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Segeln
Das mächtige Meer unterm Bauch

Die Albis Körbis ist ein rund als 65 Jahre altes Holzschiff. Um den Anderthalbmaster zu erhalten, ist viel Aufwand nötig. Einige Männer widmen sich dieser Aufgabe mit viel Herzblut.

Von Regina Kusch | 24.11.2013
    "Achterspring los! Beide Vorleinen!“
    "Gunter! Letzte Leine!“
    "Achtung Leine und los!“
    "Klar bei Fender und Leinen!“
    Lutz Buche: "Alles Eiche auf Eiche. Und weil dieses Schiff aus guter Eiche gebaut wurde, lebt es heute noch nach 30 Jahren Fischfang. Ein Anderthalbmaster: ein Großmast und ein Besanmast. Wir haben schon einige Regatten gewonnen. 8,8 Knoten. Das Schiff hat Potenzial. Das ist eine stattliche Geschwindigkeit. Das ist ein altes Holzschiff. Daran sieht man, dass die Konstrukteure Vorbilder hatten im Segelschiffsbau. So ein Holzschiff muss ständig unter Kontrolle bleiben. Es kann nicht einfach jahrelang im Hafen liegen, dann rottet das so durch und dann zieht das Wasser. Holzschiffe … was man für einen Aufwand betreiben muss, um diese Schiffe zu erhalten. Ständige Pflege, ständige Kontrolle, mindestens einmal im Jahr auf die Werft. Das ist ganz wichtig. Dieses Schiff hat mich eigentlich gefunden und ich pflege das jetzt mit Freunden zusammen.“
    Lutz Buche ist Skipper auf der Albin Köbis. 1995 ging der gelernte Schlossermeister zum ersten Mal an Bord und es hat ihn nicht wieder losgelassen.
    "Das war fantastisch, diese Atmosphäre hier auf dem Schiff. Diese Gemeinsamkeiten mit der Gruppe. Das gemeinsame Segelsetzen, das Zusammenleben an Bord. Kochen, einkaufen, den Ablauf gestalten. Ja. Man lernt Leute kennen. Das hat mich so angezogen, dass ich dann viele Sachen vertieft habe. Einen Segelschein nach dem anderen. Ich konnte vorher überhaupt nicht segeln. Da war ich schon 35. Da hab ich mir noch eine Jolle gekauft. Eine Jolle und ein Segelbuch und da fing ich an. Habe ich abends gelesen im Buch und am nächsten Morgen ausprobiert. So hab ich mir das Grundverständnis erworben.“
    25 Meter misst die Albin Köbis bei gesetzten Segeln von der Spitze des Klüverbaums bis zum Besanmast. Ein stattlicher alter Kompass thront auf dem Steuerstand. Über den Holzhalterungen, an denen die Leinen ordentlich aufgeschossen sind, hängen Messingschilder mit den Namen der fünf Segel. Das hölzerne Steuerrad weist Spuren von Wind und Salzwasser auf.
    "Die Steuerbordpoller da vorne sind noch das alte Holz, über 65 Jahre alt, was man hier an Deck sehen kann. Alles andere haben wir neu gebaut über die Jahre, manche Sachen auch schon doppelt. Das ist schon der dritte Mast, der hier auf dem Schiff steht. Holzmasten halten nicht ewig. Das ist eine Sicherheitssache. Wenn der nur eine kleine Rottstelle zeigt, dann muss man bei. Der steht jetzt fünf Jahre. Schöne Lärche aus Dänemark. 15 Meter hoch und 35 Zentimeter im Durchmesser. Plus da oben die Stenge noch. Die Mastverlängerung, die nennt man Stenge, sodass wir auf eine Gesamthöhe kommen von über 22 Metern über Wasser. Reicht mal gerade so für die Fehmarn-Belt-Brücke.“
    Wie im vorletzten Jahrhundert schiebt sich der schwarze Oldtimer durch die Wellen. Vorne und rechts und links am Heck zwischen zwei roten Sternen: der Name "Albin Köbis“.
    Lied der Matrosen:
    Vergesst nicht das Lied der Matrosen von Frieden und Freiheit und Brot!
    In Kiel, im September ‘17. Wer das Lied sang, der ging in den Tod.
    Denn die den Frieden wollten, die wurden ja Meuterer genannt.
    Matrosen sollten sterben durch Matrosenhand.
    Aber ein junger Heizer pfiff leise: Reise, reise, reise, reise!
    Brüder, seid bereit! Für unsre Stunde und unsre Zeit.
    Benannt nach Anführer von Matrosenaufstand
    "Albin Köbis, ja, wer war Albin Köbis?“
    "Da gab es ja die Gedenkstätte damals in Rostock. Die stehen ja noch in Rostock die beiden. Reichpietsch und Köbis am Kabutzenhof.“
    "Im Ersten Weltkrieg zu den Matrosen gehörte er, die da umgebracht worden sind. Mit Reichpietsch zusammen.
    Das ist ja doch sehr traditionsbehaftet und klang sehr interessant von der Geschichte her.“
    "Wenn man in Ahus mit dem Schiff in den Museumshafen fährt, dann steht da der Trompeter und bläst irgendein Arbeiterlied zur Begrüßung der Albin Köbis.“
    Mitsegler, die nicht aus der ehemaligen DDR kommen, haben oft noch nie von Albin Köbis gehört. Dann erzählt ihnen Lutz Buche gern die Geschichte vom Anführer des Wilhelmshavener Matrosenaufstands 1917.
    "Das hab ich ja noch in der Schule gelernt. Albin Köbis war ein junger Mann, 24 Jahre alt, war Heizer auf einem kaiserlichen Kriegsschiff im Ersten Weltkrieg auf der Prinzregent Luitpold. Und er war einer der Sprecher der Matrosenorganisation von den Schiffen. Illegal natürlich. Und je länger der Krieg gedauert hat, je höher das Leid wurde in Deutschland und an den Fronten, desto mehr Widerstand entwickelte sich. Und auch in der deutschen Hochseeflotte gab es Männer, die sich zusammengeschlossen und überlegt haben, wie kann man dieses sinnlose Massensterben beenden. Dann haben sich die Matrosen gegen die Schikanen der Offiziere gewehrt, schlechte Verpflegung, sinnloser Kasernenhofdrill.
    In Wilhelmshaven lag das Linienschiff zur Ausrüstung wieder mal im Hafen, und dort hat sich die ganze Besatzung, ich glaub 600 Mann, an Land begeben, und eine Versammlung abgehalten, um zu überlegen, was sie unternehmen können, um ihren Protest zu äußern. Das hat der Marineführung natürlich überhaupt nicht gepasst und dann gab es eine Riesenverhaftungswelle, und es wurden Hunderte Matrosen von verschiedenen Schiffen verhaftet, eingesperrt. Der Hauptprozess war gegen Köbis und Reichpietsch. Die wurden in Köln Wahn auf dem Militärstützpunkt erschossen wegen Meuterei. Aber es hat den Herren nicht viel genutzt. Ein Jahr später war es mit der Herrlichkeit der Offizierskaste auf der kaiserlichen Marine vorbei. Da war dann der Krieg zu Ende mit dem berühmten Matrosenaufstand in Kiel.
    "Alle klar zum Segel setzen?“
    "Großsegel vorbereiten!“
    "Vier Mann an die Großsegelfallen!“
    "Backbordstag weg und Dirk lösen!“
    "Hisst die Segel! Und zugleich im gleichen Rhythmus!“
    "Sieht gut aus! Wunderbar! Und noch mal Hol! Und zieht.“
    "Und noch mal und der Nagel. Einen haben wir noch. Gut. Belegen.“
    Schiff mehr als 60 Jahre alt
    "Ich hab das Schiff vor zehn Jahren übernommen, da war es schon, wie es jetzt ist. Gebaut wurde es ‘48 hier in Barth. Damals wurden ja über 350 Schiffe dieser Art gebaut. Die Eiche wurde gekauft in Schweden. Für dieses Schiffsbauprogramm. Nach dem Krieg. Die Ostsee war voller Fisch, lange konnte nicht gefischt werden, die Leute haben gehungert. Da musste man ganz schnell Schiffe bauen. Da gab es eine Anordnung der sowjetischen Militärverwaltung: Schiffe bauen für die Ernährung der Leute in Deutschland. Es wurden alte Pläne aus den Schubladen geholt, in den 30er-Jahren wurde dieser Schiffstyp getestet und klassifiziert. Und so kam diese Baureihe von diesem Typ, die 17-Meter Kutter. 17-Meter Kutter ist ein Begriff an der Küste, wovon der Großteil als Reparationsleistung an die Sowjetunion ging, aber die Größenordnung 50, 60 Schiffe sind noch hier geblieben.“
    Die Albin Köbis, eine Gaffelketsch, gehörte zur ersten Baureihe. Die Gaffeltakelung wurde im 17. Jahrhundert erfunden und bedeutet, dass die viereckigen Segel oben an beweglichen Rundhölzern hängen. Ketsch nennt man ein Segelboot mit zwei Masten. Mit etwa 60 Quadratmetern Segelfläche lag das Boot bei Seegang stabil im Wasser beim Fischen, unterstützte bei gutem Wind den Motor und konnte im Fall eines Maschinenschadens sicher in den nächsten Hafen gesegelt werden. 30 Jahre lang ging der Kutter für die Fischereikombinate in Sassnitz und Rostock auf die Jagd nach Schollen, Dorsch, Lachs und Heringen. Doch da Holzschiffe in der Haltung zu teuer wurden, ersetzte man in den 70er-Jahren die alte Fangflotte durch Stahlschiffe. Die 50 Tonnen schwere Albin Köbis wurde nach Kiel verkauft und dort zum Traditions-Segler umgebaut, der vor allem in der Jugendarbeit genutzt wurde.
    Ballade von den Seeräubern:
    Von Branntwein toll und Finsternissen,
    Von unerhörten Güssen nass.
    Vom Frost eiskalter Nacht zerrissen
    Im Mastkorb, von Gesichten blass.
    Von Sonne nackt gebrannt und krank,
    Die hatten sie im Winter lieb
    Aus Hunger, Fieber und Gestank
    Sang alles, was noch übrig blieb:
    Oh Himmel, strahlender Azur!
    Enormer Wind die Segel bläh!
    Lasst Wind und Himmel fahren! Nur
    Lasst uns um Sankt Marie die See!
    "Da hast du die absolute Ruhe auf dem Wasser. Man hört nur den Wind und die Wellen plätschern. Wunderbar entspannend. Man hat viel Platz auf Deck, das sind schöne Urlaubstage. Und man kann natürlich noch viel lernen. Wie so alte Schiffe mal gefahren wurden. So segeln wir heute noch - wie vor 100 Jahren, das fasziniert viele Leute.“
    Heimathafen der Albin Köbis ist in Kappeln an der Schleimündung. Der Museumshafen dort ist Ausgangspunkt für Törns rund Rügen, durch die dänische Südsee oder nach Kopenhagen. Für Gestresste bietet Lutz Buche Meditationsreisen an mit Yoga auf Deck und für Hartgesottene sogar Segeln im Winter, vorbei an verschneiten Stränden, wenn im Salon der Ofen bollert und heißer Tee für Wärme von innen sorgt. Für den sorgt, sooft er Zeit hat, Frank Michael Männike. Seit fast 20 Jahren verbringt der gelernte Schiffbauer seine Freizeit damit, Kunst aus Treibholz herzustellen oder an Bord der Albin Köbis.
    "Mein Hobby ist die Kombüse. Hier werden richtig schöne Sachen gezaubert, maritime Menüs. Es ist ja so, dass nach dem Frühstück, wenn alles abgesprochen ist, wo man hin will, kein warmes Essen gekocht wird. Es gibt dann Schnittchen oder irgendwelche anderen Sachen, die schnell gemacht sind und abends wird dann schön getafelt. Nach dem Anlegebier. Und wenn es mal Buletten gibt oder schönen Braten gemacht oder Aufläufe. Ofen ist ja da. Kein Problem, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ich bin gelernter Schiffbauer und bin das ganze Leben, auch als Kind schon mit dem Wasser verbandelt. Hab dann auch drei Jahre als Matrose gearbeitet. Ich wollte immer auf Schiffe, die nicht so diesen - das mögen mir die Segler übel nehmen - so einen Schickimicki-Charakter haben. Ich achte die sportliche Leistung der Leute, aber ich liebe mehr die Tradition. Dieses traditionelle Segeln ist einfach schöner. Ich muss selber anfassen, hab da nicht eine Winde oder einen Knopf, wo ich drücken kann. Ich möchte lieber ein bisschen rustikaler das Ganze.“
    Alles handgemacht
    Rustikal ist die Ausstattung der Albin Köbis: Wo früher der Fischfang gelagert wurde, befinden sich heute zehn schlichte, aber bequeme Kojen. Bei Regen werden die Mahlzeiten in der Messe serviert, deren blau gepolsterten Sitzbänke zu Schlafplätzen umgebaut werden können. Auch Achim Bittrich investiert fast jede freie Minute ins Schiff. Ist er nicht an Bord, dann bastelt er an der Homepage der Albin Köbis.
    "Es war wie Liebe auf den ersten Blick, es war schweinekalt, es hat geregnet. Aber wir sind um ganz Färöer gesegelt, da hat man so ein Gefühl gehabt, was man bis dahin nicht kannte. Viele von meinen Freunden sind abgesprungen, ich bin dabei geblieben. Ich war vor zwei Jahren mal drei Tage auf der Isle of Sky. Ansonsten, Urlaub hat immer was mit Köbis zu tun. Man lernt viele Menschen kennen, die man sonst nicht trifft, die zupacken können und denen so was auch Spaß macht. Das Schiff hat ein Flair, was nicht jedes hat. Ein altes Holzschiff, alles handgemacht. Man kriegt ein Gefühl dafür, was echte Seemannschaft ausmacht. Das Schiff strahlt klassische Seefahrerei aus. Es geht um das Gefühl, gerade eine halbe Stunde draußen, da interessiert mich die Welt nicht mehr. Und das ist das Beste, was man haben kann.“
    Seit Jahren begleiten Achim Bittrich und Frank Michael Männike Lutz Buche jeden Sommer auf die Hanse Sail in Rostock, auf der die Albin Köbis Tagestouren anbietet. 25 Passagiere passen bequem an Deck, ohne sich auf die Füße zu treten. Eine Woche lang ist die Altstadt dann Mischung aus maritimer Kirmes, Gauklerfest und Museum. Gut 200 alte Segelschiffe aus ganz Europa schieben sich zweimal täglich im Konvoi vom Rostocker Hafen durch Warnemünde auf die Ostsee.
    "Im ersten Jahr lagen die Nerven blank bei mir. Aber es ist eine gute Atmosphäre in Rostock. Vor allem, das Schiff muss Geld verdienen.“
    Beliebt bei Touristen
    Trotz des kommerziellen Rummels und der hohen Anspannung gibt es immer wieder Momente, in denen Lutz Buche Zeit findet, zu genießen.
    "Die Abendfahrt: Wir waren in der glücklichen Position, dass wir die Schiffe alle sehen konnten, die in den Sonnenuntergang hinein gefahren sind. Die Sonne ist knallrot im Meer versunken und davor die Kulisse der Schiffe, die alle Segel oben hatten, das war ein Traumbild.“
    Und auch die Gäste nehmen schöne Fotos und Erinnerungen mit von Bord.
    "Entspannt, absolut entspannend, weil es so langsam ist, es keine Eile gibt. Es hat Zeit.“
    "Für mich ist es einfach ein Stück Freiheit. Dieses Unberührte. Ich bin früher auf der Gorch Fock gefahren als Kadett. Das holt einen immer wieder ein.“
    "Wir kommen aus der Nähe von Mainz, sind am Rhein aufgewachsen und wenn wir an der Ostsee sind, müssen wir immer auf die See.“
    "Dieses Segelschiff - ein unbeschreibliches Flair. Wenn Motor ausgeschaltet wird, diese Stille! Unbeschreiblich, das ist einfach klasse!“
    "Dieses Alte, Gebrauchte, die Geräusche, die das Segel macht, knarren, das Wellenrauschen. Dieses ruhige Dahinsegeln ist einfach schön.“
    "Man sieht die Arbeit, was gemacht werden muss, wenn die Segel gesetzt werden.“
    "Als Laie weiß man oft nicht, was zu tun ist, aber wenn man es gesagt bekommt, das macht dann auch Spaß.“
    "Dass Schiffe durch diese Fahrten in Fahrt beleiben können, das gefällt uns.“
    "Das kostet viel Geld, das ist auch einzusehen, aber dass mit Segelei mal die Schifffahrt betrieben wurde, das ist doch interessant und das sollte erhalten bleiben.“
    "In 100 Jahren weiß keiner mehr, wie man segelt. Ich finde schon, das hat mit Tradition und Kultur an der Ostsee zu tun.“