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Sekundenkleber stählt Steinschotter

Umwelt. – In Zukunft werden Sturmfluten und Hochwasser heftiger ausfallen, so dass der Druck auf Deiche und Dämme drastisch steigen wird. An der Technischen Universität Hamburg-Harburg entwickeln Forscher daher Decksysteme für Deiche, die diese auch bei Überflutung schützen.

Von Volker Mrasek | 16.08.2007
    Ein Innenhof auf dem Gelände des Binnenhafens von Hamburg-Harburg. Zwei Männer setzen eine Mischmaschine in Gang. Allerdings ist es kein Beton, den sie anrühren.

    "Das sind also Steine, die gemischt werden. Wenn man so will: Die müssen gewaschen werden in Polyurethan.""

    Polyurethan, kurz: PU: Der Spezialkunststoff wird für vieles verwendet. Als Schaumstoff in Kühlschränken und Autositzen zum Beispiel. In diesem Fall wurde das Polyurethan aber erst Augenblicke vorher aus zwei Grundsubstanzen zusammengemixt. Es ist dickflüssig. Wie Honig, sagt Erik Pasche, Professor für Wasserbau an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Und so soll die PU-Paste auch nicht schäumen, sondern: die Steine fest miteinander verbinden. Ganz so wie ein starker Komponenten-Kleber. Pasche:

    "Wir haben das vorgesehen zur rückwärtigen Deichsicherung. Wir können durch den Klimawandel nicht ausschließen, dass Deiche überflutet werden - sei es an Flüssen die Binnendeiche oder auch an der Küste. Und da ist das größte Problem, dass es beim Überfluten dann zu einem Deichbruch kommt, weil Erosion auf der Rückseite des Deiches einsetzt. Und dann ist die Katastrophe umso größer, weil sich große Wassermassen in das Hinterland ergießen."

    "Deckwerk" nennen Wasserbau-Ingenieure die Schottersteine auf den Flanken von Hochwasser-Schutzdeichen. Normalerweise werden sie lose aufgebracht, mal die Fugen zwischen ihnen auch noch mit Beton oder Asphalt ausgegossen. Eine solche Gesteinsauflage soll Deichen bei hohem Wasser- und Wellendruck größere Stabilität verleihen. Für Pasche dagegen ...

    "... ist das sehr ungünstig aus wasserbaulicher Sicht, solche harten, festen Strukturen zu haben. Ich sehe nicht, ob sich dahinter Hohlräume gebildet haben. Ich sehe nur kleine Risse. Im ersten Moment denkt man, das ist überhaupt nicht gefährlich. Aber die sind sehr gefährlich, weil dann der Druck auch durch den Riss durchgeht. Und [das] hat dann eine Explosionswirkung. Und sorgt dafür, dass das Ganze auseinanderspringt."

    Die zähflüssige Polyurethan-Paste könnte hier Abhilfe schaffen. Sie wurde am Wasserbau-Institut der Harburger TU entwickelt, in Kooperation mit einem Industriepartner, der sie jetzt vermarktet. Erste Deckwerke an der Küste sind bereits probeweise verklebt, unter anderem auf Sylt. Sie halten der stürmischen See nach den Analysen der Wissenschaftler bisher tadellos stand. Der Kniff an dem wasserfesten PU-Kitt: Die Klebeverbindungen bleiben elastisch. Pasche:

    "Die Welle dringt ja durch die Öffnungen in das Deckwerk ein, verteilt sich dort. Weil die Elastizität da ist, kommt es also zu ganz kleinen Bewegungen im Kleber. Und dafür muss aber sehr viel Energie aufgebracht werden. Und das ist sozusagen die Umsetzung von dieser Wellenenergie in eine Verformungsenergie am Deckwerk selbst."

    Die Klebeverbindungen wirken wie lauter kleine Stoßdämpfer, die Welle verzettelt ihre Kräfte in den Poren des PU-Schotters, der Deich wird entlastet.

    "Das ist ein Druckzylinder, der in diesem Fall jetzt zieht, und zwar den Stein senkrecht nach oben aus dem Deckwerk raus."

    Jan Rathscheck, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut, testet, wie viel Kraft nötig ist, um die verklebten Schottersteine herauszureißen. Sein Kollege Frederik Treuel hatte es vorher mit bloßen Händen probiert. Treuel:

    "Also, mit der Hand die Steine rauszubrechen, das ist unmöglich. Man kriegt es nicht hin."

    Der Klimawandel dürfte Hochwasser und Sturmfluten in Zukunft verstärken. Das wird die Schutzbauten im Binnenland und an der Küste zusätzlich beanspruchen. TU-Institutschef Pasche sieht hier eine Chance für seinen Schotterkleber. Er sei ökologisch unbedenklich und ein Polyurethan-Deckwerk sogar billiger als ein herkömmliches, da es nicht so massiv sein müsse. Pasche:

    "Und das ist also unsere Botschaft auch an die Ingenieurpraxis, hier mal das auszuprobieren, testweise über größere Abschnitte. Und die positiven Eigenschaften, die wir jetzt also auch schon nachgewiesen haben, jetzt flächiger mal zu prüfen und vielleicht als Alternative anzunehmen."

    Vor Sylt planen die TU-Forscher jetzt sogar ein Projekt 300 Meter vor der Küste. Der Unterwasser-Damm mit PU-Schotterdecke soll anrauschende Wellen brechen, lange bevor sie das empfindliche Ufer der Insel erreichen.