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Sehen, Anfassen, Spüren

Sehen – anfassen – spüren. Das ist auch heute noch die beste Methode, um selbst bei einem Hightech-Material ein Gefühl dafür zu bekommen, ob es für ein neues Produkt geeignet sein könnte – oder nicht. Denn Fehlgriffe führen dazu, dass ein neues Produkt schnell zum Flop wird. Das aber müssen innovative Hersteller möglichst vermeiden. In Köln betreibt "Material Connexion" Deutschlands größtes Materialprobenarchiv.

Von Peter Kolakowski |
    "Was hältst Du davon?

    Ich finde es sehr interessant, hier geht's um Trittschalldämmung für den Boden.

    Dann können wird uns das Material mal anschauen."

    Martina Breidenbach und Thomas Wekel sind auf der Suche nach Materialien, die es am Markt noch gar nicht gibt. Deshalb wühlen sie sich gerade durch eine Fundgrube der besonderen Art: Das Materialprobenarchiv von "Material Connexion". Die beiden Mitarbeiter von ThyssenKrupp sind zuständig für internationales Produktmanagement und neue Produkte – und das passende Material hoffen sie hier in Köln zu finden

    "Dafür sitzen wir hier eben in der Materialbibliothek, um unsere Aufgabe als Trendscout den Trend von morgen heute schon zu entdecken.

    Wir bieten unseren Kunden vielfältige Materialdienstleistungen an, wir wollen innovativ sein, und da bietet die Materialbibliothek halt für uns einen hervorragenden Fundus."

    Jetzt stehen die beiden zusammen mit Materialrechercheurin Anne Farken inmitten langer Regalreihen mit großen Schubfächern. Vorne an den Fächern: etwa DIN-A4 große Bretter mit Mustern des jeweiligen Materials. Ganz neue Werkstoffe frisch aus den Entwicklungslabors sind genauso dabei wie altbewährte, erklärt Anne Farken.

    "Die sind nicht nach Anwendungsbereichen sortiert, sondern, wie Sie sehen, ist das nach Werkstoffgruppen eingeteilt, natürliche Materialien, Polymere, das ist die größte Gruppe, Gläser, Kohlenstoffbasis, und hier, im letzten Regal hinten, geht es nicht um den Werkstoff an sich, sondern um die Technologie, die Be- oder Verarbeitungstechnologie von Werkstoffen, das ist hier der Prozessbereich."

    Neben der Materialbibliothek in Köln unterhält "Material Connexion" Filialen in Mailand, Bangkok und New York. Dort sitzt auch die Zentrale von "Material Connexion", die Lizenzen für die Führung von Materialbibliotheken in Franchiseform vertreibt. Zahlen zum Umsatz und Gewinn geben weder das Unternehmen selbst noch deren Franchisenehmer heraus. Ob gewebt, gegossen oder gepresst, ob aus Naturfasern, Holz, Kunststoff, Glas oder Metall - mit derzeit über 3000 verschiedenen Materialien und Materialkombinationen ist die Bibliothek die größte Werkstoffsammlung der Welt. Jeden Monat kommen etwa 40 neue Werkstoffe hinzu. Damit ist das Kölner Materialproben-Archiv eine Fundgrube für Produktentwickler, Ingenieure und Architekten genauso wie für Designer, Messebauer, Dekorateure oder Veranstaltungstechniker.

    "Ja hier ist Anfassen erlaubt! Hier haben wir auch noch ein besonders interessantes Material, das ist ein transparentes Isolationsmaterial. Aber Architekten und Innenarchitekten finden das aufgrund der Struktur, also der interessanten Wabenstruktur, interessant, dass es auch für andere Anwendungen, beispielsweise als Trennwand eingesetzt werden könnte, weil es eine schöne Optik dann auch hat."

    Die Aufnahme eines Werkstoffs in die Bibliothek, über die eine unabhängige Fachjury entscheidet, ist für den Entwickler beziehungsweise Hersteller selbst kostenlos. "Material Connexion" arbeitet unabhängig von Materialherstellern, Lieferanten oder anderen Unternehmen. Das Unternehmen finanziert sich über seine Nutzer. Wer ein Jahr lang die Materialbibliothek online oder vor Ort nutzen will, muss mit Kosten in Höhe von etwa 2000 Euro rechnen. Bis zu vier Personen haben dann Zugriff auf die Produktmuster. Größere Personengruppen und längere Nutzerzeiten werden entsprechend höher berechnet. Bei der Kundenrecherche spielt nicht selten der Zufall eine wichtige Rolle, welches Material das am besten geeignete ist. Auch so lassen sich neue Anwendungsmöglichkeiten finden, die in anderen Branchen bereits zum Einsatz kommen.

    "Dass auch Materialien wieder neu entdeckt werden können, ist hier das Beispiel der Firma Nike. Die haben hier für den Spannbereich dieses Basketballstiefels ein entsprechendes Material gesucht. Und die haben hier ein Material bei uns gefunden. Wissen Sie, was das ist? Das sind Kabelummantelungsschläuche, dieses Material hat genau die Eigenschaften, die für den Spannbereich gesucht wurden."
    Die Kunden können selbst nach Materialien recherchieren, oder sich zum Beispiel von Materialrechercheur Karsten Bleimehl beraten lassen. Bleimehl arbeitet in einem etwa 50-köpfigen Team aus Werkstoffwissenschaftlern, Designern, Architekten, Ökonomen und sogenannten Trendfindern.

    "Es geht hier darum, neue Oberflächenmaterialien für einen Kunden zu finden, hier sehen wir Recyclingplatten aus Aluminium, aus Stanzabfällen von Milchkännchen, die einer sehr hohe Abriebfestigkeit beinhalten. Wir sehen harzgebundene Werkstoffe, dort hinten ist glasfaserverstärkter Beton. Ganz neue Kombinationen, wie zum Beispiel ein Mineral mit Glas drinnen. Wir sind in der Mitte der Recherche und das sind ein paar Vorschläge."

    Neben der Bibliothek und der Beratung bietet "Material Connexion" auch auf den Kunden zugeschnittene Entwicklungsaktivitäten an. Hierfür werden regelmäßig in der Produktion und Anwendung tätige Mitarbeiter aus den verschiedensten Branchen zu Arbeitstreffen eingeladen. Diese können schon vor der Markteinführung eines neu entwickelten Werkstoffes gemeinsam mit Experten den Markterfolg ausloten und so auch mögliche Flops vermeiden.

    http://www.materialconnexion.com/de/