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Seestücke und Wasserbilder

Wasser hat keine Balken. Wer als Ausstellungsmacher das nasse Element zum Thema nimmt, läuft Gefahr, in einer unüberschaubaren Bilderflut zu ertrinken. Die Macher der Ausstellungen "Mythos und Naturgewalt Wasser" in der Münchner Hypo-Kunsthalle und "Seestücke" in der Hamburger Kunsthalle haben diese Gefahr erfolgreich umschifft.

Von Wolf Schön |
    Wasser hat keine Balken. Wer als Ausstellungsmacher das nasse Element zum Thema nimmt, läuft Gefahr, in einer unüberschaubaren Bilderflut zu ertrinken. Alles fließt, vermerkte schon der alte Grieche Heraklit. Auf jedem zweiten Werk der Kunstgeschichte plätschern Bächlein, rauschen Wasserfälle und entspringen Quellen, droht das entfesselte Meer mit donnernden Wogen, und wo die feuchte Natur nicht selbst gemeint ist, gibt sie doch die passende Kulisse für Episoden in leichter Bekleidung ab. Unzählige Male beobachten lüsterne Bibelgreise die schöne Susanna im Bade, locken laszive Nixen liebestolle Jünglinge in unergründliche Tiefen. Weiblich ist der Urstoff des Lebens, die Psychoanalyse hat in seinen Abgründen die nicht fassbaren Kräfte des Unbewussten versenkt.

    Wie ein Tropfen im Ozean: So benennt Christiane Lange den schier unmöglichen Versuch, mit ihrer sommerlichen Themenausstellung "Mythos und Naturgewalt Wasser " in der Münchner Hypo-Kunsthalle festen Boden unter die Füße zu bekommen. Doch dann hat die Kuratorin mit 70 exemplarischen Darstellungen eine Reihe von Inseln geformt, die der Besucher wie auf einem abwechslungsreichen Segeltörn ansteuern kann. An der ersten Station des munteren Inselhüpfens begegnet er der sakralen Bedeutung des Wassers als Mittel der geistig-seelischen Reinigung. Johannes tauft Jesus im Jordan, auf Gemälden von Ubertini, Carracci und anderen Meistern der Renaissance- und Barockmalerei. Erfrischend, wie der Videokünstler Bill Viola die heilige Handlung in die profane Gegenwart transportiert, mit dem Auf- und Abtauchen heroischer Manneskraft in sprudelndem Meeresblau. Dann, beim nächsten Inselstopp ein dramatisches Kontrastprogramm: Hier bringt das Wasser Tod und Verderben, erst mit der Sintflut, sodann in Gestalt des Roten Meeres, das die Truppen des Pharao verschlingt und schließlich als brüllende See, die im Orkan die Handelsschiffe der frühen Neuzeit auf mörderischen Felsenklippen zerschmettert.

    Dann aber wird alles gut. Das Zeitalter der barocken Wasserspiele ist angebrochen. Menschlicher Erfindergeist paart sich mit aristokratischem Schönheitssinn und bringt das ungebändigte Nass dazu, in den Gärten der Prunkschlösser mit ihren künstlichen Kanälen, Kaskaden, Fontänen und Spritzbrunnen virtuose Kunststücke vorzuführen. Auf der Insel der bürgerlichen Epoche kommen Innerlichkeit und Gefühle zu ihrem Recht. Das flüssige Naturelement wird jetzt zum Elixier der Sehnsucht, das Wasser glättet sich unter den Augen der Romantiker zum Spiegel der Seele. Wenn das 19. Jahrhundert fortschreitet, gerät die Idylle Arkadiens durch die Wallungen unterdrückter Triebe in heftige Bewegung. Die überlieferte Idealität der schaumgeborenen Venus weicht dem gefährlichen Treiben anderer weiblicher Wasserbewohner, der Nixen, Nymphen und Sirenen. Die glitschigen Leiber verkörpern bei Böcklin und Stuck Gelüste und Ängste der verklemmten wilhelminischen Männergesellschaft.

    Mit dem Beginn der Moderne ist auch dieser Spuk vorbei. Die Impressionisten badeten bereits nur noch in den atmosphärischen Eigenschaften des Wassers wie brechendem Licht, flirrenden Reflektionen und schnell wechselnden Farben. Das Leben am Wasser wird zum Freizeitvergnügen. David Hockney zeigt den Swimmingpool als Ikone der amerikanischen Popkultur. Abgerundet wird die Münchner Kreuzfahrt durch einen naturwissenschaftlichen und technischen Informationsanhang, der das Faktenwissen vom Grundstoff alles Lebendigen vertieft.

    Zum Vergleich mit der Münchner Wasserschau fordert die Ausstellung "Seestücke " der Hamburger Kunsthalle heraus. In der Hafenstadt an der Elbe bleibt das Interesse am nassen Thema, was nahe liegt, auf Schiffe begrenzt. Dicke Pötte, elegante Segler, Fregatten, Dampfschiffe, schnittige Yachten, Boote mit Fischern, Schauerleuten und Hafenarbeiten erzählen vom Stolz der Reeder und der harten Arbeit der Küstenbewohner, von Seenot und Heimkehr in den sicheren Port. Die Ausstellung ist jedoch mehr als ein lokales Ereignis. Vielmehr werben die rund 60 Gemälde von Künstlern aus Deutschland, entstanden zwischen dem frühen 19. Jahrhundert und dem Ersten Weltkrieg, um eine gerechte Bewertung der Marinemalerei, die von den Kunsthistorikern bislang vernachlässigt worden ist.

    Das lag einmal am Mangel an Tradition. Seestücke waren eine Domäne der seefahrenden Nationen, der Briten und der Niederländer vor allem. Caspar David Friedrich, mit dessen maritimen Andachtsbildern die Flottenparade beginnt, musste als Student noch ins Ausland nach Kopenhagen reisen, um sich die Motive der Seefahrt anzueignen. Der andere Grund für die Aversion war ein politischer. Kaiser Wilhelm II., der die Zukunft Deutschlands auf den Weltmeeren sah, hatte sich staatlich protegierte Marinemaler herangezogen, deren Propagandagemälde die Armada der Panzerkreuzer verherrlichten und deren Unbesiegbarkeit beschworen. Wie ein neu aufgetauchtes Dokument bezeugt, hatte sich tatsächlich Emil Nolde im Mai 1912 beim Reichsmarineamt in Berlin als künftiger Marinemaler um eine Mitfahrt auf einem Kriegsschiff beworben, zu seinem Glück ohne Erfolg. Das kaiserliche Kanonenbootpathos wird dem Hamburger Publikum vorenthalten. Dafür darf es Max Liebermanns exquisite Strand-Impressionen in vollen Zügen genießen und den Eindruck gewinnen, die deutsche Seefahrtsgeschichte sei eine heile Welt mit "Leinen los! " und "Schiff ahoi!"

    "Mythos und Naturgewalt Wasser": bis zum 21. August in der Münchner Hypo-Kunsthalle
    "Seestücke ": bis zum 11. September in der Hamburger Kunsthalle