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Selbstgespräche mit Ludwig

Seit der jüdisch-serbische Schriftsteller David Albahari Jugoslawien den Rücken kehrte und ins kanadische Exil ging, brauchte es einige Zeit, bis das hiesige Feuilleton den Erzähler entdeckte: Nach dem Roman "Die Ohrfeige" über den Antisemitismus in Jugoslawien widmet sich "Ludwig" einer paradoxen Selbstverständigung des exilierten Schriftstellers.

Von Dorothea Dieckmann | 19.11.2009
    Manchmal ist es amüsant, die Verrenkungen des Marketings zu beobachten, wenn es darum geht, eigenständige Literatur publikumsgerecht anzupreisen. Zur Empfehlung des wohl einzigen ernst zu nehmenden zeitgenössischen Autors in seinem Megaprogramm spricht der Eichborn Verlag von den "Leiden des modernen Menschen". Der Roman "Ludwig", heißt es, handele von "Nähe und Dominanz, Gemeinsamkeit und Einsamkeit, Vertrauen und Verrat, Liebe und Untreue". Wer folglich ein Potpourri aus Politkrimi und Beziehungsdrama erwartet, sieht sich in die Irre geführt. Es ist eine ganz andere Irre, in die sich die Leser dieses Autors begeben. Denn David Albaharis Erzählen handelt immer auch vom Zweifel an der Erzählbarkeit des sogenannten wirklichen Lebens.

    Nie habe ich aus meinem Herzen eine Mördergrube gemacht. (...) Wenn ich etwas zu sagen habe, tue ich es; wenn nicht, schweige ich. Irgendwo fand ich den weisen Satz aus dem Talmud "Lehre deine Zunge zu sagen: Ich weiß nicht". (...) Hinter meinem "Ich weiß nicht" steht kein Punkt, sondern immer ein Fragezeichen, mit jenem aufsteigenden Akzent, der alles, auch sich selbst, infrage stellt.

    Diese Sätze, die auf den ersten Seiten der absatzlos fortlaufenden Selbstaussage eines namenlosen Ich-Erzählers fallen, markieren den Kern von Albaharis Bekenntnis zu einem nichtlinearen Schreiben. Da ist zum einen die dialogisch sich fortpflanzende, sich selbst kommentierende und widersprechende Form des Talmudes, zum anderen die Sprachphilosophie des Logikers Ludwig Wittgenstein, für den es kein Jenseits der Sprache gab, mit seinem berühmten Postulat: "Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen." Tatsächlich spielt der titelgebende Name auf den jüdischen Philosophen an - doch in erster Linie ist Ludwig ein persönlicher Kontrahent des Erzählers, Stachel in seinem Fleisch und alleiniger Gegenstand seiner Klage:

    Aber so ist es eben mit Ludwig: kann er einem nichts mehr wegnehmen, nimmt er einem auch noch dieses Nichts weg, so einfach ist das. Schon wieder kommt mir der Gedanke, dass jemand (...) meinen könnte, ich hätte etwas gegen Ludwig, obwohl es sich ganz anders verhält, und ich nie zu jenen gehörte, die ihm etwas vorgeworfen haben. Nicht ich bestand darauf, dass Ludwig alles Lob verdiente, das tat er selbst, indem er betonte, dass unsere Literatur, unsere Kunst, sozusagen unser gesamtes Geistesleben ohne ihn nie zu dem geworden wären, was sie sind. (...) Ludwig mag jedoch erzählen, was er will, das Problem liegt vielmehr darin, dass ich schon lange auf diesem Wege war (...), er wusste genau, dass er mich wie eine Dampfwalze in voller Fahrt zerquetscht, aus mir einen klebrigen Fleck auf ebendiesem Weg gemacht hatte.

    Den Erzählanlass dieser paradoxen, sich stets selbst ins Wort fallenden Rede bildet also eine klassische Situation - die Konkurrenz zweier Schriftsteller. Ludwig nämlich hat, trotz seiner Vorliebe für provinzielle Alltagsfolklore und plattes politisches Engagement, die ihm bis ins Detail treuherzig anvertrauten Ideen des Ich-Erzählers zu einem postmodernen, labyrinthischen Antiroman heimlich umgesetzt. Das Plagiat des ungeschriebenen Buchs wird als Vollendung des europäischen Romans gefeiert, Ludwig zum Belgrader Kultautor - auch und gerade dann, als sich Europa gegen Serbien wendet und Ludwig fortan von den Nationalisten gefeiert wird. Mit Belgrad verhält es sich ebenso wie mit der Figur Ludwig. Der Erzähler wiederholt sich, nicht ohne seine grenzenlose Liebe zu ihr zu betonen, in immer drastischeren Tiraden gegen seine Heimatstadt:

    Belgrad lebt in der Illusion seiner Größe, in einer Blase, die jeden Augenblick platzen kann, was katastrophale Folgen für seine Einwohner hätte, die dann plötzlich mit dem tatsächlichen Bild der Welt und ihrer selbst konfrontiert wären. Bildlich gesprochen würden die Spiegel jedes Mal zerspringen, wenn jemand sich darin ansähe. Fast immer, wenn Ludwig und ich uns früher im Spiegel betrachteten, beschlug dieser, und man konnte nichts mehr erkennen.

    Nichts charakterisiert das Vexierspiel dieses Romans besser als eben das Motiv des Spiegels, in dem man sich selbst als einem anderen gegenübertritt. Albahari hat mit Ludwig den innig verbrüderten Todfeind entworfen, der er selbst wäre, wenn er in seiner geliebten Heimatstadt geblieben und ein anerkannter serbischer Nationalautor geworden wäre. In seiner kreisenden, dabei auf Thomas-Bernhardsche Weise urkomischen Erzählweise gestaltet er diese teuflische Alternative in allen denkbaren Variationen. Der Ich-Erzähler ist Ludwigs hündischer Sklave und zugleich sein souveräner Einflüsterer, er ist - im selbstverständlich geifernd homophoben Belgrad - sein schwuler Partner und ist es nicht, Ludwig vergreift sich an seiner Frau, doch auch das ist nicht bewiesen - kurz, er ist des Erzählers Alter Ego, die romanhafte Verkörperung von Rimbauds berühmter Aussage "Ich ist ein anderer". Ja, Albahari wäre nicht Albahari, wenn er nicht zugleich von dem unversöhnlichen Gegensatz zwischen dem schreibenden und dem erzählten Ich, kurz: von seinem eigenen Roman sprechen würde:

    (...) doch das ist eine andere Geschichte, die hebe ich mir für ein anderes Mal auf, aber vielleicht auch nicht, vielleicht vernichte ich sie gleich, so wie ich alles, was mit Ludwig zu tun hat, vernichten und damit auch den leisesten Gedanken daran ausradieren sollte, dass es ihn je gegeben hat. Allerdings frage ich mich manchmal, was wäre, wenn er dasselbe dächte und täte (...), damit ich verschwinde, damit ich im kollektiven Vergessen verloren gehe, einfach nicht mehr existiere, nicht einmal als Fußnote in einem seiner Texte weiterlebe.

    David Albahari: Ludwig
    Aus dem Serbischen von Klaus und Marjana Wittmann
    Eichborn Verlag 2009, 153 Seiten