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Selbstinszenierung bei Olympia
Im Wolkenkuckucksheim

Sportler, die bei Olympischen Spielen sich selbst inszenieren, werden gerne mit massiver Kritik überzogen. Eine Reaktion, die völlig verdrängt, welche Maßstäbe von der Funktionärsriege gesetzt werden, kommentiert Jürgen Kalwa.

Von Jürgen Kalwa | 21.08.2016
    Diskuswerfer Christoph Harting in Rio bei der Verleihung der Goldmedaille.
    Diskuswerfer Christoph Harting in Rio bei der Verleihung der Goldmedaille. (picture alliance / dpa/ Bernd Thissen)
    Es gab da den einen, der gewann Gold, aber fand das so witzig, dass er bei der Siegerehrung erheblich aus der Rolle fiel. Es gab zwei andere, die die Veranstaltung ebenfalls zum Lachen fanden. Auch wenn sie mit Platz 81 und 82 rein gar nichts gewonnen hatten. Und dann gab es noch jene vier, die gleich eine ganze Geschichte erfanden, eine richtige Räuberpistole, wirklich nicht amüsant, aber vermutlich von demselben Impuls beseelt: Man inszeniert sich als Sportler inzwischen gerne.
    Nur geht so etwas manchmal schief. Besonders im Rahmen von Großereignissen wie den Olympischen Spielen, wo ein riesiges Publikum weltweit voller Erwartungen zuschaut. Das gewiss nicht nur Leistungen sehen will, aber ansonsten am liebsten vorgestanztes Verhalten, das den Klischees vom hart arbeitenden, sich quälenden, ehrenwerten Athleten entspricht.
    Um keine Missverständnisse zu produzieren. Natürlich darf man sich über Diskus-Olympiasieger Christoph Harting und die Hahner-Zwillinge und erst recht über die amerikanischen Schwimmer, allen voran Ryan Lochte, aufregen. Darf es schlimm finden, wenn Top-Athleten aus der Rolle ausbrechen, die ihnen die Medien und die Zuschauer zuweisen wollen. Im Olympischen Eid sind schließlich gewisse Ansprüche vorgegeben: die Ehre des Vaterlands zum Beispiel und der Ruhm des Sports.
    Keine "ritterliche Gesinnung"
    Aber irgendetwas an der Reaktion auf solche Ausreißer wirkt eher künstlich und allzu grell. Gemessen an dem dünnen Echo auf die Verhaftung eines IOC-Vizepräsidenten aus Irland etwa, der bis dato immer Erster Klasse flog, pro Tag in offizieller Mission knapp 1000 Dollar zugesteckt und offensichtlich trotzdem den Hals - und die Taschen – nicht voll bekam.
    Wo entzündete sich ähnlich intensive Empörung angesichts einer der frivolsten Aussagen dieser Olympischen Spiele überhaupt: "Wir sind nicht verantwortlich für die Gefahren, denen Frau Stepanowa ausgesetzt sein mag." So formulierte es Thomas Bach, ein Mann nach dem Geschmack von Wladimir Putin, der gerne darüber hinwegsieht, dass es im Sumpf des staatlich geförderten russischen Dopings Todesfälle gegeben hat. Und den am Olympischen Eid nur das interessiert, was ihm selbst und seiner Machtposition nützt. Die darin beschworene "ritterliche Gesinnung" – die offensichtlich nicht.
    Voller Fokus auf sich selbst
    Denn eigentlich dürfte es angesichts der Qualitäten der Funktionärsriege, auf deren Kappe das massive Dopingproblem geht, wirklich niemanden wundern, dass auch die Sportler nur noch sich selbst sehen. Nur noch sich selbst feiern wollen. Und dass sie den ganzen Pomp und das extrem teure Drumherum, mit seiner Hinterlassenschaft aus Sportruinen und enormen Kosten für überforderte Städte nicht mehr ernst nehmen. Es dient auch ihnen nur noch als Kulisse für den eigenen Spaß. Genauso wie den Betreibern des IOC, die gar nicht mehr wissen, was Bodenhaftung ist. Und die in einem Wolkenkucksheim namens "Olympismus" wohnen, ja so heißt das wirklich, in dem angeblich noch solche Dinge existieren wie " Freude an Leistung", der erzieherische "Wert des guten Beispiels" sowie die "Achtung universell gültiger fundamentaler ethischer Prinzipien".
    Die meisten Athleten haben verstanden, dass dies längst nicht mehr stimmt. Und sie tanzen – je nach Typ und Begabung – mehr und mehr aus der Reihe. Es wäre klug, sich auch daran zu gewöhnen. Oder gleich ganz abzuschalten. Jedes Gerät hat dafür den entsprechenden Knopf.