Selbstgeißelung statt Samba

Im Wettbewerb um einen fröhlichen, unbelasteten Patriotismus liegen deutsche Fußballfans international eher am Tabellenende. Im Stadion haben viele Hemmungen, die Nationalhymne mitzusingen. 1954 stimmten deutsche Zuschauer beim WM-Titelgewinn in Bern die erste Strophe des Deutschlandliedes an, das schreckte ab.

Von Friedbert Meurer |
    "Du bist Deutschland! Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern. Er lässt Deinen Lieblingsstürmer schneller laufen. Und Schumi schneller fahren."

    Eine Medienkampagne von deutschen Verlagen sorgt im letzten Herbst für Furore. Brauchen die Deutschen eine Imagekampagne, um zu wissen, wer sie sind? Der Satz

    "Du bist Deutschland!"

    wäre früher vom Deutschlehrer rot angestrichen worden, mit dem Vermerk am Heftrand: Du bist nicht Deutschland, Du bist Deutscher! Den Erfindern der Kampagne erschien das wohl als - zu deutsch?

    "Deutschland! Deutschland! Deutschland!"

    Fans vor dem Länderspiel Deutschland gegen die USA in Dortmund. Sie singen und grölen von Deutschland. Aber später im Stadion haben viele dann doch Hemmungen, aus voller Kehle und Überzeugung die deutsche Nationalhymne anzustimmen:

    "Ich finde das ziemlich affig, wenn immer alle aufstehen und Hand auf die Brust. Ich nehme das nicht so bierernst, Lied ist Lied, aber das ist ja kein Gesangsverein, sondern ein Fußballverein. Von daher ist mir das egal. Hauptsache, sie spielen gut Fußball."

    "Ich würde bei der Nationalhymne auch nicht aufstehen, ich würde sie auch nicht mitsingen. Ich glaube, ich kann die noch nicht mal. Ich hab es zumindest noch nie ausprobiert. Mir ist es nicht so wichtig, deutsch zu sein."

    "Ich finde es schade, dass so eine gewisse Beklemmtheit herrscht, wenn man es gegenüber anderen Nationalmannschaften und Nationen sieht. Schade, dass sich die Leute teilweise schämen, die Nationalhymne zu singen."
    "Deutschland, Deutschland. über alles, über alles in der Welt!"

    1954 singen deutsche Zuschauer in Bern die erste Strophe des Deutschlandlieds, das schreckt ab. Der DFB engagiert 50 Jahre später Popstar Sarah Connor, um die dritte Strophe jugendgerecht und eingängig zu machen. Ein Versuch, der kläglich - im Lichte dieses Glückes verbrüht.

    "Brüh im Lichte dieses Glückes..."

    Abseits des Fußballfelds und der Tribünenränge stürmen derweil auch die Autoren des deutschen Feuilletons auf das Tor des deutschen Patriotismus zu - oder bauen eine Strafstoßmauer davor. Als erlaubt gilt jetzt der Patriotismus in seiner aufgeklärten Form. Immer eingedenk der Warnung Heinrich Heines:

    "Der Patriotismus der Deutschen besteht darin, dass sein Herz enger wird, dass es sich zusammenzieht wie Leder in der Kälte, dass er das Fremdländische hasst, dass er nicht mehr Weltbürger, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Deutscher sein will."

    Zwei Weltkriege geben Heinrich Heine nachträglich mehr als Recht. Aber heute?

    Der Historiker Hans-Ulrich Wehler ist sich sicher: Der Vulkan des Nationalismus ist in Deutschland erloschen. "Spiegel-"Kulturchef Matthias Matussek erhält in den Feuilletons überwiegend zustimmende Kritiken für seine Erkenntnis, die er in den Jahren als Auslandskorrespondent gewonnen haben will:

    "Wir haben in Deutschland die Tradition der Selbstgeißelung zur Perfektion getrieben. Wir haben wahrscheinlich auch allen Grund dazu gehabt. Ich habe in meinen Auslandsaufenthalten feststellen können, wie notwendig und wie gerne die anderen Länder zur Selbstfeier schreiten. Diese Form von kultureller Affirmation und Bestätigung ist, glaube ich, für eine Nation so wichtig wie für ein Kind."

    Das Kind im Manne soll leben, deutsche Fußballfans wollen ihre Nationalelf feiern wie andere auch. Der Marsch der Fans zum Stadion ist kein Aufmarsch, sondern gerät zum Schaulaufen: Wer sieht am originellsten aus, wer hat den witzigsten Spruch auf Lager?

    "Schland! Schland! Schland! Schland! Im Stadion hört sich es halt nicht nach Deutschland an, sondern nach Schland. Den Witz machen wir natürlich gerne mit. Schland! Schland! Schland! Schland!"

    Aggressiver Nationalismus hört sich anders an. Selbst wenn er mit Pickelhaube auf dem Kopf erscheint.

    "Die Zeiten der tollen Flauschmützen und der Baseballkappen und der komischen Filzhüte und Malermützen muss endlich mal vorbei sein. Der deutsche Fan braucht endlich mal wieder einen Fanartikel, mit dem er sich identifizieren kann. Darum geht das."

    Deutsche Symbole verlieren im Fanpulk ihren schweren Ernst, werden verulkt und ironisiert. Die Zeit von 1933 bis 1945 wird allerdings übersprungen, einen Wehrmachtshelm tragen die Fans nicht. Dabei gibt es auch ihn als Fanartikel - in leuchtendem Orange. Getragen wird er aber nur von holländischen Fußballanhängern. 20.000 oranjefarbene Wehrmachtshelme sollen vor der WM bei unserem Nachbarn in Umlauf sein.

    "Und da ist Jürgen Sparwasser, spielt Sepp Maier aus, und Tor und Tor, und er schießt das 1:0 für die DDR!"

    Für Jahrzehnte fehlte dem deutschen Patriotismus immer irgendwie eine Hälfte. Das ist heute passé - oder doch nicht ganz? Einige Fans ziehen mit DDR-Fahne zum Länderspiel, 16 Jahre nach der Einheit.

    "Auferstanden aus Ruinen. Das ist natürlich die DDR-Flagge. Mit dem - was war das? - mit dem Zirkel und dem Meißel, glaube ich, und dem Hammer, genau! Natürlich, der Osten bestimmt. Wir haben zum Beispiel den Ballack und der macht die Tore für Deutschland, oder?"

    Im internationalen Wettbewerb um einen lockeren, fröhlichen Patriotismus liegen deutsche Fans eher noch am Tabellenende. Als Vorbilder gelten andere – in Brasilien zum Beispiel, wo die Fans ihr Land und ihre Nationalmannschaft mit Samba-Klängen feiern. Brasilianischer Patriotismus hört sich begeisternd und freundlich an, aber nur für den, der nicht portugiesisch kann. In Wahrheit stoßen brasilianische Fans wüste Beschimpfungen aus, vor allem gegen den Erzfeind Argentinien. Der Soziologe Martin Curi Spörl erforscht die Fan-Seele an der Copacabana.

    "Meine Frau ist Brasilianerin. Sie interessiert sich nicht für den Ligabetrieb. Aber wenn Brasilien gegen Argentinien spielt, dann geht eine Verwandlung in ihr vor. Dann ist sie nicht mehr zu erkennen."