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Selbstfindungstrip nach Neapel

Zwischen Roman und Gebrauchsanweisung - Liebeskummer treibt Redakteurin Valeria von Hamburg nach Neapel. Auch dort ist es alles andere als leicht. Die süditalienische Metropole ist eine schwierige Stadt, mit komplexen gesellschaftlichen Spielregeln.

Von Claudia Cosmo | 26.07.2010
    Müll und Männer, zwei Faktoren, die zur existentiellen Bedrohung des bisher so geschmeidig- durchschnittlichen Lebens der Valeria F. werden.

    Die Protagonistin Valeria ist von ihrem langjährigen Freund verlassen worden. Daraufhin beschließt die Redakteurin eines Lifestyle Magazins, sich beurlauben zu lassen, Hamburg den Rücken zu kehren und zu ihren Verwandten nach Neapel zu ziehen. Dort kommt die mit Liebeskummer gebeutelte Valeria ausgerechnet am Valentinstag an.

    Neapel präsentiert sich von seiner hässlichen Seite: Es stapeln sich die Müllberge in den Straßen und Gassen und bedrohen die Tourismusbranche, von der auch Valerias Familie lebt. Ihre Tante und ihr Onkel führen auf einer Insel im Golf von Neapel seit vielen Jahren ein Hotel. Doch Urlauber meiden die gesamte Region, da sich die Nachricht vom Müllskandal immer weiter ausgebreitet hat. Die Mülldeponien sind voll, da das Entsorgungssystem funktioniert nicht mehr und wirkt sich auch auf den Familienbetrieb von Valerias Verwandten aus.

    Maria Carmen Moreses "Amore, amore!" ist ein heiter und erfrischend geschriebenes Buch, das zwischen der Form eines Romans und dem einer Gebrauchsanweisung hin und her pendelt.

    Da ist zunächst die Protagonistin Valeria, die ihre eigene Geschichte über Herkunft, Liebesmüh und Identitätssuche erzählt. Auf der anderen Seite ist Maria Carmen Morese, die ihre Autorenstimme öfter unter die ihrer Erzählerin legt, um den Leser in die neapolitanische Mentalität einzuführen. Denn die süditalienische Metropole ist eine schwierige Stadt, mit komplexen gesellschaftlichen Spielregeln, um die Moreses Hauptfigur Valeria weiß.

    Manchmal weiß Valeria aber auch zuviel und doziert gerne über die Lebensweise der Neapolitaner. Auf der anderen Seite passt diese Haltung aber auch zum Charakter der Hauptfigur, da sich Valeria ihre Welt zurechtgelegt hat, sich hinter ihren vielen Erklärungen gerne versteckt und sich dadurch von anderen distanziert.

    Lieber hört man Valerias neapolitanischer Tante zu, die jeden Morgen mit der Frage aufwacht: "E morto?- ist er tot?" und damit den Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi meint.

    Oder man schaut dabei zu, wie schwer es Valeria fällt, sich den dortigen Gepflogenheiten kommentarlos anzupassen. Es fällt ihr schwer, aus umweltschädlichen Plastikbechern zu trinken, sich permanent duzen zu lassen und sich zuckersüße Standard-Schmeicheleien von älteren Herren anhören zu müssen. Dazu empfindet sich Valeria selbst als viel zu deutsch, zu emanzipiert und zu rational. Gleichzeitig brodelt in Valeria ein leidenschaftliches Temperament, da ihre familiären Wurzeln auch am Vesuv liegen.

    So ist Moreses Heldin in ihrer literarischen Substanz tragikomisch angelegt und zwischen der deutschen und italienischen Sicht auf die Dinge hin und her gerissen. Valeria fühlt sich ein wenig außen vor, obwohl sie gleichzeitig doch so viel mit ihrer italienischen Heimat verbindet.

    Maria Carmen Morese veranschaulicht diesen Konflikt ihrer Hauptfigur, indem sie Valeria beispielsweise in lange Diskussionen mit ihrem neapolitanischen Onkel verwickelt, der sie gegen ihren Willen andauernd beschützen möchte. Obwohl Valeria in Deutschland als erfahrene Journalistin erfolgreich ist und sogar von ihrem altmodischen und etwas machohaften Onkel Gianni als über 30-jährige als reife Frau akzeptiert wird, beginnt sie in Neapel fast von vorn; als Dauer- Hospitantin bei einer Tageszeitung.

    Auch dort hat sie zunächst Not, sich einzufinden. Valeria ist von der notorischen Unpünktlichkeit ihrer Kollegen, von zwielichtigen Verehrern mit Camorracharme, dem bigotten Lebensstil ihrer Mitmenschen genervt. Die leben vorzugsweise mit einer gehörigen Portion Ignoranz, auf Italienisch "Menefreghismo" genannt. So lautet eine Maxime von Valerias pragmatischer Arbeitskollegin Elisabetta: "Es gibt in diesem Land Dinge, über die man besser nicht nachdenkt, wenn man hier weiter leben will."

    Valeria versucht sich daraufhin in Leichtigkeit und hat sogar ein Techtelmechtel mit einem verheirateten Anwalt. Sie nimmt es auch hin, fortan mit Sasà angeredet zu werden. Sasà ist eine Koseform des italienischen namens Rosaria. Jede neapolitanische Frau hat zwei Namen zu tragen. Ihren eigenen und den ihrer Großmutter, worauf Valerias Eltern aber nie Wert gelegt hatten; zur Empörung der neapolitanischen Verwandtschaft.

    Doch Valerias neues Leben in Italien birgt nicht nur Anstrengung. Zusammen mit ihrer Familie bereist sie stimmungsvolle Orte und sucht die Räume ihrer Kindheit auf, die in Form von Haushaltsauflösungen aber plötzlich verschwinden. So heiter die Geschichte doch angelegt ist, an solchen Stellen wird der Erzählton nachdenklich und bekommt eine melancholische Note.

    Nichts ist von Ewigkeit und nichts ist so, wie man glaubt, dass es ist! Diese Erkenntnis hält Valeria in einem Notizbuch fest oder schreibt Artikel für ihre Hamburger Zeitschriftenredaktion. Nach einem langen Sommer, der für die Hauptfigur auch eine Art Selbstfindungstrip war, verlässt Valeria Italien in den ersten Herbsttagen und kehrt nach Deutschland zurück. Im Gepäck eine warme Doppelbettdecke und vielleicht die Hoffung auf eine neue Liebe.

    Maria Carmen Morese hat mit "Amore, amore!" einen kurzweiligen, intelligenten Roman geschrieben; eine ideale Ferienlektüre für Italienliebhaber.

    Maria Carmen Morese: Amore, amore! Liebe auf Italienisch, Ullstein Verlag, 2010, 332 Seiten, 8, 95 Euro.