Katja Lückert: Mahmud Darwisch starb gestern nach einer Herzoperation im amerikanischen Houston im Alter von 67 Jahren. Er galt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Lyriker arabischer Sprache. Seine über 30 Gedichtbände sind in 30 Sprachen übersetzt worden. Auf Deutsch sind etwa die Lyrikbände "Weniger Rosen" oder "Wir haben ein Land aus Worten" erschienen. Vor fünf Jahren wurden Darwisch gemeinsam mit dem israelischen Psychologieprofessor Dan Bar mit dem Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück ausgezeichnet. An den Islam-Wissenschaftler und Übersetzer Darwischs, Stefan Weidner, war die Frage, Poesie kann die Welt nicht ändern, glaubte Darwisch, er war jedoch kein unpolitischer Dichter. Der Unabhängigkeitskampf der Palästinenser war ihm immer wieder ein Thema, oder?
Stefan Weidner: Ja, natürlich Mahmud Darwisch hat fast 50 Jahre lang geschrieben. Und in dieser langen Zeit, er hat sich politisch sehr viel verändert für die Palästinenser. Und im Zuge dieser Veränderungen hat sich auch für Darwisch und für sein Verständnis von dem, was Dichtung leisten kann, sehr viel geändert. Am Anfang war er ein sehr politischer Lyriker, ein Lyriker, der so in der Tradition der sozialistisch engagierten Poesie das Volk ansprechen wollte. Das ist ihm auch gelungen. Und dann ist er später ausgewandert, zunächst nach Beirut und wurde dann von den Israelis wieder von dort vertrieben im Zuge des libanesischen Bürgerkriegs. Und in all diesen Jahren hat sich natürlich auch sein Verhältnis zur Lyrik geändert. Und was früher sehr politisch war, ist später sehr reflektiert, metaphorisch, symbolisch geworden.
Lückert: 1987 wurde er in den Zentralrat der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO des gestorbenen Palästinenser-Führers Yassir Arafat gewählt, trat aber 1993 aus Protest wieder aus. Wo stand er denn wirklich dann politisch?
Weidner: Ja, er stand im Grunde jenseits der Politik, das muss man sagen. Er war zwar mit Arafat befreundet, aber er war eigentlich kein Politiker. Und ich glaube, es war ihm sehr darum zu tun, die Prinzipien und auch die poetische Reinheit des klaren Gedankens, sagen wir einmal, zu bewahren. Deswegen war er gegen die Madrider Friedensabkommen, die ja, wie wir heute wissen, tatsächlich gescheitert sind aus sehr verschiedenen Gründen. Natürlich auch, weil viele unter den Palästinensern dagegen waren, aber auch, weil die ganze Konstruktion vielleicht etwas zu naiv und zu gutgläubig war. Und das hat Mahmud Darwisch geahnt. Und man muss leider sagen, dass ihm die Geschichte recht gegeben hat dabei.
Lückert: Was zeichnet nun seine Texte aus? Er selbst las sie auch häufig vor, vor großem Publikum. Was bewegte die Menschen in seinen Texten?
Weidner: Zunächst, wie gesagt, er ist sehr früh berühmt geworden durch sehr eingängig, sehr leicht verständliche Gedichte, die die Menschen unmittelbar angesprochen haben.
Lückert: Was sind so seine Themen? Liebe, Natur?
Weidner: Ja, sein primäres Thema war der Widerstand, der erst mal die Herstellung einer palästinensischen Identität, wir sind Palästinenser, wir haben eine eigene Stimme, wir wissen, was wir wollen. Und das hat er formuliert, sehr eingängig. Das war seine allergrößte Leistung. Und später in seinen Gedichten hatte er im Grunde das Schicksal der Palästinenser begleitet. Es gab dann in den 70er-Jahren ja die große Rhetorik und Propaganda des Widerstandes. Man hat gehofft, man könne tatsächlich aus Jordanien oder aus Beirut, aus dem Libanon Israel gleichsam in die Knie zwingen und wieder zurückkehren. Und in dieser Phase hat er zum Beispiel darüber geschrieben. Er hat ja einerseits die Märtyrer, die Widerstandskämpfer verherrlicht, aber gleichzeitig sehr darauf geachtet, dass diese Verherrlichung nicht zu einer billigen Propaganda verkommt. Er hat dieses Verhältnis, dieses sehr komplexe Verhältnis zwischen Märtyrertum und Dichtung immer wieder kritisch thematisiert. Das war in den 70er-Jahren. In den 80er-Jahren hat er gemerkt, das funktioniert nicht. Wir können Israel nicht zurückerobern, und ich mache meine Lyrik auch unglaubwürdig, wenn ich immer diesen letztlich zwecklosen Widerstandskampf verherrliche. Und dann hat er genau das wieder thematisiert. Das ist aber nun eine Werkphase, die, glaube ich, von den meisten, von diesen Massen jedenfalls, die ihn bewundert haben, gar nicht so richtig wahrgenommen wurde. Das bezieht man sich immer auf sein Frühwerk. Aber gerade diese späten Sachen sind unglaublich hohe Lyrik. Das ist das, was wir auch in der Übersetzung immer noch mit Gewinn lesen können, wo im Grunde Palästina zu einer Metapher, das Exil der Palästinenser zu einer Metapher für die conditio humana überhaupt wird, für unser Sein in der Welt. Das ist dann wirklich eine großartige Lyrik.
Lückert: Sie haben ihn übersetzt. Was waren denn die Schwierigkeiten bei der Übersetzung ins Deutsche?
Weidner: Ja, Mahmud Darwisch ist mit allen Wassern der klassischen arabischen Poesie gewaschen, die er aber noch einmal filtert durch die Erfahrungen der Moderne und durch die Erfahrung der Moderne, der modernen Lyrik. Das heißt, wir haben eine sehr sprachbewusste Rhetorik, viel Reim und Metrik, aber nicht eben klassizistisch, nicht altbacken, sondern noch einmal durch einen Symbolismus überhöht und noch einmal mit einer extra Drehung versehen. Und diese ganze Fülle kann man natürlich auf Deutsch nicht nachahmen. Dafür haben wir keine Sprache. Aber man kann doch allein, weil der Gehalt der Gedichte so tiefsinnig ist, dass man ihn trotzdem auch in der Übersetzung lesen kann, selbst wenn man auf viele Stilmittel verzichten muss.
Lückert: In Deutschland hat Darwisch ja sicher auch einige Anhänger auch aus politischen Gründen gefunden?
Weidner: In Deutschland gilt er mittlerweile, er ist bei den Palästinensern immer noch beliebt, aber er gilt vor allen Dingen als Geheimtipp beim feinsinnigen Lyrikkennern heutzutage, die internationale Lyrik allgemein rezipieren, jemand wie Neruda oder Rambaud, Majakowski. Leute, die das lesen, die lesen heutzutage auch sehr gerne Mahmud Darwisch.
Lückert: Der Übersetzer und Autor Stefan Weidner erinnerte an den palästinensischen Dichter Mahmud Darwisch.
Stefan Weidner: Ja, natürlich Mahmud Darwisch hat fast 50 Jahre lang geschrieben. Und in dieser langen Zeit, er hat sich politisch sehr viel verändert für die Palästinenser. Und im Zuge dieser Veränderungen hat sich auch für Darwisch und für sein Verständnis von dem, was Dichtung leisten kann, sehr viel geändert. Am Anfang war er ein sehr politischer Lyriker, ein Lyriker, der so in der Tradition der sozialistisch engagierten Poesie das Volk ansprechen wollte. Das ist ihm auch gelungen. Und dann ist er später ausgewandert, zunächst nach Beirut und wurde dann von den Israelis wieder von dort vertrieben im Zuge des libanesischen Bürgerkriegs. Und in all diesen Jahren hat sich natürlich auch sein Verhältnis zur Lyrik geändert. Und was früher sehr politisch war, ist später sehr reflektiert, metaphorisch, symbolisch geworden.
Lückert: 1987 wurde er in den Zentralrat der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO des gestorbenen Palästinenser-Führers Yassir Arafat gewählt, trat aber 1993 aus Protest wieder aus. Wo stand er denn wirklich dann politisch?
Weidner: Ja, er stand im Grunde jenseits der Politik, das muss man sagen. Er war zwar mit Arafat befreundet, aber er war eigentlich kein Politiker. Und ich glaube, es war ihm sehr darum zu tun, die Prinzipien und auch die poetische Reinheit des klaren Gedankens, sagen wir einmal, zu bewahren. Deswegen war er gegen die Madrider Friedensabkommen, die ja, wie wir heute wissen, tatsächlich gescheitert sind aus sehr verschiedenen Gründen. Natürlich auch, weil viele unter den Palästinensern dagegen waren, aber auch, weil die ganze Konstruktion vielleicht etwas zu naiv und zu gutgläubig war. Und das hat Mahmud Darwisch geahnt. Und man muss leider sagen, dass ihm die Geschichte recht gegeben hat dabei.
Lückert: Was zeichnet nun seine Texte aus? Er selbst las sie auch häufig vor, vor großem Publikum. Was bewegte die Menschen in seinen Texten?
Weidner: Zunächst, wie gesagt, er ist sehr früh berühmt geworden durch sehr eingängig, sehr leicht verständliche Gedichte, die die Menschen unmittelbar angesprochen haben.
Lückert: Was sind so seine Themen? Liebe, Natur?
Weidner: Ja, sein primäres Thema war der Widerstand, der erst mal die Herstellung einer palästinensischen Identität, wir sind Palästinenser, wir haben eine eigene Stimme, wir wissen, was wir wollen. Und das hat er formuliert, sehr eingängig. Das war seine allergrößte Leistung. Und später in seinen Gedichten hatte er im Grunde das Schicksal der Palästinenser begleitet. Es gab dann in den 70er-Jahren ja die große Rhetorik und Propaganda des Widerstandes. Man hat gehofft, man könne tatsächlich aus Jordanien oder aus Beirut, aus dem Libanon Israel gleichsam in die Knie zwingen und wieder zurückkehren. Und in dieser Phase hat er zum Beispiel darüber geschrieben. Er hat ja einerseits die Märtyrer, die Widerstandskämpfer verherrlicht, aber gleichzeitig sehr darauf geachtet, dass diese Verherrlichung nicht zu einer billigen Propaganda verkommt. Er hat dieses Verhältnis, dieses sehr komplexe Verhältnis zwischen Märtyrertum und Dichtung immer wieder kritisch thematisiert. Das war in den 70er-Jahren. In den 80er-Jahren hat er gemerkt, das funktioniert nicht. Wir können Israel nicht zurückerobern, und ich mache meine Lyrik auch unglaubwürdig, wenn ich immer diesen letztlich zwecklosen Widerstandskampf verherrliche. Und dann hat er genau das wieder thematisiert. Das ist aber nun eine Werkphase, die, glaube ich, von den meisten, von diesen Massen jedenfalls, die ihn bewundert haben, gar nicht so richtig wahrgenommen wurde. Das bezieht man sich immer auf sein Frühwerk. Aber gerade diese späten Sachen sind unglaublich hohe Lyrik. Das ist das, was wir auch in der Übersetzung immer noch mit Gewinn lesen können, wo im Grunde Palästina zu einer Metapher, das Exil der Palästinenser zu einer Metapher für die conditio humana überhaupt wird, für unser Sein in der Welt. Das ist dann wirklich eine großartige Lyrik.
Lückert: Sie haben ihn übersetzt. Was waren denn die Schwierigkeiten bei der Übersetzung ins Deutsche?
Weidner: Ja, Mahmud Darwisch ist mit allen Wassern der klassischen arabischen Poesie gewaschen, die er aber noch einmal filtert durch die Erfahrungen der Moderne und durch die Erfahrung der Moderne, der modernen Lyrik. Das heißt, wir haben eine sehr sprachbewusste Rhetorik, viel Reim und Metrik, aber nicht eben klassizistisch, nicht altbacken, sondern noch einmal durch einen Symbolismus überhöht und noch einmal mit einer extra Drehung versehen. Und diese ganze Fülle kann man natürlich auf Deutsch nicht nachahmen. Dafür haben wir keine Sprache. Aber man kann doch allein, weil der Gehalt der Gedichte so tiefsinnig ist, dass man ihn trotzdem auch in der Übersetzung lesen kann, selbst wenn man auf viele Stilmittel verzichten muss.
Lückert: In Deutschland hat Darwisch ja sicher auch einige Anhänger auch aus politischen Gründen gefunden?
Weidner: In Deutschland gilt er mittlerweile, er ist bei den Palästinensern immer noch beliebt, aber er gilt vor allen Dingen als Geheimtipp beim feinsinnigen Lyrikkennern heutzutage, die internationale Lyrik allgemein rezipieren, jemand wie Neruda oder Rambaud, Majakowski. Leute, die das lesen, die lesen heutzutage auch sehr gerne Mahmud Darwisch.
Lückert: Der Übersetzer und Autor Stefan Weidner erinnerte an den palästinensischen Dichter Mahmud Darwisch.