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Sehnsucht nach dem Zwilling

Marina Carss erhielt 1996 für Portia Coughlan den Susan Smith Blackburn Award. Es erzählt die unheilvolle Geschichte der Familien Scully und Joyce, die sich in der inzestuösen Zwillingsbeziehung zwischen dem vor 115 Jahren ertrunkenen Gabriel und seiner Schwester Portia entlädt.

Von Rosemarie Bölts |
    Der Mann steht da wie eine Statue und formt mit beiden Händen am Mund einen stummen Schrei, voller Entsetzen und Verzweiflung. Das zeigt das Ende von fast zwei Stunden pausenloser Familienhölle an der Rampe des Münchner Metropoltheaters: eine Tote und jede Menge zerbrochener Existenzen. Anders als die Betrachter von Edvard Munchs weltberühmtem Bild "Der Schrei" indes erfahren die Zuschauer des Theaterstücks "Portia Coughlan" sehr wohl, was hinter diesem Ausdruck verzweifelten Entsetzens steckt. Es ist die unheilvolle Geschichte der Familien Scully und Joyce, die sich in der inzestuösen Zwillingsbeziehung des vor 15 Jahren ertrunkenen Gabriel und seiner Schwester Portia entlädt:

    "Wir waren uns sehr ähnlich, ja, Mutter? – Wie gespuckt. Am Anfang konnt ich euch kaum auseinanderhalten. – Wir sind Hand in Hand aus dem Mutterleib rausgekommen. Als Gott die Seelen verteilt hat, da muss er meine und die von Gabriel verwechselt haben. Entweder das, oder er hat einfach für uns beide nur eine gehabt, und die ist mit ihm in den Belmont-Fluss gegangen. Gabriel, du hattest nicht das Recht, mich hier so allein zu lassen!"

    Kaputte Seelen, und alle machen den Anschein, als ob ihr Leben normal sei. Dass es das natürlich nicht ist, hat die irische Dramatikerin Marina Carr mit ihrer Titel gebenden Protagonistin Portia, geborene Scully, verheiratete Coughlan, schon in der ersten Szene klar gemacht. Die hockt am Morgen ihres 30. Geburtstags am Boden, verstrubbelt, nur ein Kapuzenshirt über dem dünnen Hemd, die Beine nackt und die Whiskeyflasche in der Hand. Zu verkorkst ist das Ganze. Der Zwillingsbruder spukt immer noch in Portias Kopf und Seele herum und zieht sie letztlich zu sich in den Todesfluss. Es gibt hier für nichts und niemanden Hoffnung, und nur die einfältigen Nebenfiguren, die nicht aus diesen Familien stammen und als "Versager" tituliert werden, kommen in ihrer Beschränktheit heil davon. Auch die Zuschauer haben keine Chance auf ein Fünkchen Hoffnung. Das Whiskey verbrämte, in Irland spielende Drama der vertrackten Familienbande kommt wie eine Bugwelle auf sie zu, hoch anschwellend, und dann nur noch bergab. Allein durch die Schauspieler, die nicht noch dem drastischen Inhalt eins drauf geben, sondern sehr normal, aber umso wirkungsvoller in der nicht minder drastischen Sprache agieren. So wie Blaize Scully, eine wahrhaft alte Hexe im harmlosen Großmutterlook, nur scheinbar durch ihren Rollstuhl an ihrer Macht über die Familie gehindert:

    "Keiner kennt die Herkunft von eurem Blut! Ich habe dich gewarnt, Sly! Aber du gibst ja 'n Scheiß auf meine Meinung! Der Teufel ist drin in dem Blut in den Joyces. Der war in Gabriel, und der ist auch in Portia drin! Gott schütze uns vor dem schwarzäugigen Zigeunerstamm und den schwarzen Seelen und dem schwarzen Blut!"

    Hier ist alles schwarz, auch die Bühne. Das ist symbolisch zwangsläufig und tatsächlich in dieser Reduktion angemessen, um den Seelenwirrwarr aufzudröseln. Regisseur Jochen Schölch, der diesmal auch fürs Bühnenbild verantwortlich zeichnet, ist seinem Minimalismus treu geblieben. Und das ist wieder einmal genial. Es gibt in dem Schwarz nur eine breite, große Rampe, die wiederum alles ist: Wohnzimmer, Tisch, Tresen in der Dorfschenke, Flussufer und Fluss. Obwohl man nie ein Wasser rauschen oder blubbern hört, und nur einmal Rinnsale die Rampe geräuschlos hinuntersickern, als nämlich Portia sich zum Sterben hinlegt. Und es gibt so gut wie keine Requisiten, keine Stühle, kein Inventar, auch keines der Kinder, von denen immer die Rede ist, weil sich Portia auch nicht um sie kümmert. Nur einmal hält der Mann winzige Regenstiefelchen in der Hand, die den Blick auf die Kinder und auf die Verletzlichkeit öffnen. Schölchs Inszenierungsstärke liegt genau in solchen, vermeintlich reduzierten Bildern, in Andeutungen, in diesem Purismus, der die Sachen auf den Kern bringt und alles an Vorstellungskraft in den Köpfen der Zuschauer zaubert, was gemeint sein kann. Einfach bestes Theater.