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"Segen der Erde" als Theaterstück in Köln
Flirten mit dem Feind

Von Dorothea Marcus |
    Der Roman sei leider vergriffen und werde auch nicht mehr aufgelegt, sagt die Buchhändlerin. Und das ist wohl auch kein Wunder. "Segen der Erde", jener 400-seitige Roman, mit dem Knut Hamsun 1920 jenen Literaturnobelpreis errang, dessen Medaille er später Joseph Goebbels schenkte, ist immer noch zutiefst umstritten. Hamsun, der von Thomas Mann oder Robert Musil so bewundert wurde, war ein Hitler-Anhänger und Rechtfertiger von Konzentrationslagern - und der Roman ist eine grandiose Verherrlichung des bodenständigen Landlebens der Vergangenheit gegen das abgehobene, vergiftete Städtertum der Moderne.
    Bei Regisseur Robert Borgmann ist die Scholle des einsamen Bauern Isak von Anfang an ein riesiges Bassin aus Glyzerin, wie ein schwarzes, feuchtes Grab. Auch wenn eigentlich alles gut läuft: er trifft seine Ehefrau Inger, die eigentlich von einer Hasenscharte entstellt ist, in Köln aber von der liebreizend-jungen Darstellerin Julia Riedler einfach und etwas unterbelichtet gespielt wird. Im Bassin paaren sie sich zunächst wortlos und leidenschaftlich, versorgen sich selbst, bauen auf, gebären zwei glitschige Kinder, zuweilen kommt die gehässige Nachbarin vorbei, aber das Land wird eifrig bestellt. Es wird wenig gesprochen, eine archaische Atmosphäre liegt über der Szenerie, auch dank des grandiosen Musikerduos Webermichelson, versteckt hinter einer beweglichen schwarzen Wand.
    Das Wasser ist eine großartige Metapher: mal ist es Schlamm, mal Fruchtwasser, mal Moor, mal Meer, manchmal sogar Kaffee - und es bringt einen glucksenden, tropfenden, platschenden Grundsound in das Bühnenbild von Rocco Peucker ein, als sei hier, in der kalten, dunklen Natur Norwegens, der Urgrund des Universums gelegt. Man kann sich darin suhlen, Sex haben, ertrinken - und ertränken. Denn eines Tages bringt Inger ihre neugeborene Tochter um, weil diese auch eine Hasenscharte hat - und wird von der Nachbarin verraten. Das Unheil nimmt seinen Lauf.
    "Da sitzt sie nun im Wald, sie schüttelt den Kopf und weint." - "Herrgott im Himmel, es ist nun getan. Und die Folgen werden nicht ausbleiben. Das Gute geht oft einen spurlosen Weg - das Böse zieht immer Folgen nach sich." - "Wie bist du nur dazu gekommen? Hast du es erwürgt? Wie hast du das nur tun können?" - "Sie war genauso wie ich. Am Mund." - "Du hättest das nicht tun sollen. Wie hast du es gemacht?" - "Und dann legt ich sie auf das Gesicht, und dann starb sie."
    Leider verliert sich die Kraft der ersten Bilder. Letztlich ist es unmöglich, selbst nicht in den lang werdenden vier Theaterstunden, diesen Roman angemessen auf die Bühne zu bringen. Zu erzählen, wie Inger nach acht Gefängnisjahren verdorben aus der Stadt wiederkommt, wie sich das Verhängnis auf die ganze folgende Generation auswirkt, wie sie stumpf die Fehler ihrer Eltern wiederholt, und am Ende noch ein Kind getötet wird.
    Noch schwerer ist zu vermitteln, wem Isaks Land gehört, warum und wann er wie viel verkauft, wie das Kupfervorkommen, das in Form einer riesenhaften Kupferplatte von der Bühnendecke hängt, verteilt ist. Letztlich werden die Figuren nur skizzenhaft gezeichnet und es ergibt sich trotz grandios erfundener Bilder kein dramaturgischer, geschweige denn ein psychologischer Faden. Auch eine Haltung zum Roman ist letztlich nicht zu erkennen. Dass Hamsun mit den Nazis sympathisierte, merkt man nur daran, dass Miguel Abrantes Ostrowski als kapitalistischer Beamter der Moderne zuweilen in Gestapo-Uniform aufmarschiert.
    Manchmal beschwört er aber auch als Erzähler den nahenden Untergang - während er sich selbst fast in Rauchschwaden auflöst. Man hat das Gefühl, der Regisseur nutzt den Roman weitgehend als Vorlage für die eigene überbordende Bilderfantasie - und bedient beim Zuschauer archaische, ganzheitliche Sehnsüchte, ohne sich ernsthaft dabei zu positionieren. Ähnlich wie beim Chef des Kölner Schauspiels Stefan Bachmann dient der umstrittene Stoff auch hier nicht als Zivilisationskritik. Eher schon als Anregung, um mal gedanklich aus dem links-bürgerlichen Selbstbestätigungskosmos der deutschen Mittelschicht herauszukommen. Flirten mit dem Feind, könnte man das auch nennen. Das hätte allerdings pointierter ausfallen müssen.