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"Sehr, sehr unentschiedener" Nibelungenring

An der New Yorker Metropolitan Oper inszeniert der Franco-Kanadier Robert Lepage mit "Götterdämmerung" den vierten und letzten Teil von Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen". Jörn Florian Fuchs kritisiert, dass "vom Konzept leider relativ wenig bis gar nichts zu spüren ist".

Jörn Florian Fuchs im Gespräch Burkhard Müller-Ullrich | 29.01.2012
    Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843
    Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843 (picture alliance / dpa / Zentralbild)
    Burkhard Müller-Ullrich: "Ring Nuts" – so nennt man auf Englisch die eingefleischten Wagnerianer, also Leute, die Richard Wagners "Ring" so sehr lieben, dass sie um die halbe Welt reisen, um alle Aufführungen zu sehen und zu vergleichen. Mit Hinblick auf das kommende Wagner-Jahr, in dem der 200. Geburtstag des Komponisten gefeiert wird, mit Hinblick darauf also nimmt die Reisetätigkeit der "Ring Nuts" jetzt schon deutlich zu, denn viele große Opernhäuser präsentieren jetzt neue Produktionen. Wien ist längst fertig, die Scala ist kurz vor dem "Siegfried" angelangt.

    Und jetzt fand an der New Yorker Metropolitan Opera das Finale in der Inszenierung des Franco-Kanadiers Robert Lepage statt.

    - Jörn Florian Fuchs, noch bevor Sie den Abend gesehen hatten, was hat Sie bewogen, ihn für sehenswert zu halten und extra dafür nach New York zu reisen?

    Jörn Florian Fuchs: Ich habe die ersten drei Teile dieses New Yorker Rings im Kino gesehen und war davon nicht sehr beeindruckt. Und warum bin ich hier hergeflogen? – Das liegt an Lepage und der Maschine, dieser riesigen Konstruktion, die er gebaut hat, sich hat bauen lassen, die ich mal so beschreiben will: Es ist ein großes Teil mit beweglichen Planken, diese Planken sind verschiebbar in- und gegeneinander und sie werden unterschiedlich bestrahlt und mit unterschiedlichen Bildwelten befeuert. Lepage ist jemand, der versucht immer, die Welt, die Bildwelt neu zu erfinden, das ist das zentrale daran, weniger eine strukturierte Personenführung oder ein Konzept.

    Und diese Idee, diese Konstruktion so zu schaffen, ist natürlich nicht uninteressant. Problematisch wird es dann bei den Details, etwa, was das Knarzen und das ewige Rumoren betrifft, gerade bei leiseren Stellen, wo dann viel umgebaut wird, sich diese Geschichte immer bewegt, da hört man es dann ächzen und regelrecht stöhnen, was natürlich ein bisschen ablenkt. Das andere Problem ist, dass aber vom Konzept leider relativ wenig bis gar nichts zu spüren ist, leider.

    An Ideen hat man höchstens einen einzigen Aspekt gehabt, um jetzt auf die Götterdämmerung zu kommen, dass es nämlich die Götter gibt als Gipsfiguren, die im Hintergrund stehen. Und ganz am Ende geht dann alles in Flammen auf und diese Gipsfiguren werden gesprengt – das heißt, die Köpfe rollen.

    Und es gibt etwas, wenn man so möchte, für die Amerikaner, die da zwischendrin applaudiert haben und unglaublich viel gelacht haben, etwas ganz Außergewöhnliches, nämlich einen Regieeinfall: Keiner traut sich mehr, heute ein Pferd, das Pferd von Brünnhilde, auf die Bühne zu bringen. Was macht Lepage? – Es gibt ein riesiges Pferd mit nickendem Kopf, und da darf sich Deborah Voigt dann auch mühselig draufwuchten und das führt doch zu ziemlicher Heiterkeit.

    Müller-Ullrich: Was Sie da sagen, klingt ein bisschen nach Comicstrip, also eins zu eins in Bilder umgesetzt.

    Fuchs: Ja, und der Comicstrip beziehungsweise das Komische daran auch und das Grelle an diesen Momenten – da bin ich nicht ganz sicher, ob das geplant war, oder ob das Lepage passiert ist -, gerade dann, wenn Siegfried zu den Rheintöchtern kommt in der Götterdämmerung und die sagen, gibt uns doch diesen Ring zurück, das ist zwar eine etwas leichtere Musik auch in diesem Moment, fast einen Hauch von Scherzo hat das Ganze dann, aber das gerät bei Lepage doch ziemlich zur Clownerie irgendwie und hinter mir waren dann einige Amerikanerinnen, die haben sich halb um den Verstand gekichert.

    Das ist eigentlich an dieser Stelle etwas ungewöhnlich. Ich glaube, dass es von Lepage nicht ganz intendiert war, sondern dass es ihm eher passiert ist.

    Müller-Ullrich: Was ist denn mit der metaphysischen Dimension, mit der politischen auch des Werks?

    Fuchs: Ja, das ist weder noch, um es klar zu sagen. Politisch ist da eigentlich gar nichts dran und die Geschichte wird nur eins zu eins heruntererzählt, bis auf diese wenigen Momente, die ich genannt habe, wo es mal darüber hinausgeht. Wobei: Das kann man auch machen, diese Reduktion, wenn man so will, dann auch aufs Kammerspielhafte, die Konzentration auf die Geschichte, auf den Kern der Fabel.

    Aber es lenkt einfach zu viel ab, diese ewigen Lichtwechsel, dieses ganze Heckmeck und dann auch das Knarzen dieser Maschine. Das stört einfach wiederum die Konzentration, sodass das ein wahnsinnig teurer, aber sehr, sehr unentschiedener "Ring" ist, der am Ende auch dann für MET-Verhältnisse vielleicht doch zu ziemlichen Missfallensäußerungen geführt hat.

    Das Erstaunliche: Auch der Regisseur kam heraus und es gab relativ viel Applaus. Und als er dann sein fast zehnköpfiges technisches Team herausgeholt hat, da setzten plötzlich die Buhs ein. Und das gerade bei den technisch so verliebten Amerikanern.

    Müller-Ullrich: Was ist über die sängerischen Leistungen zu sagen, wenn das Inszenatorische Sie ja doch nicht beglückt hat?

    Fuchs: Sängerisch ist erst mal zu loben Deborah Voigt, die zum ersten Mal komplett die Brünnhilde im "Ring" gesungen hat. Das ist manchmal in der Höhe etwas scharf zwar, insgesamt ist das aber schon eine Wagner-Heroine, die ihre Sache doch sehr, sehr gut gemacht hat. Auch etwa Iain Paterson als Gunther war sehr gut. Dann ein Import aus Deutschland: Hagen von Hans-Peter König, denke ich, war die wesentliche Stimme in dieser Produktion. Er wirkt eher wie ein gemütlicher Gurnemanz, wie so ein lieber Onkel zwar, aber es ist ein wunderbarer Bass, der wirklich den gesamten großen Raum der MET füllt.

    Und dann haben wir das Problem leider mit Jay Hunter Morris als Siegfried, der in der Oper "Siegfried" – von mir wie gesagt nur im Kino gesehen, damit auch anders ausgesteuert natürlich als jetzt live – mich sehr überzeugt hat. Hier jetzt bei der "Götterdämmerung" raue Mittellage, unschöne Höhen, insgesamt eine große Enttäuschung.

    Aber die absolute Enttäuschung ist leider, dass James Levine nicht mehr hier dirigieren konnte, weil er krank ist im Moment. Er war ja geplant und hat "Rheingold" und "Walküre" realisiert. Stattdessen haben wir Fabio Luisi, aus meiner Sicht wirklich ein mittelmäßiger Kappellmeister, der aus unerfindlichen Gründen hier an die MET jetzt gekommen ist. Er dirigiert das Ganze unglaublich inheterogen, mit seltsamen Tempiwechseln. Beim Trauermarsch, wo ja jeder angegriffen ist eigentlich und sein Taschentuch herausholt, ist das so ein großes symphonisches Aufballen und Aufbäumen. Ich finde das ziemlich enttäuschend. Auch viele Bläsereinsätze etwa gingen schief an diesem Abend.

    Müller-Ullrich: Jörn Florian Fuchs war das in New York, zu hören über eine auch ein bisschen musikalische Telefonleitung, aber das liegt nicht an der Metropolitan Opera, sondern wahrscheinlich am Hotel unseres Berichterstatters.