Archiv


Selbstmord für den Mörder

Medizin. - Verschiedene Medikamente sind heute in der Lage, den Aids-Erreger im Körper nieder zu halten. Aber weder schützen sie vor einer Ansteckung, noch heilen sie die Patienten. Ein neuer Ansatz rückt dem Virus jetzt aber noch näher zu Leibe und könnte das Infektionsrisiko mindern.

Von Hellmuth Nordwig |
    Viren schleusen ihre Erbinformation in fremde Zellen und lassen sie dort vermehren. Die so genannten Retroviren, zu denen HIV gehört, haben dabei ein Problem: Ihr Erbgut muss zunächst in die Sprache des Wirts übersetzt werden. Retroviren enthalten nämlich RNS, und das Erbmaterial von Zellen besteht aus DNS. Erst wenn die DNS-Übersetzung fertig ist, kann sich das Virus vermehren und die Infektion ihren Lauf nehmen. Zu diesem Zeitpunkt zerstört ein spezielles Enzym des Virus, die RNSse H, die RNS-Vorlage - sie ist ja mittlerweile überflüssig geworden.

    "Und wir veranlassen das Enzym, das dafür verantwortlich ist, diesen Schritt schon so früh zu machen, dass das Virus noch nicht mal in die Zelle hineingeraten ist,"

    ... sagt Karin Mölling, Professorin für Molekulare Virologie an der Universität Zürich. Ihr Trick: Sie bringt das Virus mit einem kurzen, künstlich hergestellten DNS-Stückchen zusammen. Es sieht haargenau so aus wie ein fertig übersetzter Abschnitt des Virus-Erbguts. Dadurch gaukelt die Forscherin dem Erreger vor, sein Erbgut sei bereits in die Sprache des Wirts übersetzt worden und daher quasi zum Löschen freigegeben. Den Rest erledigt die RNSse H: Sie zerstört das Erbgut des Virus.

    "Wir können diesen Schritt hervorrufen bei extrazellulären, frei herumschwirrenden Viruspartikeln. Und das ist die Besonderheit dieses Systems: Wir können das Virus inaktivieren, bevor es sich vermehrt hat."

    Die künstliche DNS-Substanz bewirkt, dass freie HI-Viren zerstört werden. Der Erreger vernichtet sich also selbst, lange bevor er die Immunzellen im Blut erreicht hat und infizieren kann. Noch ist es längst nicht soweit, dass aus diesem DNS-Stückchen ein Medikament entwickelt würde. Zum Beispiel muss man die DNS so verpacken, dass sie nicht ungewollt in Zellen gelangt. Doch als Fernziel denkt die Forscherin an die Möglichkeit, Frauen wirksamer vor Ansteckung zu schützen, auch wenn deren Männer keine Kondome verwenden.

    "Da versuchen wir im Moment, die Substanz in der Vagina von Mäusen zu testen. Das haben wir gemacht, und können zeigen: In wenigen Stunden ist das Virus in der Vagina einer Maus sehr stark reduziert."

    Und damit könnte die Ansteckungsgefahr sinken. Selbst eine halbe Stunde nach dem sexuellen Kontakt war die Gabe des DNS-Stückchens bei den Mäusen noch wirksam. Auch wenn das Virus ins Blut übergetreten ist, kann es noch zerstört werden - und sogar, wenn es bereits in die Zellen eingedrungen ist.

    "Es gibt sozusagen zwei Stufen: Erst einmal möglichst das Virus zerstören, bevor es in die Zelle hinein gekommen ist. Hat es das dann aber doch geschafft, kann unsere Substanz in die Zelle hinein gelangen und wir können in der Zelle selber, bevor die gefährliche DNS-Kopie gebildet worden ist - und das dauert etwa 18-20 Stunden - das Virus daran hindern, sich ins Erbgut der Zelle einzuschleichen."

    Das könnte eine Perspektive eröffnen für die rasche Behandlung von Menschen, die befürchten, dass sie in den letzten Stunden mit HIV infiziert worden sein könnten. Karin Mölling hat ihre Versuche in der Zellkultur, mit Tieren und mit Blutproben von HIV-Infizierten gemacht.

    "Wir versuchen auch, die Substanz zu verbessern, so dass möglichst viele verschiedene Viruspartikel erkannt werden. Das ist schon der Fall, aber verschieden gut - das wollen wir verbessern. Wir wollen die Substanz kleiner machen, damit sie billiger herstellbar ist - am liebsten ganz klein, damit man sie schlucken oder trinken kann. Ob das gelingt, weiß ich nicht . Also wir haben bisher ein Prinzip gefunden, aber ein Medikament haben wir nicht. Und der Weg ist ein sehr weiter."

    Sollte er erfolgreich sein, wäre das noch aus einem weiteren Grund interessant. Im Blut infizierter Patienten lässt sich nämlich die Zahl freier Viren, die so genannte Viruslast, durch die Zugabe der DNS-Substanz deutlich reduzieren. Heilen wird aber auch sie die HIV-Infizierten nicht - selbst wenn aus dem Prinzip, das die Züricher Forscherin entdeckt hat, jemals ein brauchbares Medikament werden sollte.