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Sehr verkürztes Konfuzius-Bild in China

Auf einer Tagung der Akademie für Politische Bildung in Tutzing über Vernunft und Moral beschäftigen sich deutsche und chinesische Philosophen auch mit der Menschenwürde. "Schon eine Betrachtung der Autoren der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zeigt, da war die konfuzianische, die chinesische Tradition ganz prominent mit vertreten", beschreibt Tagungsleiter Michael Spieker.

Michael Spieker im Gespräch mit Michael Köhler | 21.07.2012
    Michael Köhler: Ein chinesisch-deutscher Philosophendialog, ein Philosophiedialog in der Politischen Akademie in Tutzing über Moral und Vernunft, das muss auch eine Tagung sein, die von der Begründung der Menschenrechte handelt, aus dem Geist der Menschenwürde. Ich habe den Leiter und Veranstalter Michael Spieker gefragt: War das so ein Kern Ihrer Diskussion?

    Michael Spieker: Ein Kern war tatsächlich die Begründung auch von Menschenrechten, entsprechend von Menschenwürde. Üblicherweise wird die ja als Begründung der Menschenrechte dargestellt, zum Beispiel in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen. Und eine oberflächliche Wahrnehmung der Gegenwart sagt ja immer, in China ist es mit den Menschenrechten und dem Reden darüber nicht so weit her, weil gedacht wird, das wären westliche Werte und China und der Osten hat seine eigenen. Das ist aber deswegen oberflächlich, weil schon eine Betrachtung der Autoren der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zeigt, da war die konfuzianische, die chinesische Tradition ganz prominent mit vertreten und da gibt es also Anlässe nachzufragen, wo denn wirklich ein gemeinsamer Kern zum Beispiel für so etwas wie Menschenwürde ist. Hu Jintao zum Beispiel sprach vor Jahren selber mit großem Applaus bedacht von Menschenwürde als einem Ziel der Politik der chinesischen Staatsregierung. Insofern hätte man da einen Ansatzpunkt, so etwas zu fragen, wo ist eine Gemeinsamkeit, jenseits der Oberflächlichkeit, dass man immer sagt, westlicher Wert Individualismus und östlich Gemeinschaft im Vordergrund.

    Köhler: ..., denn das macht es uns ja so schwierig zu verstehen. Wenn dem so ist, wie Sie sagen, dann fragt man sich, warum ist es dann dennoch nicht weit her mit den Menschenrechten. In diesen Tagen lesen wir überall und hören auch von der Missachtung der Rechtsstaatlichkeit beispielsweise in den Prozessen gegen den berühmten chinesischen Künstler. Das soll aber nicht unser Thema sein. Im Konfuzianismus, der neben dem Buddhismus oder Daoismus vielleicht die herrschende Kulturphilosophie Chinas ist, gibt es eine andere Hierarchie der Werte, sage ich jetzt einfach mal. Da sind Fragen von Loyalität, von Riten, von Förmlichkeit, von standardisiertem Verhalten, von Bildung, von Ahnenverehrung ganz wichtig. Wir leiten daraus einen gewissen Untertanengeist ab, oder sehen das zumindest so. Ist das richtig, ist das ein Problem, was uns sich da in den Weg stellt?

    Spieker: Es ist in der Tat eigenartig, dass ja der Konfuzianismus in China so etwas wie eine Renaissance erlebt seit etwa 20 Jahren, und das hat direkt damit zu tun, was Konfuzianismus am Anfang seiner Geschichte war, nämlich in unruhiger Zeit die Erinnerung an eine alte, gute Ordnung, zu der man gerne zurück will, oder die man festhalten möchte. Und so könnte man in heutigen Tagen in China sagen, die unglaubliche wirtschaftliche Entwicklung bringt eine soziale Unruhe. Es wird vergessen, dass Rechte genauso dazugehören zur wirtschaftlichen Entwicklung. Und da sagt jetzt die chinesische Regierung auf einmal, nun erinnern wir uns doch an den guten alten Konfuzius, das sind alte Werte, schaut nicht so sehr auf das heute und auf den Ärger, den ihr so habt, sondern erinnert euch, wir gehören doch irgendwie alle zusammen. Aber die Konferenz selbst hat gezeigt, dass das auch ein sehr verkürztes Konfuzius-Bild ist. Und interessanterweise gerade die chinesischen Gäste, die sehr prominent waren – einer der führenden Neokonfuzianer, lange Zeit außerhalb Chinas lehrend, weil er in China nicht gewollt war, ein Professor aus Hawaii, Cheng Yang Ying, sagte, dass Konfuzius selbst ein sehr viel kritischerer Denker sei und deswegen auch ganz viele Verknüpfungspunkte zum Beispiel zu Kant habe und dass deswegen, wenn man erst mal die Heterogenität der eigenen Tradition sieht, man dann auch sehr viel leichter die vermeintlich ganz andere andere Tradition mit in ein Gespräch nehmen kann.

    Köhler: Ich möchte noch gerne ein Problem anschneiden. Wenn Demokratie eine politisch anspruchsvolle, ein bisschen kalte Theorie ist, mit wenig Nestwärme, eine Theorie der gleichrangig Berechtigten im Rechtsstaat, dann kennt China das irgendwie nicht: Da ist alles hierarchischer geordnet, vielleicht aufgrund dieses Konfuzianismus. Kollidiert das nicht, oder sind diese Auffassungen nicht auch bei Ihrer Tagung ein bisschen aufeinandergestoßen?

    Spieker: Nein, eigentlich gar nicht. Da war eine andere Botschaft dieser Tagung: Im Grunde muss man sich auch im Westen vielleicht ein wenig an die Geschichte zurückerinnern, denn bei Aristoteles beispielsweise war die Demokratie überhaupt nichts kaltes, sondern basierend auf Bürgerfreundschaft. Da ist zwar Gleichheit gemeint, aber eben doch eine Freundschaft, eine enge Verbundenheit und gar nicht ein anonymes Stimmenabgeben.

    Köhler: ..., sagt Michael Spieker, Leiter und Veranstalter eines philosophischen Dialogs zwischen Deutschland und China. An der Politischen Akademie in Tutzing fand sie statt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.