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Selbsterfahrung als Initiationsritus

Initiationsriten sollen beispielsweise den Übergang von der Jugend zum Erwachsenendasein erleichtern. In den meisten Naturvölkern gibt es diese Rituale, nur bei uns fehlen Mechanismen, die den Wechsel von einem in den nächsten Lebensabschnitt begleiten. Ein Selbsterfahrungskurs im Böhmer Wald soll nun diese Lücke füllen.

Von Katinka Schmitt |
    "Übergang vom Studium zum Beruf - uns fehlen die Initiationsriten!"

    Studierende, die gerade ihr Studium erfolgreich abgeschlossen haben, fallen häufig erst einmal in ein schwarzes Loch, obwohl ihnen nun endlich alle Türen offen stehen - eine ganz normale Reaktion, erklärt der Münchner Therapeut Stefan Wolff:

    "Ein Übergang ist immer dadurch gekennzeichnet, dass ich nicht weiß, wo das hinführt. Ich muss mich auf den Weg machen und ich hab keine Ahnung, wo es hinführt und das haut mich in die tiefsten Krisen."

    Um diese Krisen aufzufangen, gibt es in anderen Kulturen Rituale - behutsamere und radikalere - durch die der Übergang von einem in den nächsten Lebensabschnitt begleitet und vollzogen wird. In Anlehnung an diese Rituale bietet Stefan Wolff Visionssuche-Seminare an. Dabei werden Menschen, die in ihrem Leben eine Hürde überwinden wollen, drei Tage und Nächte allein und ohne Nahrung, aber mit genügend Wasser, einer Plastikplane und ihrem persönlichen Zielsatz ausgerüstet, in die Wildnis geschickt.

    An einem solchen Seminar hat auch die Sozialpädagogik-Studentin Raphaela Schäufele teilgenommen:

    "Ich hatte totale Angst da diese drei Tage raus zu gehen. Tage davor habe ich gesagt: Ich kann das nicht, ohne essen und einfach so raus und alles."

    Aber dann wagte sie es doch. Nach vier Tagen in der Gruppe und unter der Obhut des Therapeuten - bis zu diesem Zeitpunkt hatten alle Teilnehmer die Nächte gemeinsam in einem Indianerzelt verbracht - setzte sie sich der Einsamkeit, dem Wetter und der Stille des Böhmer Waldes aus.

    Danach kehrte sie aus der Isolation zur Gruppe zurück, die hier für die Gesellschaft steht, und wurde wieder in die Gemeinschaft aufgenommen. Stefan Wolff , der die Gruppe geleitet hat, erklärt, worauf es bei einem solchen Ritual ankommt:

    "Es gibt so ein chinesisches Zeichen, das zwei Worte gleichzeitig bedeutet, das heißt: Krise und Chance. Und das beschreibt ganz gut, worum es da geht: Immer dann, wenn Veränderungen anstehen, wenn Übergänge im Leben anstehen, dann ist auf der einen Seite eine Chance für Wachsen und für Reifen da und auf der anderen Seite die Gefahr der Krise und des Scheiterns. Und die Initiation bietet die Gelegenheit und die Chance, diesen Reifungsschritt zu vollziehen, ohne die Gefahr des Scheiterns."

    Auch der Historiker und Ethnologe Dr. Stefan Eisenhofer befasst sich mit Initiationsriten bei verschiedenen Naturvölkern. Er leitet die Afrika-Abteilung des Museums für Völkerkunde in München und hat festgestellt, dass es bei den meisten Übergangsritualen eine wesentliche Übereinstimmung gibt:

    "Sehr oft wird das sozusagen mit einem rituellen Tod in Verbindung gebracht. Sozusagen man stirbt als Kind oder man stirbt als das Wesen, was man bis dahin gewesen ist und steht wieder auf als neuer Mensch, als neuer Erwachsener."

    Rituale dieser Art gibt es in unserer Gesellschaft kaum mehr. Die bestandene Führerscheinprüfung wird zwar häufig als moderne Initiation verstanden, hat aber keine vergleichbare Wirkung. Deshalb würde es der Historiker und Ethnologe begrüßen, ursprüngliche Initiationsrituale auch in unsere Kultur wieder stärker einzubinden.

    "Also, ich finde das an sich einen sehr interessanten Gedanken, weil ich glaube schon, dass unsere Gesellschaft daran krankt, dass man so ins Erwachsenenleben rüberflutscht und vielleicht dadurch nie richtig erwachsen wird. Ich glaube schon, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft tatsächlich nie irgendwie erwachsen werden."

    Die 22-jährige Bachelor-Studentin Raphaela jedenfalls fühlt sich durch ihr Erlebnis im Böhmer Wald nachhaltig gestärkt. Sie begann kurz nach der Visionssuche ein Praktikum im Bereich Event-Pädagogik in Regensburg und möchte sich außerdem zur Yoga-Lehrerin ausbilden lassen.

    "Was ich auf jeden Fall gemerkt habe und auch gelernt habe in der Visionssuche, weil Du musst zum Beispiel die letzte Nacht auch durchwachen - oder sollst, müssen tut man da gar nichts - das heißt, man sitzt von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang sitzt man da, wach, und das ist eine total krasse Erfahrung und als ich das dann auch noch geschafft habe ... Ich war da so stolz auf mich und dann habe ich gemerkt: Ich kann alles schaffen, wenn ich es will."

    Sich allen Herausforderungen des Lebens gewachsen fühlen - wenn das gelingt, ist ein großer Schritt getan.