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Sehnsucht nach Frieden im Baskenland

Die Muschel. So nennen die Einwohner des mondänen San Sebastián ihre Bucht mit dem lang gezogenen, halbrunden Strand. In diesem Frühjahr wirken die Flaneure im eleganten Donosti, wie die Stadt am Golf von Biskaya auf Baskisch heißt, besonders entspannt.

Von Hans-Günter Kellner |
    Denn seit zwei Monaten schweigen die Waffen. Am 24. März hatte die Untergrundorganisation ETA einen Waffenstillstand verkündet. Nicht alle auf der beliebten Strandpromenade des Badeorts haben die gleiche Meinung zur Zukunft des Baskenlandes. Doch ein Gefühl großer Erleichterung ist allenthalben spürbar.

    Frau: " Wir sind voller Hoffnung, dass jetzt jeder seinen Teil zu einer Lösung beiträgt. Beide Seiten müssen aufeinander zu gehen, sonst wäre es keine Verhandlung. Ich hätte nichts gegen eine baskische Unabhängigkeit, habe aber auch kein besonderes Interesse daran. Vor allem bin ich sehr für unsere Autonomie, mit allen Rechten. "

    Mann: " ETA kehrt nicht mehr zu den Waffen zurück. Die sind besiegt. Frankreich, das bisher immer ein Rückzugsgebiet war, hat sie endlich entschiedener bekämpft. Als sie dieses Rückzugsgebiet verloren, hatten sie auch keine Kommandos mehr. Die ETA hatte gar keine andere Wahl."

    Was wollen die Basken? Welche Hoffnungen verbinden sie mit der Waffenruhe der ETA? Welche Zukunft wünschen sie sich?

    Klare Antworten darauf gibt es nicht. Im Baskenland herrscht nicht einmal Einigkeit über die Grenzen der Region Euskadi. Nationalisten und die ETA sprechen seit den neunziger Jahren von "Euskal Herria", dem "Land der baskischen Sprache", das sich über die gegenwärtigen Grenzen der nordspanischen Region Euskadi sowie über das benachbarte Navarra und den Südwesten Frankreichs erstreckt. Dort lösen diese Ansprüche jedoch Ängste aus, möglicherweise ungefragt vereinnahmt zu werden.

    Die "Universität des Baskenlandes" untersucht seit zehn Jahren die politischen Stimmungen in Euskadi. Nach den Umfragen der Wissenschaftler, würde bei einer Abstimmung rund ein Drittel der Bevölkerung für ein unabhängiges Baskenland stimmen. Direktor dieses "Euskobarometer" genannten Meinungsforschungsprogramms ist der Politologe Francisco Llera Ramo.

    " Das Baskenland ist ideologisch gesehen die vielfältigste Region Spaniens. Es gibt einen konservativen und einen gewalttätigen Nationalismus. Dann den Sozialismus, eigentlich älter als der Nationalismus, und auch eine Rechte. Es sind also vier politische Felder, die die Regierungsbildung immer schwierig und Koalitionsregierungen erforderlich machen. Es gibt zwar die Erpressung durch den Terrorismus, aber auf der anderen Seite auch die finanziellen Vorteile durch die wirtschaftliche Autonomie."

    Nicht nur der Terrorismus mit der traurigen Bilanz von mehr als 800 Toten prägt das Baskenland seit Jahrzehnten. Das Autonomiestatut von 1979 ist das umfassendste in der Geschichte der Region. Zu den zahlreichen Kompetenzen der Regionalregierung gehört vor allem auch eine Finanzhoheit, nach der das Baskenland fast sämtliche Steuern erhält, und nur rund 15 Prozent davon an den spanischen Staat abführen muss.

    Aufgrund dieser Finanzhoheit ist das Baskenland eine der prosperierendsten Regionen Europas: Die baskische Wirtschaft wächst stärker als im ohnehin schon seit zehn Jahren boomenden Spanien, das Pro-Kopf-Einkommen ist der Regionalregierung zufolge das vierthöchste der Europäischen Union. Die Arbeitslosenquote ist unter sechs Prozent gesunken.

    Diese "blühenden Landschaften" werden seit der Wiedereinführung der spanischen Demokratie und der Neugründung Euskadis im Jahr 1979 von der "Baskischen Nationalistischen Partei" in wechselnden Koalitionen regiert. In der Partei gibt es Anhänger der Unabhängigkeit, des Selbstbestimmungsrechts oder der Autonomie. Doch die Position, die Parteisprecher Iñigo Urkullo gegenüber der ETA einnimmt, ist eindeutig:

    " Niemand hat der ETA etwas zu verdanken. ETA steht bei den Basken in der Schuld für all das Leid, das sie in 37 Jahren verursacht hat. Niemand hat die ETA zur Gewalt gezwungen. Allerdings stimmt auch, dass wir in einem Friedenprozess großzügig sein müssen. Das heißt nicht, Zugeständnisse zu machen. Aber der Staat kann den Strafvollzug lockern. Das spanische Parlament beschloss im vergangenen Jahr, dass Verhandlungen ein Ende der Gewalt herbeiführen sollen. "

    Verhandlungen sind trotz der Waffenruhe nicht unumstritten. Schon die Regierung von Felipe González verhandelte 1986 mit der ETA in Algerien, auch die Regierung von José María Aznar unterhielt während des letzten Waffenstillstands im Jahre 1998 Kontakte zur ETA. Aber gerade Aznar gelangte letztlich zu der Überzeugung, dass der Terrorismus nur mit Mitteln der Polizei und Justiz besiegt und nicht im Dialog beendet werden könne.

    Seit dem Jahre 2000 werden in Frankreich und Spanien jährlich mehr als 100 Personen als mutmaßliche Terroristen oder ihre Unterstützer festgenommen. Mehrmals verlor die ETA wichtige Kommandos und Mitglieder ihrer politischen Führung. Verantwortlich für diese Erfolge war bis 2004 im spanischen Innenministerium Ignacio Astarloa, heute rechts- und innenpolitischer Sprecher der Volkspartei:

    " Das ist das Ergebnis einer guten Politik, die aus drei, vier Prinzipien bestand. Erstens: Der Terror ist nur mit dem Rechtsstaat, aber mit aller Härte des Rechtsstaats zu bekämpfen. Wir haben rechtlich dem Terror keine Schlupflöcher mehr gelassen. Zweitens: Die Einheit der Demokraten. Mit der Opposition schlossen wir einen Anti-Terrorpakt, der die gemeinsamen Justizreformen möglich machte. Und außerdem, und dabei hat uns Deutschland sehr geholfen, die internationale Zusammenarbeit. "

    Doch die Sozialisten hätten den gemeinsamen "Anti-Terror-Pakt" verlassen, klagt Astarloa. Nach seiner Einschätzung sind Verhandlungen Wiederbelebungsversuche für eine fast schon tote Organisation.

    Auf der anderen Seite sympathisiert aber immer noch eine nicht zu unterschätzende Minderheit im Baskenland mit der ETA. So hatte die Organisation bisher auch noch nie Nachwuchsprobleme. Nur die ETA selbst könne also mit dem Terror Schluss machen, und dazu müsse sie in Verhandlungen bewegt werden.

    Dieser Position haben sich inzwischen fast alle Parteien angeschlossen. Mit ihrer Forderung nach einer harten Haltung ist die Volkspartei, immerhin die größte Oppositionspartei in Spanien, im "Congreso de los Diputados" in Madrid isoliert. Doch an der Linie der Konservativen ändern auch Umfragen nichts, nach denen die Sozialisten gerade wegen ihrer riskanten Anti-Terrorpolitik bei den nächsten Wahlen in zwei Jahren eine absolute Mehrheit erringen könnten.

    " Eines muss klar sein: Die Haltung der Volkspartei in dieser Frage ist eindeutig - unabhängig von den Wählerstimmen. Der Kampf gegen den Terrorismus hat oberste Priorität. Wir sind oder waren auf dem Weg, mit etwas völlig Inakzeptablem Schluss zu machen: Dass es Leute gibt, die für ihre politischen Ziele, die ich gar nicht bewerten möchte, andere umbringen, weil sie bei den Wahlen dafür keine Mehrheiten bekommen. Um das zu bekämpfen, müssen wir uns an die Prinzipien halten: Man verhandelt nicht mit Terroristen, man schlägt keinen politischen Vorteil aus dem Terrorismus, man diktiert den anderen seine politischen Ziele nicht mit Waffengewalt. Wer dies dennoch tut, wird mit aller Härte bekämpft – ohne Rücksicht auf politische Rechenspiele. "

    Zu den von dem konservativen Politiker Astarloa angesprochenen rechtlichen Maßnahmen gehört auch das Verbot der Partei Batasuna. Die Partei werde ebenso wie eine Reihe von weiteren Organisationen des linksnationalistischen Lagers von der ETA gesteuert, glaubt der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón. Ein neues Parteiengesetz verbot Batasuna 2002.

    Die Partei ist seither in keinem Parlament mehr vertreten und musste auch die Rathäuser räumen, in denen sie die Bürgermeister stellte. Dennoch verhandeln die Sozialisten schon seit Jahren gerade mit Batasuna. Diese Verhandlungen haben nun zum Waffenstillstand der ETA geführt. Joseba Permach von Batasuna schließt aus, dass die Waffenruhe durch undisziplinierte Terroristen gebrochen werden könnte.

    " Zu dieser Situation ist es ja nicht von heute auf morgen gekommen. Wir arbeiten seit Jahren daran, dass so etwas passiert. Die ETA hat schon vor einem Jahr angekündigt, keine gewählten Politiker mehr zu töten. Wir haben mit unserer Erklärung von Anoeta vor zwei Jahren zu Gesprächen aufgerufen. Während all dieser Debatten kam es innerhalb des linksnationalistischen Lagers zu keinen Differenzen. Alle sind sich darüber im Klaren, dass wir hier eine historische Gelegenheit haben, die wir nutzen müssen. Ich denke, die ETA sieht das genauso. "

    Batasuna unterbreitete schon vor zwei Jahren Vorschläge zu Verhandlungen. Darin ist von zwei Verhandlungstischen die Rede. Die Regierungen Spaniens und Frankreichs sollten sich mit der ETA über die rund 700 in Frankreich und Spanien einsitzenden ETA-Häftlinge, die Polizeieinheiten sowie die Terroropfer unterhalten. Ein zweiter Tisch solle sich mit der politischen Situation im Baskenland beschäftigen. An diesem Tisch wäre nicht allein ETA beteiligt, sondern alle baskischen Parteien, auch Batasuna.

    Dazu müsste Batasuna legalisiert werden. Zahlreiche ihrer Politiker sind gegenwärtig nur gegen hohe Kautionen auf freiem Fuß - und werden regelmäßig für neue Aussagen vor den Madrider Strafgerichtshof für Terrorvergehen zitiert. Schon in dieser Woche will ein Ermittlungsrichter die Parteiführung erneut verhören, weil er in ihrer Warnung, der Friedensprozess könne auch scheitern, eine mögliche Terrordrohung sieht. Batasuna könnte daran leicht etwas ändern. Die Partei müsse sich nur vom Terror distanzieren, heißt es aus dem spanischen Innenministerium. Das lehnt sie jedoch ab:

    " Wir haben die Gewalt jahrzehntelang nicht verurteilt und werden es auch jetzt nicht tun. Wir müssen wie die anderen politischen Gruppen diesen Konflikt lösen, und das macht man, indem man sich an einen Tisch setzt und das sollte nach Meinung von Batasuna möglichst schnell geschehen. "

    Als Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero Ende Mai zu einer Parteiveranstaltung in die spanisch-baskische Hafenstadt Bilbao kommt, herrscht Volksfeststimmung. Die Waffenruhe hat auch bei den Sozialisten große Hoffnungen geweckt – immerhin trauen sich im Baskenland sozialistische wie konservative Mandatsträger nur noch mit Leibwächter auf die Straße. Zapatero kündigt direkte Gespräche zwischen seiner Regierung und der ETA an, fordert Entschlossenheit, warnt aber auch:

    " Nach zwei Monaten Waffenstillstand der ETA müssen wir entschlossene Schritte machen, dürfen aber auch nicht übereilt vorgehen. Nach 30 Jahren Gewalt und Leid wird sich die Regierung genügend Zeit nehmen, so dass jeder Schritt unumkehrbar ist. In eine Richtung, die die Bürger bestimmen. Damit wir sicher sein können, dass wir niemals mehr Gewalt erleben werden, keine Form von Gewalt, keine Bedrohungen mehr, keine Erpressungen und keine Nötigungen."

    Eine Einigung mit der ETA scheint also im Grunde das einfachste zu sein. Die Verlegung ihrer verurteilten Mitglieder in Gefängnisse im Baskenland oder zumindest in die Nähe der Region praktizierten auch schon die Konservativen während des Waffenstillstands 1998. Bei einem offiziellen Ende des Terrors wären auch Gesetzesänderungen für einen erleichterten Strafvollzug denkbar.

    Komplizierter im spanischen Friedensprozess werden sich hingegen die politischen Gespräche gestalten. Mit Batasuna offiziell zu sprechen, ist immer noch ein Tabu. Zumal das Ziel Batasunas - Selbstbestimmungsrecht für das Baskenland - eine Grundgesetzänderung erfordern würde.

    Die konservative Opposition hätte die Batasuna-Führung immer noch lieber im Gefängnis statt am Verhandlungstisch. Ohne einen Dialog mit Batasuna wird jedoch kaum ein Friedensprozess möglich sein. Zapatero hielt in Bilbao eine geradezu pädagogische Grundsatzrede, wurde stellenweise aber auch überraschend deutlich:

    " Wir werden einen politischen Dialog mit allen führen. Auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts. Wir benötigen einen neuen Grundlagenvertrag, in dem alle die Pluralität Euskadis anerkennen müssen. Identitäten kann man nicht aufrechnen. Man teilt sie miteinander. Das Zusammenleben erfordert eine grundsätzliche Einigung, und das wird die Garantie für eine Zukunft für alle sein, für die Freiheit, für den Frieden und den Wohlstand für dieses Land, das wir so sehr lieben."

    Die Positionen Batasunas und der Regierung ähneln sich und sind doch grundverschieden. Batasuna fordert ausdrücklich ein Selbstbestimmungsrecht für Euskal Herria, also des gegenwärtigen Euskadi, Navarras und des französischen Südwestens. Zapatero spricht zwar von einem neuen Autonomiestatut, jedoch nur auf der Grundlage der spanischen Verfassung.

    Zwei sich ausschließende Maximalforderungen, scheinbar. Doch bei Pressekonferenzen und Parteiveranstaltungen im Baskenland hat man den Eindruck, einer Inszenierung beizuwohnen, in der jeder Darsteller heute schon weiß, was er in den folgenden Szenen zu tun hat.

    Diesen Eindruck bestätigt auch der baskische Journalist Gorka Landaburu, Chefredakteur der Wochenzeitschrift "Cambio 16". Er sollte am 15. Mai 2001 sterben. An diesem Tag schickte ihm die ETA eine Briefbombe. Doch er öffnete den Umschlag hinter seinem Sessel stehend, so dass die Rückenlehne ihn vor der Druckwelle schützte. Gorka Landaburu, dessen Vater Francisco während der Franco-Diktatur Vizeministerpräsident der baskischen Exilregierung war, verlor die Fingerkuppen und ein Auge, aber er überlebte den Anschlag. Für den in San Sebastián lebenden Journalisten ist der Frieden im Baskenland längst beschlossene Sache:

    " Der Friedensprozess ist unvermeidbar. Die Terrorgruppe ETA hat die Situation analysiert und beschlossen aufzuhören. Wir sind also in einem Vorstadium zu Verhandlungen zwischen der Regierung und der ETA. Und dann kommt der politische Aspekt hinzu. Man sollte jetzt den Reden der Batasuna-Leute nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, die richten sich vor allem an die eigenen Anhänger. Viele Leute hier sind jetzt sehr nervös. Unter den radikalen Basken ist die Ungewissheit groß, und auch die Rechte glaubt noch nicht, dass es vorbei ist. "

    Aber auch Landaburu weiß, dass der Weg zum Frieden mit Stolpersteinen gepflastert ist. Schon diese Woche muss die ETA-Führung wieder in Madrid vor dem Nationalen Gerichtshof erscheinen. Zudem treten nach Informationen der spanischen Presse innerhalb der ETA längst nicht alle in der Führungsebene für ein Ende des Terrors ein. Auch ist im Baskenland die Angst vor einem Anschlag durch spanische Rechtsradikale weit verbreitet.

    Und wer mag es den Opfern des Terrorismus und ihren Angehörigen verdenken, wenn sie die Freilassung ihrer Peiniger als Folge eines Friedensprozesses fürchten? Schon vier Mal rief die Vereinigung der Terroropfer zu Demonstrationen gegen die Politik von José Luis Rodríguez Zapatero auf. Landaburu versteht die Bedenken, teilt sie aber nicht:

    " Der Herr Susper, einer der ETA-Führer, der mir die Briefbombe schickte, sitzt derzeit in Frankreich in Haft. Wenn dieser Herr mir den Frieden für mich und mein Land garantiert, wenn künftig jeder friedlich für seine Vorstellungen von Unabhängigkeit oder Selbstbestimmung eintritt, dann soll er als freier Mann ins Baskenland zurückkehren. Ich muss ihm nichts vergeben und niemand muss mich um Vergebung bitten. Ich trage keinen Hass in mir, ich will nur Lösungen. Das ist der einzige Weg. Wir können nicht ständig zurück schauen."