote bergen müssen."
    Verbindung zur rechtsextremen Identitären Bewegung
    Ein weiterer Schönheitsfehler bei den Beweisen der Staatanwälte ist ein verdeckter Ermittler, der sie an Bord eines NGO-Schiffes erstellt hat. Er war dort für die Sicherheitsfirma IMI Sicurity Services im Einsatz, die Verbindung zur rechtsextremen Identitären Bewegung hat. Die wiederum hat den Einsätzen der NGOs auf dem Mittelmeer den Kampf angesagt. Auf ihrer italienischen Facebookseite frohlocken die Identitären, die Ermittlungsarbeit von Gian Marco Concas beginne Früchte zu tragen. Concas wird dort als Kapitän der Mission "Defend Europe" bezeichnet. Die Identitären sind unter diesem Namen zur Zeit auch vor der Küste Nordafrikas unterwegs, um die NGOs zu überwachen, auf ihrem Schiff steht in großen Lettern "Stoppt den Menschenhandel." Gerade sind sie auf dem Weg nach Tunesien, um Diesel zu tanken, doch tunesische Fischer haben angekündigt, sie wollten das Schiff an der Einfahrt in den Hafen hindern.
    Gleichzeitig retten die NGOs zur Zeit nur verhältnismäßig wenige Migranten vor der Küste Nordafrikas. Stattdessen meldet die libysche Küstenwache, sie habe hunderte Migranten aufgebracht. Dabei wird sie von italienischen Schiffen unterstützt, die inzwischen auch in libyschen Hoheitsgewässern operieren.
    Diese Migranten werden allerdings nicht nach Europa kommen, sondern bleiben in Libyen, aller Voraussicht nach in Flüchtlingslagern, in denen Zustände herrschen, die von den Vereinten Nationen als menschenunwürdig beschrieben wurden.