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Seilschaften im Netz

Chatrooms und öffentliche Schaufenster wie YouTube oder MySpace gehören längst zum festen Internet-Mobiliar und locken Nutzer aus aller Welt. Doch es geht auch umgekehrt: viele Usergrupppen kanzeln sich von den gemeinen Surfern ab, so etwa im Online-Netzwerk "Facebook".

Von Tobias Armbrüster |
    Jahrzehntelang gab es in Universitäten schwarze Bretter, dann kamen E-Mails. In Zukunft wird wohl kaum ein Student mehr ohne Facebook auskommen – über dieses Internet-Forum werden Partys angekündigt und Jobs vergeben. Angefangen hat es bei Elite-Hochschulen in den USA und Großbritannien. Und wenn man den Studenten im britischen Oxford glauben darf, dann kann es sich dort heute niemand mehr leisten, nicht bei Facebook registriert zu sein.

    "Über Facebook kannst Du Dir einen Freundeskreis zusammenstellen, und ständig kriegst Du Fotos von jemandem zugeschickt, den Du über mehrere Ecken kennst. Als Student vor dem Computer muss man sich schon dagegen sträuben, nicht mitzumachen - es macht einfach süchtig."

    Gerade bei den Erstsemestern in diesem Jahr sieht man, welche Wirkung Facebook hat. Diese Leute sind sich schon nach wenigen Tagen sehr viel näher, ganz einfach weil sie sich alle sofort über Facebook kennen lernen. Wer sich bei Facebook umsieht, erkennt zunächst mal nicht viel Neues: Dieses Forum im Internet erinnert an eine Mischung aus Myspace und einem Chatroom. Jeder Student, der sich anmeldet, bekommt eine eigene Seite. Da kann man dann Fotos reinstellen, Nachrichten verschicken - und angeben, wen man zu seinen "friends", also Freunden zählt – so wird man innerhalb weniger Stunden zum Teil des Facebook-Netzwerks. Die Oxford-Studentin Karen Yossman verfolgt den Siegeszug von Facebook seit zwei Jahren.

    "Der Unterschied zu anderen Internet-Foren so wie etwa Myspace ist, dass Du für Facebook eine offizielle E-Mail-Adresse einer Universität brauchst. Weil diese E-Mail-Adresse zumindest Deinen Nachnamen beinhaltet, kannst Du nicht irgendeine neue Identität erfinden und zum Beispiel vorgeben, dass Du ein 17jähriges Model aus LA bist, so wie in einem normalen Chatroom. Facebook ist einfach ein bisschen seriöser. Man benutzt diese Seite, um sich mit Leuten auszutauschen, die man sehr gut kennt."

    Tatsächlich sprechen sich die Studenten in Facebook nur mit ihren echten Namen an, niemand versucht seine wahre Identität zu verstecken. Allerdings ist die Facebook-Gemeinschaft auch kein offenes Forum, denn jede Universität hat ihr eigenes Facebook-Netzwerk, in das Außenstehende nicht hereinkommen. Mit Facebook deutet sich deshalb eine Art Klassengesellschaft im Internet an. Wer in Oxford studiert, der kann sich damit einen Freundeskreis aufbauen, der auch nach dem Studium nützlich ist – einen Freundeskreis, zu dem andere keinen Zutritt haben. Der BBC-Journalist Sean Coughlan:

    "Es ist gut möglich, dass viele Leute auch nach ihrem Studium über Facebook mit ihren Freunden in Kontakt bleiben. Weil Facebook aber gerade an den Elite-Unis populär ist, fürchten einige Leute, dass sich da regelrechte Seilschaften bilden, dass Facebook-User also auch später im Berufsleben ihren Vorteil aus diesem Network ziehen und sich zum Beispiel gegenseitig Jobs zuschanzen."

    In den USA ist Facebook bereits zum Kommunikationsmedium im aktuellen Wahlkampf geworden. Zahlreiche Kandidaten für Senat und Abgeordnetenhaus versuchen über das online-Netzwerk in Kontakt mit jungen, karriereorientierten Wählern zu kommen. Auch als Jobbörse könnte Facebook in den nächsten Jahren immer wichtiger werden. Die Oxford-Studentin Karen Yossman.

    "Über Facebook kannst Du auch nach ein paar Monaten oder Jahren noch mal mit jemandem Kontakt aufnehmen, der mit Dir studiert hat und der jetzt Karriere macht. Wie weit er beruflich gekommen ist, kannst Du in seinem Facebook-Profil sehen. Wenn so ein ehemaliger Bekannter zum Beispiel bei einer Bank arbeitet, kannst Du ihm eine Nachricht schicken und ganz unverbindlich nach fragen, wie es dort zu Zeit mit Jobs aussieht. Über Facebook bleibt man einfach in Kontakt."

    In Deutschland hat Facebook bislang nicht richtig Fuß fassen können. Hier gibt es mehrere Konkurrenz-Netzwerke, die das Rezept von Facebook kopiert haben. Facebook bleibt allerdings mit Abstand das größte Forum für Studenten weltweit. Die einzelnen Facebook-Networks haben nach eigenen Angaben inzwischen über zehn Millionen User, seit einigen Wochen kursieren Gerüchte, dass Yahoo die Seite für eine Milliarde Dollar übernehmen will. In den letzten Monaten hat Facebook allerdings einiges an Exklusivität eingebüsst, weil inzwischen auch viele kleine und unbedeutende Universitäten bei Facebook registriert sind. Nach wie vor bleibt man auf dem Facebook-Campus aber unter sich. Wer nicht in Oxford oder Cambridge studiert, für den bleibt auch das dortige Facebook-Netzwerk unerreichbar.