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Selbstbestimmt Lernen

Schon Heraklit machte vor über 2000 Jahren darauf aufmerksam, dass Schule nicht das Füllern von Fässern sein sollte, sondern das Entzünden von Fackeln. Am Samstag erhielten in Ulm die ersten Absolventen beim Lernkongress ein Diplom, dass ihnen bescheinigt, dass sie es in 18 Monaten zum Lerncoach gebracht haben: Sie sollen andere beim Lernen unterstützten.

Von Cajo Kutzbach |
    "Da war das schon sehr deutlich zu merken, dass man immer gegen die Schüler gearbeitet hat in einem hohen Maß. Und obwohl die Schüler nicht "dumm" im herkömmlichen Sinne waren, waren die Lernerfolge, die sie gebracht haben, ganz, ganz gering. Da war eben klar: Es lag nicht an mir, weil ich weiß, dass ich mich sehr, sehr angestrengt hab. Und ich weiß, es lag nicht an denen, weil dumm waren sie nicht. Also musste es an irgend etwas Anderem liegen und da habe ich mich auf die Suche gemacht."

    Die Frankfurter Lehrerin Kim Bucher hat einige Tausender in eine neue berufsbegleitenden Weiterbildung investiert, die sie vom Lehrer zum "Lerncoach", also Lernhelfer machte. Der Studiengang, der jetzt mit einem Kongress am "Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen" endete, wurde von dieser Einrichtung der Universität Ulm gemeinsam mit Schweizer Lernhäusern und dem Institut Beatenberg entwickelt und über die Firma "Impact Lernkultur" angeboten, denn es geht um einen Wandel der Lernkultur.

    Der Leiter des Transferzentrums, Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer, ist zugleich Direktor der Psychiatrischen Uniklinik in Ulm und kann mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung zeigen, wie sich Lernen ändern muss.

    Wenn wir auf eine heiße Herdplatte fassen, lernen wir sofort, dass das nicht gut ist, aber im Gehirn ist dabei der Mandelkern beteiligt, eine Region, die mit Angst zu tun hat. Darum löst jede heiße Herdplatte in Zukunft Angst aus. Deshalb taugt derartiges Lernen nur zum Überleben, nicht aber zum Entwickeln neuer Ideen:

    "Angst und Kreativität schließen sich aus. Wenn man also heute mit Angst lehrt, dann sorgt man dafür, dass das Gelernte, selbst wenn es hängen bleibt, zum kreativen Problemlösen nichts taugt. Jeder kennt wahrscheinlich jemanden, oder ist selbst betroffen: Wenn der 'ne Formel sieht, verfällt der in so 'ne intellektuelle Totenstarre: Oh, Mathematik konnt' ich noch nie und fertig war‘s das, ja?"

    Eine Lernkultur, die auf Angst aufbaut, macht so aus kleinen wissbegierigen Kindern in kurzer Zeit Schüler, die sich fragen, wie man die Schule heil übersteht. Das lässt sich vermeiden, wenn Lernen das Hirn genauso nutzt, wie bei kleinen Kindern. Manfred Spitzer:

    "Dieses System hat also ganz viel mit positiven Emotionen zu tun - es macht nämlich positive Emotionen - und mit Lernen. Und wir wissen das erst seit wenigen Jahren, wie eng verknüpft in einer Struktur, die heißt Nucleus Acumbens, die liegt mitten in unserem Kopf, und in dieser Struktur ist, wenn man so will, Glück und Lernen ganz eng miteinander verknüpft."

    Damit Lernen gelingt muss nicht eine Klasse, sondern jeder einzelen Schüler wahrgenommen und geschätzt werden. Das braucht, genau wie Kreativität eine gewisse Muße. Vollgestopfte Lehrpläne dagegen verhindern Erfolg. Jeder Schüler muss sein Lerntempo wählen können, damit er selbstbestimmt lernen kann. Das geht nicht mit Frontalunterricht. Kim Bucher machte deshalb mit ihrer Hauptschulklasse eine Art Rosskur:

    "Das hat ne Weile gedauert; das war'n ein paar Wochen harte Kämpfe. Ich hatte gesagt: "Ihr habt hier Lernmöglichkeiten und entscheidet." Und dann saßen die vier Wochen auf der Couch und haben da gesessen und mich bei jeder Gelegenheit nett angelächelt. Ich hab zurück gelächelt.
    Der härteste Kandidat hat es fast sechs Wochen ausgehalten, sechs Wochen kein Stück getan. Und nach sechs Wochen kam er an und hat gesagt: "Ich möcht' meinen Abschluss schaffen, was muss ich jetzt machen?" Und von dem Moment an hat ich ihn und von da an ging's aufwärts."

    Schülern und Lehrern fällt schwer die gewohnten Rollen zu wechseln. Studiendirektor Dr. Hans-Albert Lotze bildet am Studienseminar für berufliche Schulen in Kassel selbst Fachlehrer weiter. Er hat den Studiengang zum Lerncoach ebenfalls absolviert und schildert, wo ein Kernproblem liegt:

    "Schwierig ist in vielen Fällen - das ist so unsere Erfahrung - dass die Lehrkräfte immer noch Probleme haben ihr Rollenverständnis zu ändern, das heißt nicht mehr die Wissenden zu sein, sondern die Fragenden, nicht mehr die Lehrenden zu sein, sondern die Coaches für die Entwicklung der Schüler."

    Natürlich müssten sich auch Schulräume und Lernmaterial ändern, aber das Entscheidende ist der Mensch. Der Lernkongress fordert eine neue Lernkultur, die die kindliche Neugier in der Schule mehr als bisher nutzt. Dann kann Schule sehr viel mehr leisten, weil erfolgreiches Lernen Freude macht.