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Selbst ist der Knorpel

Medizin. - Knorpel, der die Gelenkknochen schützt, verschleißt unter Belastung. Degeneriert er, dann führt das zur schmerzhaften Arthrose des Gelenks - und möglicherweise zur Prothese. Jetzt fanden Lübecker Forscher eine Alternative - in körpereigenen Stammzellen.

Von Detlev Karg |
    Ein Blick auf gängige Verfahren zeigt, worum es geht. Ist ein Knorpel verschlissen, entnimmt der Orthopäde in einer ersten Operation an anderer Stelle Knorpelgewebe. Dieses wird gereinigt und von kommerziellen Firmen aufbereitet. Ziel: viele Knorpelzellen, Chondrozyten, zu züchten. Sind die Knorpelzellen herangereift, ist eine zweite Operation fällig. Dabei wird dem Patienten Knochenhaut entnommen. Aus der Knochenhaut wird im Knie ein kleines Kissen um den Knorpeldefekt modelliert. Dort wird die Zellkultur eingespritzt. Schließlich wird das Ganze mit Fibrinkleber verschlossen. Fibrine sind Eiweiße, die wie Klebstoff wirken.

    In dem so genähten Kissen wächst - vielleicht - ein neues knorpelähnliches Gewebe heran. ACT heißt das Verfahren, und steht für autologe Chondrozytentransplantation. Zusätzlich kann man das Anwachsen durch tierisches Kollagen unterstützen, dass den Zellen als Gerüst dient. Kollagen ist das am häufigsten vorkommende Protein bei Menschen und Säugetieren. Die Chirurgen verwenden Kollagen, das aus Rinderhaut hergestellt und gereinigt wird. Es ähnelt einem Schwamm. Die Kosten allein für die Zucht der Knorpelzellen betragen zwischen 3500 und 7000 Euro.

    Forscher der Universitätsklinik Lübeck haben darum ein kostengünstigeres Verfahren entwickelt. Sie aktivieren die Selbstheilungskräfte des Körpers. Dort, wo der Knorpel verschlissen ist, werden in den freiliegende Knochen mit Hammer und Pickel feine Löcher hineingeschlagen. Mikrofrakturierung nennen das die Mediziner. Die Folge sind feinste Blutungen aus dem Knochenmark, das die so genannten mesenchymalen Stammzellen enthält. Auf den blutenden Knochen kommt der Kollagenschwamm, zurechtgeschnitten genau in der Größe des kaputten Knorpels. Dr. Peter Behrens von der Klinik für Orthopädie der Universität Lübeck hat das Verfahren entwickelt und erklärt den Ablauf:

    "Der Witz dieser Matrix ist jetzt, dass sie einen Deckel bildet, und Gewebe oder Zellen, die von unten herauswachsen, haften eben daran. Und man hat eine Art abgedeckten Bereich. Und in diesem Bereich bildet sich dann neues Gewebe aus. Man verwendet zusätzlich eine kleine Menge Eigenserum des Patienten, weil in diesem Serum des Patienten Wachstumsfaktor drin ist, der diese so genannten mesenchymalen Stammzellen, die im Knochen sind, dahin bringen kann, dass sie dann Knorpelzellen werden."

    Das neue Verfahren, das mittlerweile auch in Regensburg, Hannover, Freiburg und Potsdam eingesetzt wird, trägt den Namen AMIC. Das steht für die autologe matrixinduzierte Chondrogenese, also für die Neubildung von Knorpel durch eigene Zellen in dem Kollagengerüst. Peter Behrens:

    "Das ist das Faszinierende an dieser Methode: Wir aktivieren unsere eigenen Zellen. Wir haben ja Stammzellen in unserem Körper, überall, und es ist ja schon jahrelang bekannt, dass man Knochenmarkszellen bei Leukämiepatienten beispielsweise transplantiert. Und dies haben wir jetzt umgesetzt für die Knorpeldefekte."

    Angeregt durch das Eigenserum des Patienten nutzen die Stammzellen aus dem Knochenmark ihr Potential und nehmen in der Kollagenmatrix eine kugelförmige Gestalt an, bilden dadurch ein knorpelähnliches Gerüst. 150 Patienten wurden auf diese Weise bisher behandelt. Die so reparierte Stelle gleicht dann einer Asphaltdecke: Sie ist einige Jahre relativ fest, muss dann aber wieder ausgetauscht werden. Peter Behrens:

    "Man muss sagen, es ist schon knorpelartig. Ich denke, dass wir auf der ganzen Welt es nie schaffen werden, der Natur alles so exakt nachzubauen, wie wir es eigentlich drin haben. Unser eigener Knorpel ist immer noch der beste und das ist schon ein Ersatzgewebe, was uns aber eine Festigkeit bietet, so dass wir über die nächsten fünf Jahre beschwerdefrei sind. Und das ist eigentlich das Ziel, das man mit solchen Therapien haben sollte, dass man es schafft - meiner Meinung nach - für drei bis fünf Jahre beschwerdefrei zu sein. Und ich kann es auch wieder machen, ich kann es auch zwei, drei, viermal wiederholen und ich habe immer die Option: Wenn alles gar nicht mehr geht, natürlich bleibt am Ende immer noch die Implantation einer Prothese."

    Die Bilanz: Das AMIC-Verfahren bringt den Patienten ebenso Schmerzfreiheit wie bisherige Methoden. Das in Lübeck entwickelte Verfahren benötigt nur einen minimal invasiven Eingriff und die Kosten liegen bei nur rund 1000 Euro. Beim herkömmlichen Verfahren werden ja allein für das Nachzüchten der Zellen bis zu 7000 Euro fällig. Was aber vielleicht am wichtigsten ist, dem Patienten muss nicht auch noch zusätzlich gesunder Knorpel entnommen werden, um ihn teuer nachzuzüchten.