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"Selbst inszeniert"

Die Selbstinszenierung des Künstlers im Bild läuft zwangsläufig auf Pop hinaus. Wenn diese These von Kurator Matthias Mühling stimmt, dann muss die Kunstgeschichte wohl zur Geschichte der Pop Art umgeschrieben werden. Die Tendenz dazu ist in den letzten Jahren jedenfalls häufiger in Ausstellungen zu beobachten, und sie wäre sicher ganz im Sinne eines Andy Warhol oder Jeff Koons, die bei dieser Hamburger Schau natürlich nicht fehlen durften.

    Zum Beweis hat man in Hamburg tief ins Archiv gegriffen und einige Rembrandt-Radierungen zutage gefördert, in denen sich der Altmeister in wechselnden Fantasie-Gewändern selbst abbildet. Für alle, die sich mit den berühmten Selbstportraits des Malers auszukennen glauben, ist dies zweifellos ein ungewöhnlicher Anblick. Rembrandt einmal nicht als Erzieher, sondern als Ironiker und geistiger Urahn beim Lob des Plunders neben Warhol und Cindy Sherman, Günter Brus und Jürgen Klauke, Urs Lüthi und Arnulf Rainer, das hat schon etwas.

    Für Kurator Matthias Mühling sind sie alle Teil einer karnevalesken Gegenkultur, die schon seit Antike und Mittelalter die Grenzen zwischen Herrschenden und Beherrschten, Kunst und Leben, "U" und "E" einzureißen versucht. Aber wie es oft so ist mit den Gegenkulturen: Bei zuviel Affirmation hat es sich denn auch bald damit. Auch das kann man in Hamburg bestens besichtigen. Die einstmals als Provokation gedachten künstlerischen Selbstverstümmelungen, Geschlechtertäusche, Grimassenbilder bis hin zur zugenähten Möse einer Kembra Pfahler, die noch 2001 auf einem Titel des "Penthouse" erschien, haben allenfalls noch einen ästhetischen Reiz. Im übrigen wirken sie nicht anders als etwas, das schon in der Werbung inzwischen wieder überholt ist.

    Aber es gibt noch eine andere Spur bei den Selbstinszenierungen, weniger schrill und weitaus mehr der experimentellen Selbsterforschung verpflichtet, tendenziell also eher nach "innen" als nach "außen" gerichtet. Darunter fallen natürlich die frühen Videos von Bruce Nauman Mitte der sechziger Jahre, die er in der Langeweile seines frühen Künstlerdaseins aufgenommen hat, als Absolvent der Kunstakademie, der nun in seinem leeren Atelier saß und sich nun "Künstler" nennen durfte, ohne zu wissen, was das überhaupt bedeuten solle.

    So entstanden existenzielle Selbsterkundungen, die ebenso tragisch wie komisch dauernde Wiederholungen sinnloser Tätigkeiten produzieren. In diese Kategorie fallen auch die grandiosen Videos von Hannah Wilke, die verschiedenste Gesten und Mimiken auf Video ausprobiert, oder von Eleanor Antin, die den Versuch unternimmt, sich anhand ihres eigenen Echtzeit-Videobildes zu schminken, was aufgrund der Gewohnheit, dabei normalerweise ins seitenverkehrte Spiegelbild zu blicken, immer wieder scheitert. Die wütende Geste der vermeintlichen Anti-Kultur zieht aber vor allem Tracey Emin mit ihrem Video "Why I never became a dancer" (Warum ich nie Tänzerin wurde) von 1995 ins Tragische. Vordergründig geht es dabei nur um eine Art Rollenspiel, bei dem die Künstlerin sich eine Pseudobiografie als gescheiterte Tänzerin zulegt, deren Geschichte sie erzählt.

    Aber zugleich handelt diese Geschichte auch vom massenhaft verbreiteten Wunsch, über "die Kunst" zum endlich ersehnten Ausdruck des Selbst zu kommen, ein Wunsch, der sich inzwischen in den Superstar-Formaten zu exhibitionieren gelernt hat. Gleichwohl gelingt es Emin, die Tragik zeitgenössischer Selbstdarstellungssehnsucht mit bestürzender Einfachheit zu entlarven, indem sie zunächst die Versuche ihres Alter Ego schildert, auf Tanzwettbewerben Bewunderung zu erlangen, statt dessen aber von Männern nur als Hure und Striptänzerin angesehen wird. Im zweiten Teil des Videos ist zu sehen, wie sie allein in einem leeren Zimmer nach Popmusik tanzt, lächelnd und unbeholfen wie ein gewöhnliches Disco-Girl, dessen private Träume, eine große Tänzerin zu sein, sich in diesem Moment als öffentliche Peinlichkeit enthüllen.

    Selbstinszenierung als mitunter geradezu verzweifeltes Bemühen, die eigenen Grenzen zu überschreiten - vielleicht ist das ja auch die wahre Konstante der Kunstgeschichte. Vielleicht war sie früher, zu Zeiten eines Rembrandts, weniger individualisiert und noch gedeckt durch einen kollektiven Wunsch nach Transzendenz. Heute dagegen zeigt sie sich bevorzugt von ihrer gewollt absurden Seite. Denn wer wollte noch ernsthaft behaupten, er wüßte, was dieses "Selbst" nun im Grunde ganz genau ist, auf dass man "sich selbst" einfach so inszenieren könnte?