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Selber schuld - selber zahlen?

Wer raucht, setzt bewusst seine Gesundheit aufs Spiel. Im Rahmen des Wissenschaftsjahres drehte sich die Podiumsdiskussion "Die Gesundheit des Einzelnen" um die Frage, wie viel Verantwortung jeder Einzelne für seine Gesundheit übernehmen kann und muss. Organisiert wurde er vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Von Thomas Gith | 27.10.2011
    Natürlich sind es auch hier die Kosten – denn spielten die Ausgaben im Gesundheitswesen keine Rolle, dann würde über die Verantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit möglicherweise viel weniger diskutiert. Doch es ist genau anders herum: Denn etwa durch den Versuch, anhand von genetischen Markern Krebserkrankungen besser und individueller zu behandeln, steigen die Ausgaben häufig stark an. Die Krebsmediziner stoßen hier teilweise bereits an Budgetgrenzen, verdeutlichte der Theologe und Ethiker Klaus Tanner aus Heidelberg. Gleichzeitig kommen durch den demografischen Wandel weitere Kosten auf das Gesundheitssystem zu, so Professor Tanner.

    "Wir leben in einer älter werdenden Gesellschaft in Deutschland. Und die älteren Menschen werden mehr krank, sie sind nicht mehr ganz gesund, sie haben verschiedene Krankheiten, die Behandlungskosten steigen. Also der Erfolg der modernen Medizin, dass alle heute über 75 im Durchschnitt werden, heißt natürlich, sie haben nach Eintritt ins Rentenalter, wo sie keine Beiträge mehr für die Sozialversicherungssysteme zahlen, gleichwohl einen enormen Anspruch, der zwanzig, dreißig Jahre geht. Mit einem Spektrum an neuen Handlungsmöglichkeiten, die durch die Medizin eröffnet wird, das sind meistens keine billigen Dinge, sondern teure Therapien, Medikamente genauso wie diagnostische Verfahren. Das heißt, wir haben ein Anwachsen der Kosten in dem Bereich, und da ist die Frage, wie das finanziert wird."

    Viele neue Krebsmedikamente etwa, die gezielter und damit erfolgreicher wirken sollen, kosten deutlich mehr als die bisherigen Therapien. Gleichzeitig wird oft kritisiert, dass bei zahlreichen dieser Behandlungen die Wirksamkeit zu wenig nachgewiesen ist. Ein Konflikt, den man in Großbritannien bereits mit klaren Konsequenzen regelt. Aus dem Land sind Fälle bekannt, wo einzelnen Patienten neue Therapien verweigert wurden – wegen zu geringer Erfolgsaussichten. Mit der Situation in Deutschland ist das zwar nicht zu vergleichen, doch ähnliche Debatten könnten auch hier entstehen. Professor Detlev Ganten von der Stiftung Charité:

    "Also zurzeit wird in Deutschland noch jeder so behandelt, wie es der Stand der Wissenschaft erlaubt. Was nicht heißt, dass in allen Krankenhäusern und in allen Arztpraxen immer alles gemacht wird. Manchmal, weil die Ärzte es nicht wollen, manchmal, weil es die Patienten nicht wollen. Zurzeit denke ich, wird noch alles bezahlt, aber es wird nicht so weitergehen, wir werden schon darüber nachdenken, wie wir Kosten auch reduzieren können."

    Die Frage nach den Kosten lässt sich hier also auch als eine Frage danach auslegen, was das Solidarsystem finanziell leisten - also verantworten – kann. Und wo es demzufolge möglicherweise Leistungsgrenzen gibt. Die sind bei zahlreichen Untersuchungen ja bereits Fakt: etwa bei HIV-Tests, wenn riskantes eigenes Verhalten zugrunde liegt. Und genau hier knüpft die Gegenfrage an: die nach der Verantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit - und den daraus möglicherweise abzuleitenden Leistungsrechten. Diskutiert wurde, ob es Leitungsgrenzen geben kann, wenn ein Mensch seine Gesundheit schuldhaft ruiniert – weil dem Solidarsystem damit Kosten entstehen. Detlef Ganten vertritt hier eine klare Position.

    "Also ich halte es für außerordentlich schwer, Grenzen zu ziehen, wann die Solidargemeinschaft eintritt für Krankheiten, die möglicherweise, teilweise zumindest, selbst verschuldet sind. Was heißt dann Selbstverschuldung: Ist es eine Selbstverschuldung des Patienten oder der Person, ist es die Umgebung, ist es die Gesellschaft, in die er hineingeboren wurde? Ich meine, dass wir so lange, wie wir es uns irgendwie leisten können, diese Solidargemeinschaft brauchen, um für den einzelnen Patienten, auch wenn er schuldhaft krank geworden ist, das gibt es ja auch, ihm zu helfen."

    Zumal bei vielen Erkrankungen auch nicht eindeutig zu klären ist, wie genau sie entstehen: Bestimmte Krebsarten etwa können veranlagt sein oder aber auch durch Umwelteinflüsse oder Lebensweisen hervorgerufen werden. Dass diese Trennung in Krankheitsgründe und die daraus abgeleitete Frage nach der eigenen Verantwortung für die Gesundheit nicht thematisiert wird, ist außerdem eine wesentliche Grundlage unseres Solidarsystems, hebt Klaus Tanner hervor.

    "Wir haben in Deutschland ein Sozialversicherungssystem, das im 19. Jahrhundert entstanden ist, aber bis heute gilt. Das lebt von dem Gedanken, dass die Solidargemeinschaft Risiken trägt und das Individuum eigenverantwortlich einen Beitrag leistet, aber dieser Beitrag nicht gebunden ist an ihn - sozusagen also Alten, Jungen oder individuellen Merkmalsträger mit Potenzialität zu einer bestimmten Erkrankung. Also wir haben den Versuch, den schwierigen Versuch, beidem Rechnung zu tragen: Du als Individuum bist wichtig, deswegen zahlst du einen individuellen Beitrag und zugleich eine Solidarverantwortung."

    Und diese Solidarverantwortung greift derzeit etwa auch, wenn sich Menschen bei Extremsportarten verletzen. Die Krankenkassen zahlen die Behandlungskosten auch in diesem Fall - doch Klaus Tanner glaubt: Die Diskussion, ob Menschen, die bestimmte Risikosportarten betreiben, einen zusätzlichen Versicherungsbeitrag zahlen sollen, wird kommen. Für Hans-Hilger Ropers, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, wäre so eine Entwicklung nicht wünschenswert. Denn eine Verantwortung des Einzelnen für die eigene Gesundheit gegenüber anderen – also etwa gegenüber den Krankenkassen oder dem Staat – sollte es nicht geben. Verantwortlich für die eigene Gesundheit ist jeder höchstens gegenüber sich selbst.

    "Ich denke, dass man die Freiheit haben muss und behalten muss, tatsächlich mit sich selbst so umzugehen, wie man denkt, es zu müssen. Ich denke auch nicht, dass man selbst eine Verpflichtung hat zur Gesunderhaltung von sich selber. Das muss wirklich jeder selber wissen. Der entscheidende Satz hier dabei ist, wir brauchen die Freiheit tatsächlich und der Staat kann uns nicht vorschreiben, wie wir leben sollen."

    Eine Informationspflicht des Staates über bestehende Diagnosemöglichkeiten, etwa bei Erbkrankheiten, sei aber durchaus wünschenswert, so Ropers. Doch auch hier gelte: Der Staat dürfe nicht die Möglichkeit bekommen, diese Diagnostiken zu erzwingen. Denn das Recht auf Nichtwissen sei wichtig, da waren sich alle Teilnehmer einig. Gerade in der Gendiagnostik habe dieses Prinzip eine besondere Bedeutung: Zahlreiche Erbkrankheiten lassen sich bereits lange vor ihrem Ausbruch diagnostizieren. Chorea Huntigton etwa, eine Erkrankung des Gehirns, die meist in der zweiten Lebenshälfte auftritt und die unter anderem zu schweren Bewegungsstörungen führt. Eine Heilung ist bisher nicht möglich – für die Betroffenen kann das Wissen um die erbliche Veranlagung daher durchaus belastend sein. Klaus Tanner:

    "Also das Recht auf Nichtwissen gehört mit zu dem Selbstverständnis, dass der Mensch selbstbestimmt entscheiden kann, was mit ihm in seiner körperlichen und geistigen Dimension ihn betreffen soll. Und von daher gehört das Recht auf Nichtwissen in das Grundverständnis mit von dem, was Autonomie und Selbstbestimmung heißt."

    Die Verantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit ist demnach eine höchst individuelle. Eingriffe oder gar Vorschriften sind also nicht wünschenswert. Aufklärung jedoch schon – auch darin stimmten die Wissenschaftler überein. Denn erst durch eine medizinische Grundbildung werde der Einzelne überhaupt dazu befähigt, Verantwortung für sich zu übernehmen. Detlev Ganten:

    "Also zumindest wollen wir ja jedem die Möglichkeit geben, so zu leben, wie er möchte. Und das bedeutet Grundkenntnisse über die Biologie, Grundkenntnisse über die Art, wie Menschen funktionieren, wie unsere Organe funktionieren. Welche Bedeutung Ernährung hat und welche Bedeutung bestimmte Verhaltensweisen haben: Bewegung, Sport, im Ernährungsbereich schadhafte Substanzen wie Nikotin und Alkohol, übermäßig Zucker, übermäßig Fett. Das sind Dinge, die müssen gewissermaßen in der Schule oder in der Familie so früh wie möglich kommuniziert werden, damit die Freiheit besteht, zu wissen, weshalb man wie damit umgeht."