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Seitensprung in der Eiszeit

Biologie. - Paarungen zwischen Eis- und Braunbären gab es offenbar schon zu Eiszeiten, als sich der Lebensraum beider Arten in Europa überlappte. Amerikanische und britische Forscher haben jetzt nachgewiesen, dass eine irische Braunbärin am Ursprung der heutigen Eisbären beteiligt war.

Von Martina Preiner | 07.07.2011
    Wir schreiben ungefähr das Jahr 20.000 vor unserer Zeit. Das Eiszeitalter ist kurz davor, seinen vorerst letzten Höhepunkt zu erreichen. Es ist bitterkalt und der Wind pfeift dem Eisbären um die Ohren. Er tapst über die Eisdecken, die die Arktis mit einer Insel verbinden, aus der Jahrtausende später Irland entstehen wird. Seit Tagen hat er keinen seiner Artgenossen mehr gesehen, als eine Braunbärin seinen Weg kreuzt.

    "Was hier passiert ist, war eine Hybridisierung, also eine Mischung zwischen einem aus dem heutigen Irland stammenden Braunbären und einem Eisbären. Das Produkt dieser Zusammenkunft findet sich in der gesamten Eisbärenpopulation unserer Zeit wieder."

    Wenn der irische Populationsgenetiker Daniel Bradley vom Trinity College Dublin über ein "Produkt der Zusammenkunft" spricht, bezieht er sich auf einen Genabschnitt in den Zellen heute lebender Eisbären. Genauer gesagt einen Genabschnitt in den "Energiekraftwerken" der Zellen, den Mitochondrien. Diese besitzen ein eigenes Erbgut, das unabhängig von der restlichen DNA vererbt wird. Bradley:

    "Die DNA in den Mitochondrien ist oftmals besser erhalten als die normale DNA. Das ist eigentlich der Hauptgrund, warum Forscher, die mit alter DNA arbeiten, die aus Mitochondrien benutzen."

    Eine weitere Besonderheit dieser Erbsubstanz ist, dass sie nur durch die Weibchen einer Spezies an den Nachwuchs weitergegeben wird. So ergeben sich eigene, "feminine" Stammbäume. Für ihre Untersuchungen entnahm Bradleys Mitarbeiterin Ceiridwen Edwards Proben von einer irischen Braunbärin und 73 weiteren Eis- und Braunbären. Dann betrachtete sie eine kleine Region auf der Mitochondrien-DNA, durch die eine Verwandtschaft gut nachzuweisen ist. Edwards:

    "Der DNA-Abschnitt ist lang genug, dass wir Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Proben zuverlässig bestimmen können. Zudem konnten wir sie auch noch mit denen von hunderten anderen Bären vergleichen, die in der internationalen Gendatenbank gespeichert sind."

    So wurden Genabschnitte quer durch Zeit und Bärenarten verglichen, insgesamt 242 an der Zahl. Moderne Eisbären mit historischen Eisbären, historische Braunbären mit modernen Eisbären, moderne Braunbären mit historischen Braunbären und so weiter.

    "Die Eisbären untereinander sind sich allesamt sehr ähnlich. Doch auch der Genabschnitt des irischen Braunbären, der vor 10.000 bis 38.000 Jahren gelebt hat, weist viele Gemeinsamkeiten mit dem der Eisbären auf. Und tatsächlich kommt er dem heutigen Eisbären am nächsten – näher als alle anderen Bären in unserer Datenbank."

    Der Eisbär und die Braunbärin zeugten Nachwuchs, kleine Eisbär-Braunbär-Mischlinge. Und sie waren nicht die Einzigen. Bradley und seine Forscherkollegen aus London und Pennsylvania gehen davon aus, dass solche Seitensprünge zwischen Braun- und Eisbären öfter stattgefunden haben. Wahrscheinlich seit 100.000 Jahren, vielleicht sogar noch länger. Jedesmal, wenn das Meereis zwei unterschiedliche Lebensräume vereinte, gab es Gelegenheit zum Fremdgehen.

    "Und auch heute scheint es wieder Hybridisierung zu geben. Wenn man heute Proben von Eisbären in der Arktis entnimmt und einen DNA-Test macht, kann man sehen, dass es sich teilweise um Hybride von Eisbären und Grizzly oder Braunbären handelt."

    Seitensprünge ziehen sich offenbar wie ein roter Faden durch die Evolutionsgeschichte der Eisbären. Es kann gut sein, dass sie in manchen Situationen überlebenswichtig waren. Den irischen Braunbären half es aber nicht, sie starben aus. Doch immerhin lebt ein Teil ihrer Gene in den heutigen Eisbären weiter.