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Segelparadies und historisches Städtchen

Das kleine Städtchen Lazise am Gardasee wird gerne von Campingtouristen und Wassersportlern besucht. Doch die wenigsten erahnen, welche historischen Ereignisse sich in dem kleinen Ort abgespielt haben: Nicht nur die Truppen des deutschen Kaisers Otto II. lagerten hier, auch der deutsche Generalfeldmarschall Erwin Rommel und der italienische Diktator Benito Mussolini trafen sich am Gardasee.

Von Franz Nussbaum |
    Da legt am Mittag noch ein Ausflugsschiff an der breiten Promenade des Gardasees an, Italiens größter See. Er hat bildhaft die Form einer Birne. Hier im Süden bei Lazise hat diese Birne ihre breiteste Ausdehnung. 16 Kilometer bis zum gegenüberliegenden Ufer. Und wir erkennen durch die etwas milchige Mittagssonne auch die Spitze der berühmten Halbinsel "Sirmione", die weit in den Gardasee hineinwächst.

    Der junge römische Dichter Catull, vor 2000 Jahren Verfasser sehr amouröser Verse, seine Familie ist mit Julius Cäsar persönlich bekannt - also, den Catulls gehört auf Sirmione eine stattliche "Datsche". Und ich habe ein Gedichtbändchen des Dichters dabei. Bitte, Herr Catull:
    Hier dieses Boot, ihr Freunde, das ihr vor euch seht, erzählt,
    dass es das schnellste Schiff gewesen sei.
    Der Ehrgeiz keines andren Kiels, je schwimmend es einzuholen, glückte,
    galt es durch Ruderschlag dahinzufliegen ... oder durch der Segel Kraft.
    Wenn man die steilen Alpen übersteigt
    sieht man die Siegesmale des großen Cäsar,
    Galliens Rhein, und dann auch noch, am Rand der Welt,
    die wilden Britanier

    Sind nicht Catulls Verse eine herrliche globale Vorahnung, dass 2000 Jahre später auf diesem Gardasee Tragflügelboote und pfeilschnelle Katamarane kreuzen? Und der eroberungssüchtige Cäsar provoziert nichts anderes, als dass später die eroberten Völker, die langbärtigen Germanen als Langobarden, also als Langbärte, und die trinkfesten Britanier heute auf Lazises Wiesen ihre Zelte aufschlagen?

    Lazise heißt zu Catulls und Cäsars Zeiten Lasitium, ein kleines Fischernest. Neben der heutigen Schiffsanlegestelle geht ein schmaler Stichkanal wenige Meter in die Altstadt hinein und öffnet sich dann zu einem nur schwimmbadgroßen Hafenbecken. Heute dümpeln hier ein duzend Fischerboote. Dieser Hafen war vor eintausend-und-mehr Jahren das strategische Kapital des kleinen Örtchens. Alessio Piras:
    "Ja, das kleine Lazise war das wichtigste Handelshafen am südlichen Gardasee für Waren aus Verona, später aus Venedig, die an das gegenüberliegende Ufer des Sees verkauft wurde. Das ist die Seite von Brescia. Da beginnt die Lombardei und da beginnt der Einfluss der Visconti von Mailand. Es war hier immer ein Machtkampf zwischen Venedig gegen Mailand. Es hat deswegen auch Seeschlacht auf dem Gardasee, direkt vor Lazise gegeben.

    Und es war seit Karl dem Großen auch ein Machtkampf der deutschen Kaiser, die ja zu Krönung nach Rom zum Papst reisen müsste. Dazu müsste aber ihr langer Weg über den Brenner, über Verona frei sein. Und so kam es auch, dass Lazise im Jahre 983 von Kaiser Otto Secondo, Otto II., das Recht eine Stadtmauer bekam. Lazise war damals der erste Ort, der eine Mauer am Gardasee bauen durfte. Und es war von Kaiser Otto auch Dank, weil seine Truppen, auch hier irgendwo am Gardasee für einige Tage Erholungsrast einlegen konnten."
    Zur richtigen Vorstellung, Lazise liegt in Fahrradentfernung zu Verona. Eine Stunden oder knapp 20 Kilometer durch hügelige Weinlagen liegt die Arena von Verona oder der Balkon von Romeo und Julia - Shakespeare lässt grüßen - von hier entfernt. Und zweitens, vermögen wir uns heute vorzustellen, welch eine Marsch-Strapaze hinter den deutschen Heeren des Mittelalters lag, wenn sie über den Brenner in Verona ankommen?

    10.000 Mann, 4000 gepanzerte Reiter und Tross und Waffen und Wagen und Zelte? Diese Heere hatten zu Fuß bis hier schon eintausend Kilometer in den Beinen - auf dem langen Weg nach Rom oder gar bis in Fußspitze des italienischen Stiefels. Verona war die Drehscheibe. Lazise lag nur eine halbe Tagesetappe entfernt, hier am lieblichen See. So mag es vorstellbar sein, dass Teile des Heeres, auch aus Versorgungsgründen, damit Verona nicht kahlgefressen wurde, hier auf den Wiesen von Lazise ihre Zelte aufschlagen. Aus Geschichtsbüchern zusammengefasst:

    " Der 20-jährige Kaiser Otto II. ist der Sohn von Otto dem Großen, Sieger auf dem Lechfeld gegen die Ungarn. Der junge Kaiser pendelt zu jener Zeit hin- und hergehetzt über den Brenner. Ist Otto II. in Italien, stören die aufmüpfigen Dänen und Slawen in seinem Rücken die mühsam gehaltene Elbe-Saale-Grenze. Ist Otto in Magdeburg oder Mainz zündeln die Sarazenen in Süditalien."
    Es ist hier am See interessant diese Zeit unter Otto II. "aufzublättern". Beispielsweise seine Mutter war als 20-jährige italienische Königin Adelheid nur zehn Kilometer nördlich von Lazise auf einer Festung oberhalb von Garda gefangen gehalten worden. Otto der Große befreit und heiratet diese Adelheid und wird mittels dieses heiratspolitischen Tricks auch König von Italien. Damit beginnt damals das "Heilige römische Reich deutscher Nation". Wir lesen weiter:
    Otto der Große erhebt seinen 17-jährigen Sohn als Otto II. zum Mitkaiser. Beide regieren das gewaltig ausgedehnte Römische Reich Deutscher Nation. Zur Absicherung seiner Machtpolitik vermählt Otto der Große seinen Sohn mit der byzantinischen Prinzessin Theophanou.
    Und diese Theophanou bringt den Barbaren erst einmal Tischmanieren bei, höfische Kultur, hat eine eigene Bibliothek und Musiker und Künstler im Gefolge.

    Und ich habe hier eine kleine zeitgenössische Abbildung eines Ereignisses aus Verona dabei. "Reichstag" unter Otto II. hier in Verona. Der junge Kaiser ist hier noch bartlos abgebildet, mit Krone unter einem Baldachin. Es huldigen ihm, laut übersetzter Inschrift die Provinzen Germania, Francia, Italia und Alemannia. Es wurden 983 zu Verona viele wichtige Posten im Reiche neu besetzt. Und dabei soll dieses Lazise - hier - die Erlaubnis zu einer Stadtmauer bekommen haben. Ob Otto II. vielleicht für ein paar Stunden in Lazise am See geweilt haben mag? Vielleicht mit Theophanou und mit dem dreijährigen Söhnchen der beiden?

    In Verona wird der erst dreijährige Sohn dann von den Fürsten und Bischöfen zum Mit-König Otto III. gewählt. Ein dreijähriger Knirps. Und dann wird das Kind 900 Kilometer nach Norden, nach Aachen geschleppt und dort zum Kind-König gesalbt. Im gleichen Jahr, im Dezember 983 stirbt der erst 28-jährige Otto II. in Italien an den Folgen einer verschleppten Erkrankung oder Verletzung. Deutsche Geschichte vor eintausend Jahren.
    Zurück nach Lazise. Direkt am kleinen Hafen, an der Promenade am See, steht aus venezianischen Zeiten das "Arsenal", das alte Zollhaus. Heute ist hier ein Festsaal für Ausstellungen und Konzerte. Und wir kommen in eine Probe für eine höchst komödiantische Opera Buffa nach einer Komödie von Carlo Goldoni.

    Und die Sänger und Musiker gehören sommers zum großen Ensemble, natürlich nicht in der ersten Reihe, zum großen Ensemble der Festspiele in der Arena von Verona. Und im Herbst tingeln sie halt hier durch die kleineren Orten und auf den Weinfesten. Und ich darf auch eine ganz persönliche Erinnerung an diesen alten Saal des venezianischen Magazins einflechten. Hier habe ich vor 30 Jahren als campender Urlauber zu den Weisen eines italienischen Orchesters mit meiner Frau getanzt. Ich hatte damals natürlich noch keine Ahnung von Ottos Stadtmauer.

    Die Stadtmauer, die dann unter den Venezianern vergrößert wurde, sehen wir heute noch intakt. Und fast meint man, noch hinter den gemauerten Zinnen die Bogenschützen zu erkennen. Nur die 400 Meter an der Uferpromenade hat man wegen des Tourismus und des romantischen Seeblickes platt gemacht. Aus jener fernen Zeit stammt auch noch das nur kappellengroße romanische Kirchlein San Nicolo, direkt neben dem kleinen Innenhafen.

    Und wir sehen hier alte Fresken. Und ein Bildnis zeigt eine Madonna mit einem Jesuskind auf dem Schoss. Der Kleine ist schon fast im Vorschulalter. Und seine Mutter hat eine Brust entblößt. Das ist ja eine ganz seltene Mariendarstellung. Rafaela Erizzone:
    "Das ist eine Madonna del Late. Das heißt Madonna der Milch oder Milchmadonna. Und Sie sehen, dass die Madonna, sie hat das Kind..."

    …sie hat es an der Brust. Das ist ganz offen gezeigt.

    "Ja, das war im Mittelalter der Ausdruck, dass die Frauen sich an die Madonna wendeten und beteten, dass sie Milch kriegen, wenn sie ein Kind haben. Denn sonst gab es keine Ersatzmilch. Dann konnten sie sonst ihre Kinder nicht ernähren."

    Diese rote Kreidefarbe, mit der das Gewand der Madonna dargestellt ist, auch die Gesichter...

    "Ja, das sind die typischen Farben, auch die typischen Stile der Malerei seinerzeit. Das geht dann ein bisschen zurück an den Stil von Giotto, in die venezianische Kultur. Dieses Fresko wurde nicht von einem berühmten und sehr guten Maler gemalt, denn das wurde eben von den Fischern gekauft."
    Und wir hören ein italienisches Madonnenlied.

    Und dieses Fresko hier ist in seiner Bilderbotschaft, Madonna del Late, genau auf die Analphabeten vor 600 Jahren abgestimmt. Gebets- und Wallfahrtsstätte am Gardasee.
    Nur wenige Meter von dem Kirchlein entfernt steht das Castel der Skaliger. Vormals war es eine Burg, die in den schon erwähnten Zeiten von Otto II. von einer schwäbischen Rittersfamilie gehalten wurde. Heute im Privatbesitz.

    Und wir wollen abschließend noch eine besondere Geschichte aufblättern. Wir gehen fast auf den Tag genau 65 Jahre zurück. Herbstliche Jahreszeit hier am Gardasee: Zwischen dem 17. August 1943 bis Mitte November 1943 liegt das Stabsquartier der deutschen Heeresgruppe B mit dem Oberbefehlshaber, Generalfeldmarschall Erwin Rommel hier oberhalb von Lazise in dem kleinen Dörfchen Cola.
    "Ja, und es gibt noch einige sehr alte Leute, die sich daran erinnern. Also dieser deutsche Marschall Rommel soll mit einem weißen Pferd und mit einer kleinen Begleitung ausgeritten sein, hier am Seeufer."
    Und Rommels Quartier in Cola ist - auch heute - eine pompöse Anlage, mit Villen in einem üppigen Park mit sehr alten Bäumen. Und das Haupthaus ist heute ein nobles Sternerestaurant. Aber wir wollen uns in die dramatischen Umstände jener Tage vor 65 Jahren eindenken und lesen:
    Der Stern des Generalfeldmarschalls Rommel ist nach dem Desaster des Nordafrikafeldzuges im Sinkflug. Fast ein halbes Jahr hat Hitler seinen populärsten General ohne neue Aufgaben, man kann sagen, bestraft. Auch deswegen, weil Rommel eine kritischere Analyse der Zuspitzung des Zweiten Weltkrieges zu vertreten wagt. Doch Rommel brennt auf eine neue Aufgabe. Diese erhält er mit der Landung der Alliierten in Süditalien. Gleichzeitig kommt es zur Verhaftung von Hitlers faschistischem Spießgesellen Mussolini und es kommt zum Waffenstillstand des vormaligen Bündnispartners Italien.
    Rommel soll Auffangstellung gegen die Alliierten aufbauen. Soll zweitens die Entwaffnung der Italienischen Armee leiten. Und vor allem soll er rund 400.000 kriegsmüde Italiener als Zwangsarbeiter der deutschen Rüstungsindustrie und für Schanzarbeiten der Ostfront zuführen. Kein Traumjob für einen höchstdekorierten General, der gerne mit dem Mythos des "Wüstenfuchses" auftritt.

    Rommel residiert also hier bei Lazise. Und an der schräg gegenüberliegenden Seeseite residiert ein abgehalfterter Mussolini, von Hitlers Gnaden, in einer winzige Republik "Salo". Rommel, als Aufpasser ist 51 Jahre, Mussolini acht Jahre älter. Rommel besucht den von der SS bewachten Duce; und soll dem Gegenüber sehr barsch dessen Eskapaden und Weibergeschichten vorgehalten haben.

    Am 16. November 1943 wird Rommel, nach nur drei Monaten, aus Italien schon wieder abberufen. Er soll als vorletzte Wunderwaffe Hitlers die Landung der Alliierten in Frankreich verhindern. Zehn Monate später, am 14. Oktober 1944, folgt Rommels spektakulärer "Selbstmord".
    Zugegeben, vielleicht ein bisschen viel an Reisenotizen bei einem herbstlichen Sonntagsspaziergang hier am Lago di Garda. Aber, so sind nun mal die alten Steine, wenn man sie als Zeitzeugen zum Sprechen bringt. Ein vorletzter Blick auf die fast leeren Campingwiesen, bis auf wenige Caravan-Urlauber. Arividerci Lago di Garda.