Archiv


Sehen mit den Ohren

Biologie. - Delfine haben eine Art sechsten Sinn: Um ihre Beute aufzuspüren, nutzen sie ähnlich wie Fledermäuse ein Echolot, das die Echos selbst erzeugter Schallwellen auswertet. Wie US-Forscher jetzt herausfanden, liefert dieser Sinn sogar detaillierte räumliche Informationen.

Von Frank Grotelüschen |
    Es sieht aus wie eine Szene aus einem Urlaubsvideo: Zwei Leute in Badesachen stehen am Rand eines Swimmingpools, im Wasser planscht ein Delfin. Doch merkwürdig – dem Tier sind zwei Augenklappen aufgesetzt, es ist quasi blind. Dann wird ein Ding ins Wasser getaucht, das aussieht wie Riesenkamm, dem ein Zinken fehlt. Der Delfin reagiert sofort. Er sendet Klickgeräusche in Richtung Kamm, lauscht dem Echo und hebt die rechte Flosse. Die Leute am Swimmingpool brechen in Jubel aus. Der Delfin hat den Test bestanden. Er hat mit verbundenen Augen, allein mit Hilfe der Klickgeräusche erkannt, dass im Kamm ein Zinken fehlt. Die Szene stammt natürlich nicht aus einem Urlaubsvideo, sondern es ist ein wissenschaftlicher Versuch im Laborbecken der Universität Hawaii. Dort haben Forscher einen Delfin dressiert und ihm unter anderem beigebracht, als Signal, wenn er etwas erkannt hat, die Flosse zu heben. Mit dem Test wollte der Tierforscher Brian Branstetter herausfinden, wie sich Delfine mit Hilfe der Echoortung orientieren.

    "Die Echoortung dient hauptsächlich zur Nahrungssuche. Aber auch sonst sind Delfine ständig damit beschäftigt, ihre Umgebung abzuscannen. Mit ihrem Vorderkopf senden die Tiere laute, hochfrequente Schallimpulse aus, wir nennen sie Clicks. Werden diese Clicks von irgendetwas reflektiert, etwa von einem Fisch, fangen die Delfine die Echos auf und können daraus Informationen extrahieren."

    Mit Hilfe dieser Echoortung kann ein Delfin seine Beute selbst dann finden, wenn er nichts sieht. Er kann buchstäblich im Trüben fischen – und auch im Dunkeln. Nur: Wie präzise die Echoortung funktioniert, war bislang noch nicht bekannt. Und genau das wollten Branstetter und seine Leute mit ihren Versuchen herausfinden.

    "Das läuft ähnlich wie bei einem Sehtest. Mit einem Unterschied: Wir decken die Augen des Delfins ab. Er muss sich also ausschließlich mit Hilfe seiner Echoortung zurechtfinden."

    Auf einer Distanz von einem Meter kann ein Delfin Dinge bis auf einen Zentimeter genau orten – so das Ergebnis des Versuchs mit dem Kamm und dem fehlenden Zinken. Und die Forscher machten noch einen weiteren Test:

    "Wir ließen einen Kasten mit einer Vorderseite aus schwarzem Plexiglas zu Wasser. Durch das Plexiglas konnte der Delfin nicht schauen, nur seine Clicks kamen durch. In der Box steckte ein Gegenstand, ein Rohr mit mehreren Abzweigungen, und dieses Rohr hat der Delfin mit seiner Echoortung abgetastet. Danach zeigten wir ihm vom Beckenrand aus drei Rohre von ähnlicher Form, und nur eines entsprach dem Rohr im Kasten. Wir zeigten ihm die Rohre in der Luft, weil er sie dort zwar sehen, aber nicht mit seiner Echoortung erfassen konnte. Dennoch erkannte der Delfin den richtigen Gegenstand spielend wieder."

    Und daraus folgert Branstetter, dass die Echoortung dreidimensional funktionieren muss, sonst nämlich hätte der Delfin das verzweigte Rohr niemals erkennen können. Das bedeutet: Mit seinen Clicks vermag der Delfin die räumliche Gestalt eines Beutefisches ziemlich genau zu erkennen – eine höchst nützliche Eigenschaft in trüben und dunklen Gewässern.

    "Einige der Beutefische sind ziemlich klein und schwimmen dicht beieinander in Schwärmen. Der Delfin braucht also ein gutes räumliches Erkennungsvermögen, um sich einen kleinen Fisch in einem großen Schwarm zu schnappen. Und: Delfine können mit ihrer Echoortung sogar Fische aufspüren, die im Boden vergraben sind. Die Delfine können durch den Sand hindurchschallen, die Beute an ihrer Form erkennen und dann auffressen."