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"Seine Tage sind gezählt"

Das Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad bröckelt, glaubt der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad. Erste Anzeichen dafür seien Großdemonstrationen in Damaskus und Aleppo sowie die Desertion ranghoher Offiziere. Assad leide am "Saddam-Syndrom" und könne die Lage nicht wirklich einschätzen.

Hamed Abdel-Samad im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Erst Tunesien, dann Ägypten und jetzt Libyen: Die Diktatorendämmerung in Nordafrika hält an und könnte bald auf den Nahen Osten überspringen. Mit äußerster Brutalität geht Syriens Präsident Baschar al-Assad gegen die Aufständischen in seinem Land vor. Doch zum Schweigen bringt er sie nicht. Gestern machte die Meldung die Runde, dass erstmals ein hoher Staatsbeamter dem Staatsapparat den Rücken gekehrt hat. Der Generalstaatsanwalt der Provinz Hama, Adnan el Bakkur, erklärte seinen Rücktritt aus Protest gegen das brutale Vorgehen des Regimes. In einem Internet-Video gab er seine Entscheidung bekannt. Die Regierung übte sich in Schadensbegrenzung und behauptete, der Generalstaatsanwalt sei von Terroristen entführt und zu seinen "verleumderischen Aussagen" gezwungen worden.

    Vor der Sendung habe ich den Politikwissenschaftler und Buchautor Hamed Abdel-Samad gefragt, was es wohl zu bedeuten hat, wenn nun ein ranghoher Staatsbeamter in Syrien aus dem Regime ausschert.

    Hamed Abdel-Samad: Ja, das ist wie im Falle Gaddafi: die Verbündeten gehen weg, weil sie merken, dass der Diktator keinen Halt mehr unter der Bevölkerung hat, und sie fürchten selber, dass sie später von den Revolutionären, von den Rebellen oder auch vom internationalen Gerichtshof verfolgt werden, und deshalb verlassen ja viele das sinkende Boot.

    Kapern: Es fällt aber auf, dass dies erst der erste ranghohe Beamte des Staatsapparates von Assad ist. Kann man das wirklich so eindeutig interpretieren, dass das der Anfang des Auseinanderbröckelns des Regimes ist?

    Abdel-Samad: Das Regime bröckelt zweifelsohne. Wir erleben seit zwei Tagen zum ersten Mal in Damaskus und in der Stadt Aleppo, den zwei größten Städten des Landes, Großdemonstrationen, das hat es noch nie gegeben. Die Demonstrationen waren bis jetzt nur in den Provinzstädten, vor allem in Hama und Dara. Aber jetzt, dass die Großstädte auch sich den Protesten anschließen, zeigt, dass die Art und Weise, wie das Regime mit den Revolutionären umgeht, nicht taugt und auch nicht zur Beruhigung der Lage führt.

    Kapern: Es gibt ja auch einzelne Berichte darüber, dass desertierende Soldaten in Schießereien mit dem Militär verwickelt sind. Ist das möglicherweise auch ein Anzeichen dafür, dass das Militär auch auseinanderdriftet?

    Abdel-Samad: Ja, das tut es auch seit ein paar Monaten schon. Also es gab Deserteure die ganze Zeit, die waren aber vom Rang her nicht so hoch. Aber Offiziere, Armeeoffiziere schlossen sich schon seit zwei Monaten ungefähr den Aufständischen an und haben auch öffentlich aufgerufen, dass Assad zurücktreten sollte.

    Kapern: Ist das Militär eigentlich die entscheidende Machtbasis für Baschar al-Assad?

    Abdel-Samad: Das ist wie mit den anderen 17 Geheimdiensten und Sicherheitsapparaten, die natürlich auch sehr effizient sind. Gibt es etwas, was noch effizienter ist in Syrien? – Das sind die Sicherheitsapparate und das Militär. Aber alles hat seine Zeit. Man kann nicht so ewig weiter machen gegen die eigene Bevölkerung. Man sieht es ja am Falle Gaddafi, dass das am Ende auch nichts nutzt.

    Kapern: Was denken Sie, wie wird Baschar al-Assad jetzt auf diese Auflösungserscheinungen seiner eigenen Machtbasis reagieren?

    Abdel-Samad: Ich glaube, er befindet sich schon in einer Sackgasse. Er kann nicht mehr zurückrudern, weil er zu viel auch Verbrechen begangen hat. Er kann auch keine Reformen mehr anbieten, niemand nimmt ihm das ab. Er wird versuchen, weiterhin unversöhnlich sich zu zeigen, ab und zu mal von Reformen zu sprechen. Aber ich glaube, egal was er macht, seine Tage sind gezählt.

    Kapern: Denken Sie, er wird versuchen, wie Gaddafi bis zur letzten Patrone, bis zum letzten Blutstropfen, wie es Gaddafi immer gesagt hat, zu kämpfen?

    Abdel-Samad: Ja. Ich glaube, er und Gaddafi leiden am Saddam-Syndrom. Sie können nicht die Lage wirklich einschätzen. Sie leiden an Realitätsverlust und sie können nicht zurückrudern. Sie glauben die ganze Zeit, dass sie im Recht sind und dass die anderen, die gegen sie vorgehen, nur Vagabunden und militante Islamisten und Agenten des Westens sind. Seine Berater vermitteln ihm dieses Bild.

    Kapern: Was kann der Westen noch tun, um, wenn es denn zwangsläufig dazu kommen muss, das Ende des Regimes Assad herbeizuführen?

    Abdel-Samad: Man kann zumindest damit anfangen, syrisches Öl nicht mehr zu kaufen und Gas, und das gilt auch für Deutschland. Aber das Regime profitiert nach wie vor von diesen Geschäften. Das Regime hat aber auch starke Verbindungen zu China und Russland, und das bietet ihm teilweise Rückendeckung. Aber wie gesagt, langfristig werden seine Verbündete, egal ob im Inneren oder im Äußeren, ihn auch verlassen müssen.

    Kapern: Gibt es eine militärische Option im Falle Syrien, so wie es im Falle Libyen eine militärische Option gegeben hat?

    Abdel-Samad: Das wird schwierig. Ich glaube nicht, dass die europäischen Staaten, dass die NATO-Staaten jetzt im Stande sind, noch Reserven zu haben, um auch sich in Syrien zu engagieren. Die Lage ist dort unübersichtlich, es gibt dort keine organisierten militärischen Verbände so wie in Libyen, die man unterstützen könnte durch Luftanschläge und durch Training. Die syrische Opposition ist nicht so vereint wie in Libyen, hat auch keine Galionsfiguren, mit denen man auch direkt verhandeln könnte. Es wird schwierig sein. Ich würde sagen, die Nachbarländer, vor allem die Türkei, haben eine große Verantwortung und sie können auch sich da einmischen.

    Kapern: In welcher Hinsicht, wie könnten sie das tun, mehr als jetzt schon?

    Abdel-Samad: Zumindest auch das Regime unter Druck setzen, indem sie auch militärische Einheiten an der Grenze mobilisieren, um zu zeigen, dass wir das nicht dulden werden, wenn das Blutvergießen weitergeht, dass wir auch notwendigerweise uns einmischen können.

    Kapern: Sie sagten eben, die syrische Opposition sei nicht so vereint wie die libysche. Was bedeutet das für eine Zeit nach Assad?

    Abdel-Samad: Wir werden eine Zeit von Chaos und Gewalt und Zweideutigkeiten in der Politik haben, das ist eine ganz normale Lage nach so einer langen Diktatur. Wir werden so was zwischen Ägypten und Irak erleben, das heißt der Wunsch nach Demokratie und die ersten Demokratisierungsversuche, aber auch das Auseinanderdriften von den unterschiedlichen ethnischen Gruppierungen, die es in Syrien gibt, Muslime und Christen, Kurden und Aleviten. Die sind verfeindet untereinander und wenn der Deckel der Diktatur weg ist, dann tauchen diese Konflikte erst richtig auf.

    Kapern: Könnte es sein, dass diese internen Konflikte auch Auswirkungen nach außen haben, denn immerhin eines der wichtigsten Nachbarländer Syriens ist Israel?

    Abdel-Samad: Ja, selbstverständlich. Ich fürchte, dass auch eine der letzten Karten von Baschar al-Assad sein wird, dass er zumindest einen Angriff auf Israel stimuliert, um ein bisschen mit den Emotionen der eigenen Bevölkerung zu spielen. Das hat Saddam versucht, aber es hat auch Saddam am Ende nichts genutzt.

    Kapern: Was denken Sie, wie lange wird sich Baschar al-Assad noch halten können?

    Abdel-Samad: Also ich bin kein Prophet, aber ich glaube wie bei Gaddafi, das ist nur eine Frage von Wochen, wenn nicht Tagen.

    Kapern: Ein Gespräch mit Hamed Abdel-Samad über die Entwicklung in Syrien.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.