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Seide statt Stahl

Verse von Czeslaw Milosz, polnischer Literaturnobelpreisträger. Gerichtet an die Herrschenden in Warschau. Das Gedicht ist eingraviert auf dem Denkmal der Solidarnosc. Vor dem Werkstor. Drei monumentale Kreuze, die an die getöteten Kollegen von 1970 erinnern. Ein Monument vergangener Zeiten. Dort, wo sich das Werftgelände erstreckt, macht der Fluss, die Motlawa oder Mottlau, einen Bogen. Unmittelbar neben der Danziger Innenstadt, einem echten Touristenmagneten - und damit für Investoren hochattraktiv. Teile des Areals der "Stocznia Gdanska"- Aktiengesellschaft sind bereits verkauft. An der Zukunft wird hart gearbeitet. Dafür sorgen Männer wie Janusz Lipinski. Der smarte Geschäftsmann hat seine Visionen für das neue Polen, für das neue Danzig. Lipinski plant mit an der Luxussanierung des Hafengebiets nach westlichem Vorbild. Hotels, Läden, Flaniermeilen sollen entstehen. Ein bisschen Hamburg, ein bisschen London - am Ufer der Mottlau.

Von Sören Harms |
    Das Neue Polen kommt gepflegt daher, mit Schlips und einem eleganten Dreiteiler, der perfekt zum graumelierten Vollbart passt. Janusz Lipinskis Augen leuchten hinter der rahmenlosen Brille, wenn er das Projekt "Junge Stadt" beschreibt. Er steht vor einem vier Meter breiten Tisch mit weißen Plastikhäuschen, -türmchen und -sträßchen und zeigt in die Zukunft der Danziger Werft:

    " An diesem Ufer hier wird eine Gebäudekette einen Expo-ähnlichen Komplex ergeben. Hier im Norden bauen wir einen Technologischen Park. Erste Kunden gibt es schon - zum Beispiel hat sich hier ein Hamburger Geschäftsmann angesiedelt, er konstruiert Schiffe aus Aluminium. Und ein regionales Erholungszentrum mit Hotels und Appartements setzen wir hierher, ganz nah ans Ufer."

    Lipinski wedelt mit dem Modell eines dänischen Geschäftszentrums. Die Projekte Nummer 1 bis 27 in der Hafenlandschaft stammen aus Workshops internationaler Architekten und bilden die künftige "Junge Stadt". Lipinski ist Direktor von "Synergia 99". Die Firma hat 73 Hektar des Werftgeländes aufgekauft, knapp die Hälfte; nun lockt sie Investoren. Ihre Angestellten sind in den gründerzeitlichen Backsteinbau am Tor II gezogen, dorthin, wo früher die Werftdirektion residiert hat. Wenn Chef Lipinski aus dem Fenster schaut, sieht er nur einen Steinwurf entfernt den alten Speisesaal, in dem 1980 Walesa und der Warschauer Vizepremier Jagielski die August-Vereinbarungen unterschrieben haben. Stolz zeigt Lipinski auf eine neongelbe Scheibe im Zentrum seines Modells.

    " Wie Sie sehen, ist dieser Ort hier sehr wichtig: Die Halle, in der Solidarnosc geboren wurde. Sie liegt in Zukunft direkt an der 'Straße zur Freiheit'. Das ist ein Symbol für unser Verständnis dessen, was hier vor gut 20 Jahren geschehen ist. Wir wollen nicht bloß mit alten Dokumenten und der Ausstellung daran erinnern, die hier liegen sollen, sondern auch im städtischen Raum."

    Der 51-Jährige spricht jetzt wie ein 31-Jähriger: begeistert, radikal, pointiert. Seine Pläne und das Modell integrieren die Solidarnosc-Bewegung museal in die künftige "Junge Stadt". Der Solidarnosc-Kämpfer Stefanski hatte geflucht bei dem Gedanken an Hotels und Restaurants auf dem Werft-Gelände. Lipinski zieht die Schultern hoch und dreht beide Hände mit den Flächen nach oben:

    " Dies ist das Neue Polen; wenn wir das mit etwas Abstand betrachten, gibt es tatsächlich Polen zweimal. Es ist keine Frage der Institutionen, sondern der Mentalität. Darum arbeiten wir lieber mit jungen Leuten zusammen, mit Studenten und anderen, die keine Angst vor diesen neuen Zeiten haben."

    Lipinski schnippt mit dem Finger. Arbeiter wie Stefanski oder Tadek sind jünger als er, doch sie gehören den alten Zeiten an, der Manager rechnet nicht mehr mit ihnen. Gleichzeitig aber versorgt Lipinski sein Modell von der Jungen Stadt mit der Wärme, die die "Solidarität" von 1980 noch immer auf Polen abstrahlt. Er will wohl vermeiden, dass der kapitalistische Eiswind durch sein Projekt fegt wie durch manche Reißbrett-Bürolandschaften im Westen. Und wenn Investoren anbeißen, wird die Danziger Jugend schon bald ihren Milchkaffee im Knick der Mottlau trinken. Einige wohnen schon auf dem Gelände, in einer Künstlerkolonie nebenan.

    " Wir haben junge Künstler eingeladen, hier zu leben. Verrückte, unabhängige Leute, etwa hundert. Manche können uns nicht leiden und halten uns für alte Säcke - aber WIR haben sie eingeladen! Gestern habe ich gehört, dass das erste Baby hier geboren wird. Nicht bloß kommerzielle Immobilien entstehen also in der Jungen Stadt, sondern hier hat gerade das echte Leben begonnen."