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Sehnsucht nach Ausbruch

Stefan Puchers Inszenierung von Henrik Ibsens "Hedda Gabler" erzählt die Geschichte einer Frau, die Sicherheit für ihr Leben gewählt hat und deswegen mit einem braven Professor zusammen ist. Doch sie bereut diese Entscheidung.

Von Karin Fischer | 04.05.2013
    In diesem Stück geht es, wie allgemein auf dem Theater, ums Probehandeln. Was wäre, wenn Heddas Mann, der brave Kulturgeschichtler Jörgen Tesman, Professor würde? Was wäre, wenn man der Spießigkeit Einhalt gebieten könnte? Wenn man Mut hätte, sein Leben nach seinen eigenen Wünschen zu leben? Oder wenigstens Macht über einen anderen Menschen hätte? Was wäre, wenn der Zug des Lebens anhielte und man entweder aussteigen könnte - oder jemand Drittes käme dazu?!

    Jedenfalls ist das die Geschichte, die Stefan Pucher aus Ibsens "Hedda Gabler” macht. Die Geschichte einer Frau, die die Sicherheit gewählt hat, also Tesman, und diese Fehlentscheidung innig bereut:

    "Mein lieber Brack, ich habe mich zu Tode gelangweilt. Stellen Sie sich vor, sechs Monate treffen Sie keinen Menschen aus unseren Kreisen, mit dem man sich unterhalten kann! Und das Schlimmste von allem: immer und ewig zusammen mit ein und demselben Menschen."

    Weshalb sich Hedda so sehr nach Aufbruch, Ausbruch sehnt und so wenig mit sich selbst eins ist, dass sie genauso gut Rollen spielen kann. Und am Ende an Selbst-Zersplitterung stirbt. Den Abgang von der selbst gewählten Bühne schafft sie nur mit einer Kugel im Kopf.

    "Mit anderen Worten, jetzt haben Sie mich in der Hand. Ich bin in Ihrer Macht." – "Glauben Sie mir, liebe Hedda, ich werde meine Macht nicht missbrauchen.” - "Trotzdem. Nicht frei, nicht mehr frei.”"

    Nina Hoss als Hedda ist das gleißende Zentrum dieses leicht überhitzten Showdowns, der durch Videos in Schwarz-Weiß - Hedda als Westernheldin, die ihre männlichen Gegner mitleidlos abknallt - noch unterstützt wird. Ihr Gesicht ist mal kühl und hart wie ein geschliffener Diamant, mal hochnäsig und gelangweilt. Sie ist narzisstisch und eitel, sprühend und grausam manipulativ, und der Quell überhaupt aller Emotionen in diesem Versuchsraum.

    ""Sie hat Mut, Frau Tesman, großen Mut." – "Ja, Mut – wenn man den hätte." – "Was dann?" – "Dann könnte man auch leben!"

    Auch ohne Revolver spielt sie gleich drei Männer ziemlich an die Wand. Als blondlockig-laszive 70er-Jahre-Schönheit oder Rockröhre. Ja, es wird auch gesungen.

    Und auch Margit Bendokat erhebt als Tesmans Tante (wie eigentlich in jeder Inszenierung) ihre besondere Stimme, hier als eine mal weise, mal nervende Kassandra.

    Regisseur Stefan Pucher und seine Bühnenbildnerin Barbara Ehnes schlagen den Bogen von Ibsen in die jüngere Vergangenheit, indem sie das Stück optisch in zwei Zeitebenen ansiedeln. Anfang und Schluss spielen in einer riesigen Blockhütte, in der alles unecht ist, von der Standuhr bis zum Kerzenleuchter; dazwischen aber befinden wir uns einem stilechten 70er-Jahre-Overkill in rot-orange oder grau-schwarz-weiß. Stefan Pucher, dessen Ausstattungsorgien nie Selbstzweck sind, sondern eine fast spielfilmhafte Qualität aufweisen, erweist sich hier als Quentin Tarantino des Theaters. Bei den Mitteln immer etwas drüber, ein bisschen Pop, eine kleine Westernfantasie, ein großer Schuss Selbstironie, jede Menge selbstreferenzieller medialer Anspielungen und absolut stilsichere Kostüme - nur die Dialoge sind bei Tarantino vielleicht aufregender.