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Seit Jahren verliert der Deutsche Gewerkschaftsbund Mitglieder, um etwa 234.000 sank ihre Zahl im vergangenen Jahr. 6,8 Millionen Beitragszahler sind ein neuer Tiefstand erreicht. Neue Wege sind gefragt, vor allem bei der Ansprache der Arbeitnehmer.

Von Ulrich Kurzer | 01.05.2006
    Nur noch eine halbe Million Menschen beteiligten sich im vergangenen Jahr an den Maikundgebungen der deutschen Gewerkschaften. Anders als früher gelten sie heute vielen als Bremsern, die sich gesellschaftlichen Veränderungen verweigern. Vor allem der jüngste Arbeitskampf bei den Kommunen in Hamburg, Niedersachsen und Baden-Württemberg stieß auf Kritik, die sich an 18 Minuten Mehrarbeit und liegen gebliebenem Müll entzündete. Im öffentlichen Dienst der Länder wird aber immer noch gestreikt, seit mehreren Monaten schon, ohne dass ein Ende in Sicht wäre.

    Die Demonstrationen am 1. Mai organisiert traditionell der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dem acht Einzelgewerkschaften angehören. Alljährlich verkündet der Vorsitzende im Januar die aktuellen Zahlen zur Mitgliederentwicklung. Erfreuliches konnte er dabei in den zurückliegenden Jahren nur selten vermelden. Verrechnet man die Abgänge mit den Neueintritten, so verloren die DGB-Gewerkschaften allein im letzten Jahr etwa 234.000 Mitglieder. Mit nur noch knapp 6,8 Millionen Beitragszahlern wurde ein neuer Tiefstand erreicht. Weniger Mitglieder hatten die Gewerkschaften zuletzt vor 35 Jahren.

    Höchste Zeit, gegenzusteuern. Hinter verschlossenen Türen sucht eine "Planungsgruppe Weiterentwicklung des DGB" nach Wegen aus der Krise. Ausgerufen wurde das Projekt "Trendwende", mit dem die Abwärtsbewegung der Mitgliederzahlen gestoppt und umgedreht werden soll. Ende Mai werden die geplanten Maßnahmen auf dem DGB-Bundeskongress vorgestellt, sagt Dietmar Hexel, der die Arbeit an dem Projekt im DGB-Bundesvorstand koordiniert. Bis dahin verrät er nur soviel:

    "Kurz gesagt: Erstens, die Gewerkschaften müssen da sein, wo die Menschen sind, wir müssen also stärker ran an die Menschen. Zweitens: Wir müssen dort sein, wo die Jugendlichen heutzutage sich aufhalten, das sind eben nicht mehr die bekannten Arbeitermilieus, sondern es sind die Hochschulen, die Fachschulen, die Berufschulen und die Schulen allgemein, da werden wir im Vorfeldbereich unsere Aktivitäten stärken und drittens müssen wir die Mittel, die geringeren Mittel, die der DGB und alle Gewerkschaften auf Grund der Mitgliederrückgänge haben, besser und effizienter einsetzen."

    So plant der DGB, zusammen mit den Einzelgewerkschaften Gemeinschaftsbüros in Fußgängerzonen als Anlaufstellen einzurichten, in denen die Mitglieder direkt Auskunft und Hilfe bekommen. Dies soll Kosten senken, ohne dass der Service eingeschränkt werden muss. Die Idee solcher Bürogemeinschaften ist nicht ganz neu und wird da und dort bereits von Einzelgewerkschaften praktiziert.

    An den Hochschulen betritt der DGB dagegen weitgehend Neuland. 2003 wurde "students at work" gestartet. Auf der Webseite im Internet werden Studierenden eine Reihe weiterführender Links bei Fragen vom Praktikum bis zum studentischen Jobben angeboten. 30.000 Benutzer schauen sich dort monatlich um. Wer möchte, kann darüber auch Ansprechpartner der Gewerkschaften vor Ort finden, um sich beraten zu lassen. Auch die Einzelgewerkschaften präsentieren sich mit entsprechenden Angeboten im Netz. So wollen sie neue Mitglieder auch in den Bereichen gewinnen, die bisher nicht gerade im Zentrum gewerkschaftlichen Engagements standen, beispielsweise Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge.

    Das ist für die Gewerkschaften auch dringend notwendig, sagt der Sozialwissenschaftler Jürgen Kädtler. Er beschäftigt sich am Soziologischen Forschungsinstitut an der Universität Göttingen seit mehreren Jahren mit dem Wandel in der Industriegesellschaft:

    "Gewerkschaften sind groß geworden unter Bedingungen, unter denen sie sich auf stabile Arbeitermilieus stützen konnten, in denen Jugendliche schon im Kindesalter und im Heranwachsen gewerkschaftlich organisiert sein, als etwas völlig Normales erlebt haben, und wo es logisch und n der Kontinuität war, dass, wenn man eine Lehre anfing oder in einen Beruf eintrat, dann auch in eine Gewerkschaft mit eintrat. Diese Milieus sind heute definitiv weg und an die Stelle der gesellschaftlichen Erfahrung über solche soziale Primärerfahrung ist eine medienvermittelte Zurkenntnisnahme der Gesellschaft getreten.

    Das heißt, junge Menschen erleben heute Gesellschaft in erster Linie vermittelt über Medien, vermehrt auch über das Internet, und Gewerkschaften müssen sich darauf einstellen, dass an die Stelle der stabilen ortsgebundenen Milieus das, ich sage mal, 'globale Dorf' getreten ist, in dem sie als Akteur präsent sein müssen, um von den jungen Menschen zur Kenntnis genommen zu werden."

    Wie die Resonanz auf die verschiedenen Auftritte und Angebote der Gewerkschaften im Internet zeigt, haben sie den Zug der Zeit dabei offenbar nicht verpasst. Aber andere gravierende Veränderungen in der Gesellschaft haben sie verschlafen. Jürgen Kädtler:

    "Die Gewerkschaften bilden heute immer noch die Beschäftigtenstruktur ab, wie wir sie in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts gehabt haben. In ihr überwiegen die Arbeiter, und die Rekrutierungserfolge der vergangenen Jahrzehnte sind nur so erfolgt, dass man praktisch diese Klientel noch besser organisiert hat, als man es vorher gehabt hat. Auch das wird mit der neuen Generation brüchig. Was man vor allem versäumt hat, ist, in diejenigen Schichten, Dienstleistungsbereich, Angestelltentätigkeiten und so weiter, insbesondere kaufmännische Angestelltentätigkeiten, einzudringen, die traditionell immer schlecht organisiert gewesen sind, die aber heute diejenigen sind, bei denen heute Beschäftigungswachstum stattfindet."

    Für diese Beschäftigten sind vor allem zwei Gewerkschaften zuständig: In der Gastronomiebranche die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, für den gesamten übrigen Dienstleistungssektor dagegen die Gewerkschaft ver.di. Ver.di entstand 2001 durch den Zusammenschluss von fünf Gewerkschaften und wurde so zur größten Einzelgewerkschaft im DGB, noch vor der IG Metall.

    Doch Größe allein genügt offenbar nicht, denn seitdem verliert ver.di beständig Mitglieder. Fast die Hälfte der Mitgliederverluste aller Gewerkschaften im letzten Jahr geht allein auf das Konto von ver.di, ein sattes Minus von 104.000. Frank Werneke aus dem ver.di-Bundesvorstand:

    "Natürlich wäre es schön, wenn wir mehr Neueintritte hätten, mehr als wir derzeit haben, aber eigentlich ist unser größeres Problem derzeit die hohe Zahl von Austritten, insbesondere Austritte von Menschen, die nicht mehr im Beruf sind, die auch keine Perspektive mehr für sich sehen, wieder in den Beruf zurückzukommen. Unzweifelhaft ist es auch so, dass wir zum Teil es schwer haben in bestimmten Branchen oder Tätigkeitsfeldern Menschen anzusprechen und davon zu überzeugen, Mitglied bei uns zu werden, erst recht da, wo wir derzeit nicht tarifmächtig sind und keine Tarifverträge durchsetzen können. Das ist in vielen privaten Dienstleistungsbereichen zum Beispiel der Fall, da tun wir uns schwerer wie in Bereichen, wo wir Tarifverträge abschließen, Betriebsräte und Personalräte haben und gewerkschaftliche Strukturen haben."

    Ver.di muss sich schon etwas einfallen lassen, um in den zukunftsträchtigen Dienstleistungsbetrieben den Fuß in die Tür zu bekommen. Etwa spezielle Werbekampagnen:

    "Zum Beispiel für Beschäftigte im Bereich der Informationstechnologien, für Beschäftigte im Bereich Multimedia oder aber auch für Pflegekräfte in kleinen ambulanten Diensten, die wir fast nur von außen ansprechen können, bis hin dazu, dass wir sie gezielt mit Informationen versorgen, da wo wir Fahrzeuge sehen von ambulanten Diensten. Übrigens spielt das Internet auch eine immer größere Rolle bei der Ansprache von Mitgliedern, wir haben viele tausend Eintritte direkt über das Internet, wo sich Menschen über das, was wir an Angeboten und Positionen im Internet darstellen, für ver.di interessieren und darüber der Erstkontakt zustande kommt."

    Mit dem Problem, mehr alte Mitglieder zu verlieren als neue hinzu zu gewinnen, kämpft auch die IG Metall. Zwar ist sie durch die Austritte bei ver.di nun wieder die größte Einzelgewerkschaft im DGB. Doch auch die IG Metall hat im vergangenen Jahr noch einmal 49.000 Mitglieder verloren. Das waren knapp halb so viele wie bei ver.di. Und auch auf den zweiten Blick steht die IG Metall besser da: Im Vergleich zum Vorjahr konnte sie ihre Mitgliederverluste halbieren.

    Das sind offenbar die ersten Früchte einer im September 2004 gestarteten "strategischen Mitgliederoffensive", mit der die Gewerkschaft den Trend umkehren und wieder mehr Beschäftigte zum Eintritt bewegen will. Mehr Erfolg als anderswo hat dabei der Bezirk Nordrhein-Westfalen, sagt Detlef Wetzel, Bezirksleiter der IG Metall in NRW:

    "Wir haben eine gute Mitgliederentwicklung, über 50 Prozent aller Verwaltungsstellen sind im Plus, und ich führe es darauf zurück, dass wir eben unsere Mitglieder viel stärker beteiligen, dass wir bei vielen betrieblichen Konflikten diese Konflikte aufgreifen, aber nicht stellvertretend für die Belegschaften lösen, sondern mit den Belegschaften gemeinsam die Dinge regeln. Ich glaube, es wird immer deutlicher, nur gut organisierte Belegschaften haben gute Tarifverträge, und schlecht organisierte Belegschaften haben schlechte Tarifverträge. Und das setzt sich durch im Bewusstsein, in dem Maße, in dem wir unsere Mitglieder beteiligen an dieser Frage. Wenn wir ihnen sagen: Es hängt von dir ab, wenn du nicht mit machst, wird es hier nichts werden."

    Tarifverträge regeln Entgelt- und Arbeitsbedingungen. Neben so genannten Haustarifverträgen, die nur für die Beschäftigten eines Unternehmens gelten, wie beispielsweise bei Volkswagen, der Telekom oder der Deutschen Bahn, gibt es Flächentarifverträge. Sie werden von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden abgeschlossen und regeln die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen für bestimmte Branchen in einer Region. Die Beschäftigten profitieren von ihnen, weil sie Anspruch auf den vereinbarten Tariflohn haben. Kein Arbeitgeber darf davon abweichen oder etwa mit einzelnen Beschäftigten längere Arbeitszeiten vereinbaren. Diese einheitlichen Bedingungen sind aber auch ein Vorteil für die Arbeitgeber, betont Reinhard Bispinck. Er leitet das Tarifarchiv der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung:

    "Zumindest auf dem nationalen Markt gelten dann einheitliche Bedingungen, und die Unternehmen können miteinander konkurrieren durch bessere Technik, durch bessere Arbeitsorganisation, durch innovativere Produkte, aber die Konkurrenz und der Wettbewerb wird nicht mehr ausgetragen über den Preis der Arbeitskraft, sprich über die Löhne und über die Dauer der Arbeitszeit."

    Seit einigen Jahren aber versuchen immer mehr Unternehmen, den einheitlichen Bestimmungen des Flächentarifvertrags zu entkommen.

    "Die Arbeitgeber wollen die Flächentarifverträge öffnen, damit sie auch kurzfristig auf wirtschaftliche Notwendigkeiten reagieren können. Sie wollen Arbeitszeiten verlängern können, sie wollen Löhne flexibilisieren können. Sie wollen für einen bestimmten Zeitraum auch Verzicht auf bestimmte tarifvertragliche Leistungen, um, wie sie sagen, sich wettbewerbsfähig zu machen, die deutschen Standorte zu sichern und Arbeit in Deutschland zu erhalten."

    In der Wirtschaftskrise der 90er Jahre geriet der Flächentarifvertrag erstmals unter Druck. Um Arbeitsplätze zu erhalten, waren die Gewerkschaften bereit, auf betrieblicher Ebene von ihm abzuweichen. Sie ließen sich - allerdings immer nur in Einzelfällen - auf Lohnkürzungen oder Verlängerungen der Arbeitszeit ein. Die Arbeitgeber verzichteten im Gegenzug auf betriebsbedingte Kündigungen.

    In der Metallindustrie stützen sich die Unternehmen inzwischen immer öfter auf die Vereinbarungen mit der IG Metall im Pforzheimer Abkommen von 2004. Abweichungen vom Flächentarifvertrag sind danach nicht nur möglich, um die Insolvenz von Unternehmen abzuwenden, sondern auch, um die Innovations- oder Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu sichern.

    Die IG Metall kann sich solchen Abweichungen vom Flächentarifvertrag immer seltener verweigern, schließlich hat sie das Pforzheimer Abkommen unterzeichnet. Mehr noch: Dieses Prinzip wurde erst vor einer Woche mit dem neuen Metall-Tarifvertrag auch auf die Einmalzahlungen ausgedehnt.
    Allerdings ist die Gewerkschaft in Nordrhein-Westfalen in die Offensive gegangen. Unternehmen, die vom Flächentarifvertrag abweichen wollen, werden mit der Strategie "Besser statt billiger" konfrontiert. Bevor man sich bereit erklärt, etwa beim Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zu streichen, oder die Beschäftigten für das gleiche Geld länger arbeiten zu lassen, wird erst einmal der Betrieb durchleuchtet, erklärt Detlef Wetzel, Chef der IG Metall in NRW:

    "Wir machen da kein Co-Management, dass wir der bessere Unternehmer sein wollen, sondern wir stellen ganz konkret Anforderungen an das Unternehmen: zum Beispiel, wie modern und innovativ sind die Produkte, die gefertigt werden, was wird getan für Qualifizierung und Weiterbildung, welcher Marktnutzen, welcher Kundennutzen wird generiert in den Betrieben? Also, wir versuchen die Produkte und die Arbeitsabläufe besser zu machen, damit wir einen Wettbewerbsvorsprung haben, einen Modernisierungsvorsprung haben vor anderen und deshalb auch einen Wettbewerbsvorteil haben. Und das macht eigentlich'"Besser statt billiger' aus, weil es eben sagt: Nur besser haben wir eine Chance. Billiger können die anderen ohnehin besser als wir."

    Die Arbeitgeber müssen ihre Mitarbeiter davon überzeugen, dass es sich lohnt, für einige Zeit auf tarifvertragliche Leistungen zu verzichten. In Arbeitsgruppen prüfen Beschäftigte, Betriebsrat und manchmal auch externe Experten die Argumente der Arbeitgeber. Gemeinsam wird nach Alternativen gesucht. Die Belegschaften erfahren dabei hautnah, dass sie selber Einfluss nehmen können und dabei von der Gewerkschaft unterstützt werden.

    "Ohne diesen Prozess und ohne die Beteiligung der Mitglieder gibt es hier keine Unterschrift unter irgendeine abweichende Vereinbarung eines Tarifvertrages."

    Mit "Besser statt billiger" hat die IG Metall in Nordrhein-Westfalen ein Konzept entwickelt, mit dem sie in betrieblichen Konflikten punktet und Mitglieder gewinnt. Von Vorteil ist dabei natürlich, dass die Gewerkschaft im bevölkerungsreichsten Bundesland auf gewachsene Strukturen mit großen Betrieben zurückgreifen kann, die eine effektive Arbeit mit Betriebsräten und Vertrauensleuten ermöglicht. Auch das Verhandlungsergebnis in der Metall- und Elektroindustrie hat das am vergangenen Wochenende wieder einmal bestätigt.

    Ganz anders sieht es dagegen in vielen Dienstleistungsbereichen aus, wo die Gewerkschaften es mit einer großen Zahl kleiner Betriebe und oft weit verstreuten Filialen mit nur wenigen Beschäftigten zu tun haben. Gewerkschaftsarbeit findet dort unter schwierigen Bedingungen statt. Die Wahl von Betriebsräten wird oft durch die Arbeitgeber behindert, die Löhne sind niedrig und der Anteil von Minijobs hoch. Das macht es schwer, Strukturen aufzubauen und neue Mitglieder zu gewinnen.

    Vor ganz anderen Problemen steht die IG Bauen-Agrar-Umwelt. Sie organisiert Beschäftigte aus dem Baugewerbe und der Landwirtschaft und zählt zurzeit etwa 392.000 Mitglieder. Die Gewerkschaft hat im vergangenen Jahr fast acht Prozent ihrer Mitglieder verloren. Die Arbeitslosigkeit auf dem Bau ist hoch und auf den Baustellen finden sich immer häufiger Billigarbeiter aus Osteuropa.
    Noch gravierender ist das Problem aus Gewerkschaftssicht in der Landwirtschaft: 100.000 ganzjährig beschäftigen Einheimischen stehen in diesem Jahr 325.000 ausländische Saisonarbeiter gegenüber. Auch diese arbeiten für wenig Geld neben einheimischen Arbeitskräften. Hinzu kommt - auf dem Bau wie in der Landwirtschaft - aber noch eine unbekannte Zahl illegal Beschäftigter.

    Um den Arbeitsmarkt in Deutschland vor einer großen Zahl billiger Arbeitskräfte aus den osteuropäischen EU-Staaten zu schützen, gelten für Bürger dieser Länder Zugangsbeschränkungen bis zum Jahr 2011. Erst danach haben auch sie wie alle anderen EU-Bürger freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Dann wird es wahrscheinlich eine hohe Zuwanderung von Arbeitskräften aus den osteuropäischen EU-Staaten geben. Hans-Joachim Wilms aus dem Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt rechnet nicht damit, dass sich bis dahin das Lohnniveau dieser Länder dem deutschen angeglichen hat. Er ist sich sicher, dass das auch dann noch vorhandene Lohngefälle es für Osteuropäer attraktiv macht in Deutschland zu arbeiten. Deshalb wurde im Oktober 2004 der Europäische Verband der Wanderarbeiter gegründet, sagt Hans-Joachim Wilms:

    "Wir müssen einfach was anbieten, weil, wenn wir als deutsche Gewerkschaft auf eine Baustelle kommen, oder irgendwo aufs Feld gehen, und da sind zum Beispiel nur polnische Arbeitnehmer, dann ist das schwer, mit denen Kontakt zu bekommen. Und da haben wir gesagt, das ist immer besser, wenn polnische Mitarbeiter dann mit ihren Kollegen in der Muttersprache miteinander reden. Und das war mit die Idee, dass wir da eben wegkommen von unserer eigenen IG Bauen-Agrar-Umwelt, sondern gesagt haben, wir machen da ein spezielles Angebot."

    Langfristig sollen alle hauptamtlichen Sekretäre des Verbandes aus den Ländern kommen, aus denen auch die Wanderarbeiter stammen. 1500 Mitglieder konnten bisher gewonnen werden, ein bescheidener Anfang. Aber auch er zeigt, dass die Gewerkschaften neue Wege einschlagen und sich gesellschaftlichen Veränderungen nicht verschließen. Denn eine Organisation, die sich ausschließlich an ausländische Beschäftigte richtet, gibt es in der deutschen Gewerkschaftslandschaft bisher nicht. Wenn das dazu beiträgt, konfliktträchtiges Lohn- und Sozialdumping zwischen einheimischen und ausländischen Arbeitskräften zu verhindern, haben nicht nur die Beschäftigten in Europa gewonnen, sondern auch die Gewerkschaften.