Julius H. Schoeps, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und Vorsitzender der Gesellschaft für Geistesgeschichte zu der aktuellen Diskussion über den Zustand unseres bürgerlichen Gemeinwesens:
" Was wir zurzeit erleben, ist eine gewisse Hilflosigkeit in der Suche nach den Begriffen. Da werden Begriffe gebraucht wie Unterschicht, da frage ich mich, was das eigentlich sein soll, auch jemand, der in einer vorgeblichen Unterschicht ist, gehört zur Bürgergesellschaft. "
" Notwendig scheint mir zu sein, dass man die Frage stellt: Wer sind wir, was ist unsere Funktion in der Gesellschaft, welche Werte und Normen bestimmen unser Handeln. "
Für Professor Peter Krüger, Historiker an der Universität Marburg ist der bürgerliche Mensch zunächst einmal immer auch ein politischer Mensch und der Kampf um freie Entfaltung seiner Persönlichkeitsrechte ein wesentliches Merkmal der Bürgergesellschaft. Der Anspruch auf Bildung, auf Verwirklichung und Schutz des Individuums ist zwar im Grundgesetz der Bundesrepublik fixiert. Doch diese demokratische Verfassung ist keine Selbstverständlichkeit, wie Peter Krüger betont. Sie fordert im Gegenteil zu einem bewussten Umgang mit ihren Möglichkeiten heraus:
" Ich glaube, dass Bürgergesellschaft in diesem weit gespannten Sinne mit den Betätigungsmöglichkeiten für die Mitbürger, für jeden Einzelnen auch in der Selbstorganisation, in verschiedenen Bewegungen, die auch über die nationalen oder staatlichen Grenzen hinausgehen, sei es Umweltschutz, sei es Menschenwürde, .., dass diese Nutzung erhalten bleibt, dass vor allen Dingen man auch daran sieht, es gibt eine Herausforderung, die die alten politisch- bürgerlich- gesellschaftlichen Ideen immer noch ausstrahlen, weil sie unsere Rechtsgrundlage sind und unsere Verfassungsgrundlage in einem tieferen Sinne, dass sie uns viel ermöglichen. "
Wesentlichen Anteil an der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft hatten im 18. und 19. Jahrhundert die Religionen und die Auseinandersetzung mit ihnen. So referierte zum einen der Kulturhistoriker Ulrich Sieg über die Bedeutung des jüdischen Bürgertums für Kultur und Bildung vor 1933. Die Emanzipation der christlichen, vor allem protestantischen Bürger von der kirchlichen Obrigkeit beleuchtete Hans J. Hillerbrand von der Duke University in den USA.
" Zum einen ist die Religion sprich Christentum die Staatsreligion, das heißt, also bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Durch die französische Revolution setzt eine Veränderung ein, in der Kirche und Staat keine Einheit mehr bilden. "
Bedeutete Bürger zu sein bis dahin automatisch auch Glied einer christlichen Kirche zu sein und sich zumindest nach Außen hin mit deren Normen und Ritualen zu identifizieren, setzte ab Beginn des 19. Jahrhunderts ein Umdenken ein, dass Folgen für das Selbstverständnis des Bürgertums an sich hatte:
" Was sich da tat, ist, dass im Laufe des 19. Jahrhundert sich eine neue Deutung des Christentums, aber auch des Judentums anbahnte mit dem Inhalt, dass die herkömmlichen Glaubeninhalte, die ja zum großen Teil überirdischer Natur waren also Wunder, Auferstehung, etc, dass das alles beiseite geschoben wurde und sich ein neues Verständnis sowohl des Christentums wie des Judentums herausbildete, dass eben vornehmlich auf Moral und Tugenden gegründet war. Man bewährt seine Religiosität darin, dass man ein moralisches Leben führt. "
Dass diese Tugend- und Moralvorstellungen breite Schichten des Bürgertums nicht davor bewahrten, mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache zu machen und Werte wie Gleichheit, Mitmenschlichkeit und Menschenrechte über Bord zu werfen, diskreditierte den ganzen Stand und führte dazu, bürgerliche Tugenden mit negativen Vorzeichen oder zumindest Fragezeichen zu versehen. Der antibürgerliche Affekt der 68er Bewegung resultierte nicht zuletzt aus der nicht bewältigten Nazi- Vergangenheit, wobei Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung davor warnt, die Proteste als Ausdruck einer homogenen Bewegung zu begreifen.
" Die 68er Bewegung ist gespalten gewesen. Ein Teil von ihr hat die bürgerlichen Tugenden versucht zu bekämpfen. Ein anderer Teil hat versucht, sie aufzuheben und sie im Grunde genommen zu vollenden. Ich glaube, dass die deutsche Gesellschaft der alten Bundesrepublik damals auch eine Erneuerung benötigte. Es ist damals auch in viele Bereiche so etwas wie ein frischer Wind gekommen. Auf der anderen Seite ist dieser frische Wind allerdings auch bezahlt worden durch eine Entgrenzung der Gewalt und andere Phänomene mehr, die in den 70er Jahren das öffentliche Bild mitbestimmt haben. "
Interessant wäre es nun gewesen, etwas Neues über die Folgen dieser antibürgerlichen Entwicklung zum Beispiel für die veränderte Rolle der Frauen in der Gesellschaft zu erfahren, doch leider wurde dieses Thema im Verlaufe der Tagung völlig ausgegrenzt. Übrigens steht auch die Abwesenheit von Referentinnen einer akademischen Gesellschaft mit so hohem Selbstanspruch nicht gut zu Gesicht. Die Situation des Bildungsbürgertums unter der Diktatur des Proletariats der DDR war leider ebenfalls keiner Erwähnung wert. So schien die titelgebende "Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal" weitgehend in einer Gleichung mit der etwas sentimentalen Sehnsucht nach der vergangenen Bonner Republik zu stehen. Der die Konferenz beschließende Lobgesang des Hausherrn auf die erzieherische Wirkung preußischer Tugenden, als da beispielsweise sind: Charakterstärke, Pflichterfüllung oder Sachlichkeit war wohl nicht nur dem genius locii der Veranstaltung geschuldet, er entsprang vielmehr der tiefen Überzeugung des Preußen- Kenners Julius H. Schoeps.
" Was ich einfordere ist eigentlich nur das Bekenntnis zu diesem Staat und zu dieser Gesellschaft. Wenn man ein Amt übernimmt, dann soll man nicht dieses Amt ausnützen, sondern dieses Amt zu übernehmen ist eine Ehre. "
" Die Werte und Normen ändern sich, das weiß ich auch. Aber es geht um sittliche Haltungen, die wir wieder stärken müssen und das nicht jeder diese Gesellschaft als Selbstbedienungsladen begreift. "
" Was wir zurzeit erleben, ist eine gewisse Hilflosigkeit in der Suche nach den Begriffen. Da werden Begriffe gebraucht wie Unterschicht, da frage ich mich, was das eigentlich sein soll, auch jemand, der in einer vorgeblichen Unterschicht ist, gehört zur Bürgergesellschaft. "
" Notwendig scheint mir zu sein, dass man die Frage stellt: Wer sind wir, was ist unsere Funktion in der Gesellschaft, welche Werte und Normen bestimmen unser Handeln. "
Für Professor Peter Krüger, Historiker an der Universität Marburg ist der bürgerliche Mensch zunächst einmal immer auch ein politischer Mensch und der Kampf um freie Entfaltung seiner Persönlichkeitsrechte ein wesentliches Merkmal der Bürgergesellschaft. Der Anspruch auf Bildung, auf Verwirklichung und Schutz des Individuums ist zwar im Grundgesetz der Bundesrepublik fixiert. Doch diese demokratische Verfassung ist keine Selbstverständlichkeit, wie Peter Krüger betont. Sie fordert im Gegenteil zu einem bewussten Umgang mit ihren Möglichkeiten heraus:
" Ich glaube, dass Bürgergesellschaft in diesem weit gespannten Sinne mit den Betätigungsmöglichkeiten für die Mitbürger, für jeden Einzelnen auch in der Selbstorganisation, in verschiedenen Bewegungen, die auch über die nationalen oder staatlichen Grenzen hinausgehen, sei es Umweltschutz, sei es Menschenwürde, .., dass diese Nutzung erhalten bleibt, dass vor allen Dingen man auch daran sieht, es gibt eine Herausforderung, die die alten politisch- bürgerlich- gesellschaftlichen Ideen immer noch ausstrahlen, weil sie unsere Rechtsgrundlage sind und unsere Verfassungsgrundlage in einem tieferen Sinne, dass sie uns viel ermöglichen. "
Wesentlichen Anteil an der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft hatten im 18. und 19. Jahrhundert die Religionen und die Auseinandersetzung mit ihnen. So referierte zum einen der Kulturhistoriker Ulrich Sieg über die Bedeutung des jüdischen Bürgertums für Kultur und Bildung vor 1933. Die Emanzipation der christlichen, vor allem protestantischen Bürger von der kirchlichen Obrigkeit beleuchtete Hans J. Hillerbrand von der Duke University in den USA.
" Zum einen ist die Religion sprich Christentum die Staatsreligion, das heißt, also bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Durch die französische Revolution setzt eine Veränderung ein, in der Kirche und Staat keine Einheit mehr bilden. "
Bedeutete Bürger zu sein bis dahin automatisch auch Glied einer christlichen Kirche zu sein und sich zumindest nach Außen hin mit deren Normen und Ritualen zu identifizieren, setzte ab Beginn des 19. Jahrhunderts ein Umdenken ein, dass Folgen für das Selbstverständnis des Bürgertums an sich hatte:
" Was sich da tat, ist, dass im Laufe des 19. Jahrhundert sich eine neue Deutung des Christentums, aber auch des Judentums anbahnte mit dem Inhalt, dass die herkömmlichen Glaubeninhalte, die ja zum großen Teil überirdischer Natur waren also Wunder, Auferstehung, etc, dass das alles beiseite geschoben wurde und sich ein neues Verständnis sowohl des Christentums wie des Judentums herausbildete, dass eben vornehmlich auf Moral und Tugenden gegründet war. Man bewährt seine Religiosität darin, dass man ein moralisches Leben führt. "
Dass diese Tugend- und Moralvorstellungen breite Schichten des Bürgertums nicht davor bewahrten, mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache zu machen und Werte wie Gleichheit, Mitmenschlichkeit und Menschenrechte über Bord zu werfen, diskreditierte den ganzen Stand und führte dazu, bürgerliche Tugenden mit negativen Vorzeichen oder zumindest Fragezeichen zu versehen. Der antibürgerliche Affekt der 68er Bewegung resultierte nicht zuletzt aus der nicht bewältigten Nazi- Vergangenheit, wobei Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung davor warnt, die Proteste als Ausdruck einer homogenen Bewegung zu begreifen.
" Die 68er Bewegung ist gespalten gewesen. Ein Teil von ihr hat die bürgerlichen Tugenden versucht zu bekämpfen. Ein anderer Teil hat versucht, sie aufzuheben und sie im Grunde genommen zu vollenden. Ich glaube, dass die deutsche Gesellschaft der alten Bundesrepublik damals auch eine Erneuerung benötigte. Es ist damals auch in viele Bereiche so etwas wie ein frischer Wind gekommen. Auf der anderen Seite ist dieser frische Wind allerdings auch bezahlt worden durch eine Entgrenzung der Gewalt und andere Phänomene mehr, die in den 70er Jahren das öffentliche Bild mitbestimmt haben. "
Interessant wäre es nun gewesen, etwas Neues über die Folgen dieser antibürgerlichen Entwicklung zum Beispiel für die veränderte Rolle der Frauen in der Gesellschaft zu erfahren, doch leider wurde dieses Thema im Verlaufe der Tagung völlig ausgegrenzt. Übrigens steht auch die Abwesenheit von Referentinnen einer akademischen Gesellschaft mit so hohem Selbstanspruch nicht gut zu Gesicht. Die Situation des Bildungsbürgertums unter der Diktatur des Proletariats der DDR war leider ebenfalls keiner Erwähnung wert. So schien die titelgebende "Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal" weitgehend in einer Gleichung mit der etwas sentimentalen Sehnsucht nach der vergangenen Bonner Republik zu stehen. Der die Konferenz beschließende Lobgesang des Hausherrn auf die erzieherische Wirkung preußischer Tugenden, als da beispielsweise sind: Charakterstärke, Pflichterfüllung oder Sachlichkeit war wohl nicht nur dem genius locii der Veranstaltung geschuldet, er entsprang vielmehr der tiefen Überzeugung des Preußen- Kenners Julius H. Schoeps.
" Was ich einfordere ist eigentlich nur das Bekenntnis zu diesem Staat und zu dieser Gesellschaft. Wenn man ein Amt übernimmt, dann soll man nicht dieses Amt ausnützen, sondern dieses Amt zu übernehmen ist eine Ehre. "
" Die Werte und Normen ändern sich, das weiß ich auch. Aber es geht um sittliche Haltungen, die wir wieder stärken müssen und das nicht jeder diese Gesellschaft als Selbstbedienungsladen begreift. "